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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Aämpfe unserer Lehrerschaft

Auslese für das Studium in natürlichen Formen vollzieht und weder von dem
besonderen Beschluß einer Prüfungskommission noch von dem Urteil eines Re¬
visionsbeamten abhängig ist. Wer seine Pflichten auf dem Seminar fleißig
erfüllte, brav lernte und ein vorzügliches Prüfungszeugnis erhielt, braucht deshalb
noch kein wissenschaftlicher Kopf sein, während ein anderer, dessen Zeugnis nur
sehr mittelmäßig ist, kritische Fähigkeiten in hohem Grade besitzen kann. Erst
recht nicht sind der Ausfall einer Revision oder das Urteil des Schulinspektors
geeignete Prüfsteine für die Zulassung zum akademischen Studium. Auch wenn
es allen Seminarabiturienten freistünde, würden -- von wenigen Ausnahmen
abgesehen --, nur solche davon Gebrauch machen, deren geistige Kräfte auch
einen sicheren Erfolg versprachen.

Nun wird aber gerade das geistige Mindestmaß der Volksschullehrer zum
Universttälsstudium bestritten. Die philosophischen Fakultäten zu Münster und
Königsberg haben sich gegen die Zulassung ausgesprochen, ebenso haben die
Oberlehrer sich aus standespolitischen Rücksichten dagegen erklärt. Aber diesen
Äußerungen und der ablehnenden Haltung der Regierung gegenüber steht auch
eine sehr große Zahl von Urteilen solcher Hochschullehrer, die Volksschullehrer
zu Schüler hatten. Dazu kommen die günstigen Erfahrungen in Hessen und
vor allem in Sachsen. Es darf auch wohl an das glänzende Ergebnis der in
Württemberg neu eingerichteten Staatsprüfung an der Universität Tübingen
erinnert werden. Es ist weiterhin beachtenswert, daß auch solche Hochschul¬
lehrer als Zeugen angeführt werden können, die den vermeintlichen "radikalen
Lehrerkreisen" gewiß fremd gegenüberstehen wie der Universitätsprofessor Pro¬
fessor Martin spähn. Er lehnt zwar auch die Berechtigung des Studiums für
alle Lehrer ab. "Aber," so führt er aus, "ganz anders erscheint es um die
Frage bestellt, ob nicht bestbefähigten und höchstbefähigten Lehrern die Tore der
Universität breiter zu öffnen sind. Wer da Lehrer zu Schüler hatte, erkennt
dankbar nicht nur ihren Fleiß, sondern auch ihren wahren wissenschaftlichen Ernst
an und weiß, daß sie seine Übungen sicher nicht gehemmt, sondern gehoben
haben. Er hat sie sicher ebenso gern in seinen Vorlesungen beobachtet." Und
weiter sagt er zu unserer Frage: "Unsere Hochschulen sind heute noch wie
früher die Stätte, wo der Quell deutscher Wissenschaft fließt. Wer wissenschaftlich
arbeiten lernen will, wer den rechten Zusammenhang der wissenschaftlichen Forschung
bekommen will, muß an ihnen studiert haben. Nun hat sich aber der deutsche
Lehrerstand gerade unter Preußens Führung aus dem Nichts früherer Jahr¬
hunderte so weit emporgearbeitet, daß in ihm die geistigenDispositionen für das Auf¬
kommen echten wissenschaftlichen Strebens zur Stunde gegeben sind. SeineBesten sind
sicherlich weit genug, den Schritt zu tun, der allein dies frische Streben be¬
friedigen kann. Kein Kurs mit dem Leitungswasser, das er bieten kann, gibt
ihnen Ersatz für das, was sie allein an den Universitäten zu finden vermögen."
(Zeitschrift für christliche Erziehung 13. 4.) Diese Darlegung dürfte im großen
und ganzen mit den Anschauungen der Volksschullehrer übereinstimmen.


Aämpfe unserer Lehrerschaft

Auslese für das Studium in natürlichen Formen vollzieht und weder von dem
besonderen Beschluß einer Prüfungskommission noch von dem Urteil eines Re¬
visionsbeamten abhängig ist. Wer seine Pflichten auf dem Seminar fleißig
erfüllte, brav lernte und ein vorzügliches Prüfungszeugnis erhielt, braucht deshalb
noch kein wissenschaftlicher Kopf sein, während ein anderer, dessen Zeugnis nur
sehr mittelmäßig ist, kritische Fähigkeiten in hohem Grade besitzen kann. Erst
recht nicht sind der Ausfall einer Revision oder das Urteil des Schulinspektors
geeignete Prüfsteine für die Zulassung zum akademischen Studium. Auch wenn
es allen Seminarabiturienten freistünde, würden — von wenigen Ausnahmen
abgesehen —, nur solche davon Gebrauch machen, deren geistige Kräfte auch
einen sicheren Erfolg versprachen.

Nun wird aber gerade das geistige Mindestmaß der Volksschullehrer zum
Universttälsstudium bestritten. Die philosophischen Fakultäten zu Münster und
Königsberg haben sich gegen die Zulassung ausgesprochen, ebenso haben die
Oberlehrer sich aus standespolitischen Rücksichten dagegen erklärt. Aber diesen
Äußerungen und der ablehnenden Haltung der Regierung gegenüber steht auch
eine sehr große Zahl von Urteilen solcher Hochschullehrer, die Volksschullehrer
zu Schüler hatten. Dazu kommen die günstigen Erfahrungen in Hessen und
vor allem in Sachsen. Es darf auch wohl an das glänzende Ergebnis der in
Württemberg neu eingerichteten Staatsprüfung an der Universität Tübingen
erinnert werden. Es ist weiterhin beachtenswert, daß auch solche Hochschul¬
lehrer als Zeugen angeführt werden können, die den vermeintlichen „radikalen
Lehrerkreisen" gewiß fremd gegenüberstehen wie der Universitätsprofessor Pro¬
fessor Martin spähn. Er lehnt zwar auch die Berechtigung des Studiums für
alle Lehrer ab. „Aber," so führt er aus, „ganz anders erscheint es um die
Frage bestellt, ob nicht bestbefähigten und höchstbefähigten Lehrern die Tore der
Universität breiter zu öffnen sind. Wer da Lehrer zu Schüler hatte, erkennt
dankbar nicht nur ihren Fleiß, sondern auch ihren wahren wissenschaftlichen Ernst
an und weiß, daß sie seine Übungen sicher nicht gehemmt, sondern gehoben
haben. Er hat sie sicher ebenso gern in seinen Vorlesungen beobachtet." Und
weiter sagt er zu unserer Frage: „Unsere Hochschulen sind heute noch wie
früher die Stätte, wo der Quell deutscher Wissenschaft fließt. Wer wissenschaftlich
arbeiten lernen will, wer den rechten Zusammenhang der wissenschaftlichen Forschung
bekommen will, muß an ihnen studiert haben. Nun hat sich aber der deutsche
Lehrerstand gerade unter Preußens Führung aus dem Nichts früherer Jahr¬
hunderte so weit emporgearbeitet, daß in ihm die geistigenDispositionen für das Auf¬
kommen echten wissenschaftlichen Strebens zur Stunde gegeben sind. SeineBesten sind
sicherlich weit genug, den Schritt zu tun, der allein dies frische Streben be¬
friedigen kann. Kein Kurs mit dem Leitungswasser, das er bieten kann, gibt
ihnen Ersatz für das, was sie allein an den Universitäten zu finden vermögen."
(Zeitschrift für christliche Erziehung 13. 4.) Diese Darlegung dürfte im großen
und ganzen mit den Anschauungen der Volksschullehrer übereinstimmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/168>, abgerufen am 20.10.2024.