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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Da magst du recht haben, Onkel! Ich werde ihn mir langen -- gleich
morgen früh! Aber jetzt machst du mir nicht mehr ein so finsteres Gesicht,
nicht wahr? Du mußt zugeben, daß ich mir den kleinen Ritt leisten durfte.
Wenn du wüßtest, wie gräßlich es zu Hause ist. Da hat Mara jetzt solch einen
Seelenfreund gefunden, einen Maler. -- ach -- du kennst ihn schon, die schleimige
Amphibie?"

Herr von Wenkendorff lachte in sich hinein: "Er ist also immer noch auf
Borküll. Da muß ich mich schuldig bekennen. Ich habe ihn nach der Hunde¬
geschichte an jenem Sonntag euren Damen als Ritter verpflichtet . . ."

"Der gute, arme Barry! Er sieht zum Heulen aus -- ein richtiges Symbol
der ganzen verrückten Wirtschaft zu Hause!"

"Na, na, Junge!" begütigte der Alte.

"Es ist zum Ersticken. Die alte Schildberg mit ihrem bigotten Getue,
Mama mit ihrer Hypochondrie, die jetzt schon zum Verfolgungswahn ausartet
-- und nun noch dieser schmalzige Heilige mit seinen salbungsvollen Reden und
seiner überlegenen Pose. Mein erster Gedanke war, ihn rauszuwerfen. Aber
Mara hat sich dermaßen erregt und für ihn Partei ergriffen, daß ich klein bei¬
gegeben habe. Nun quält mich eine ganz andere Sorge, und ich möchte eigent¬
lich mal mit deinen Mädels sprechen. Eine Freundin sieht schärfer, wie wir
Mannsleute! Möchte wissen, ob es wirklich nur eine Seelenfreundschaft ist zwischen
Mara und dem -- dem Ekel!"

"Schick uns doch Mara!"

"Ich wollt sie mitnehmen, aber sie ging nicht. Und Mama zankte, und
Tante Emerenzia nutte, und der Malermensch äußerte Bedenken -- kurz und
gut. ich hatte die Nase voll ..."

"Na also, mein Junge -- dann machs dir gemütlich bei uns. Aber vor
Nacht, bitte ich mir aus, wird belagernden. Unsere Junker bringen dich bis
zum Krug: allein laß ich dich nicht!"

Wolff Joachim schlug sich vor die Stirn: "sowas zu vergessen! Ich hab
mich ja mit den Dragonern verabredet. Sie reiten hier vorbei, von Tariomaa
her. Eine verrückte Geschichte! Jetzt sind sie nach Borküll kommandiert. Man
möchte abergläubisch werden: sie kommen immer einen Tag zu spät. Schlede-
hausen hätte sie auch früher brauchen können!"

Das Telephon läutete: "Vielleicht gerade Nachricht von ihm!" sagte Wenken¬
dorff und nahm den Hörer. "Nein -- du wirst von Borküll gewünscht!"

Gut, daß der Alte den Rücken gewandt hatte, sonst hätte ihm die jähe
Glut auffallen müssen, die dem jungen Freiherrn in die Wange stieg.

"Schon gut, schon gut!" sagte er hastig. "Ich werde von hier aus an¬
rufen."

"Nichts von Belang!" fügte er auf Wenkendorffs fragenden Blick schnell
hinzu.


Sturm

„Da magst du recht haben, Onkel! Ich werde ihn mir langen — gleich
morgen früh! Aber jetzt machst du mir nicht mehr ein so finsteres Gesicht,
nicht wahr? Du mußt zugeben, daß ich mir den kleinen Ritt leisten durfte.
Wenn du wüßtest, wie gräßlich es zu Hause ist. Da hat Mara jetzt solch einen
Seelenfreund gefunden, einen Maler. — ach — du kennst ihn schon, die schleimige
Amphibie?"

Herr von Wenkendorff lachte in sich hinein: „Er ist also immer noch auf
Borküll. Da muß ich mich schuldig bekennen. Ich habe ihn nach der Hunde¬
geschichte an jenem Sonntag euren Damen als Ritter verpflichtet . . ."

„Der gute, arme Barry! Er sieht zum Heulen aus — ein richtiges Symbol
der ganzen verrückten Wirtschaft zu Hause!"

„Na, na, Junge!" begütigte der Alte.

„Es ist zum Ersticken. Die alte Schildberg mit ihrem bigotten Getue,
Mama mit ihrer Hypochondrie, die jetzt schon zum Verfolgungswahn ausartet
— und nun noch dieser schmalzige Heilige mit seinen salbungsvollen Reden und
seiner überlegenen Pose. Mein erster Gedanke war, ihn rauszuwerfen. Aber
Mara hat sich dermaßen erregt und für ihn Partei ergriffen, daß ich klein bei¬
gegeben habe. Nun quält mich eine ganz andere Sorge, und ich möchte eigent¬
lich mal mit deinen Mädels sprechen. Eine Freundin sieht schärfer, wie wir
Mannsleute! Möchte wissen, ob es wirklich nur eine Seelenfreundschaft ist zwischen
Mara und dem — dem Ekel!"

„Schick uns doch Mara!"

„Ich wollt sie mitnehmen, aber sie ging nicht. Und Mama zankte, und
Tante Emerenzia nutte, und der Malermensch äußerte Bedenken — kurz und
gut. ich hatte die Nase voll ..."

„Na also, mein Junge — dann machs dir gemütlich bei uns. Aber vor
Nacht, bitte ich mir aus, wird belagernden. Unsere Junker bringen dich bis
zum Krug: allein laß ich dich nicht!"

Wolff Joachim schlug sich vor die Stirn: „sowas zu vergessen! Ich hab
mich ja mit den Dragonern verabredet. Sie reiten hier vorbei, von Tariomaa
her. Eine verrückte Geschichte! Jetzt sind sie nach Borküll kommandiert. Man
möchte abergläubisch werden: sie kommen immer einen Tag zu spät. Schlede-
hausen hätte sie auch früher brauchen können!"

Das Telephon läutete: „Vielleicht gerade Nachricht von ihm!" sagte Wenken¬
dorff und nahm den Hörer. „Nein — du wirst von Borküll gewünscht!"

Gut, daß der Alte den Rücken gewandt hatte, sonst hätte ihm die jähe
Glut auffallen müssen, die dem jungen Freiherrn in die Wange stieg.

„Schon gut, schon gut!" sagte er hastig. „Ich werde von hier aus an¬
rufen."

„Nichts von Belang!" fügte er auf Wenkendorffs fragenden Blick schnell
hinzu.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/230>, abgerufen am 19.10.2024.