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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Reichstag und Reichsfinanzcn

ändern, oder haben wir es hier mit organischen Fehlern zu tun, die sich immer
wieder geltend machen müssen, ohne daß sich etwas dagegen tun läßt? Das
sind Fragen, die offenbar von der größten Bedeutung sind.




Vertieft man sich in die Finanzgeschichte des Deutschen Reiches, so gewinnt
man sehr bald den Eindruck, daß man es nicht mit der erhabendsten Seite der
jüngsten vaterländischen Geschichte zu tun hat. Wir gewahren die Probleme
von ungewöhnlicher Schwierigkeit, ja bis zur völligen Unlösbarkeit verwickelt.
Wenn sich dann doch ein Weg zeigt, der zur Lösung zu führen scheint, so ist
es gewöhnlich gerade dieser Weg, den der Reichstag durchaus nicht gehen will.
Das Reich war kaum gegründet, als sich auch schon die Frage der Finanz¬
reform erhob. Freilich gingen noch Jahre darüber hin. Als dann aber Bismarck
die entscheidende Wendung in der Wirtschaftspolitik vollzog und die Möglichkeit
ausreichender eigener Einnahmen für das Reich schuf, gab das Zentrum durch
die Franckensteinsche Klausel der Lösung des Problems eine andere Richtung.
Eine weitere Etappe war der Versuch Bismarcks, die Frage mit Hilfe des
Tabakmonopols zu regeln; der Reichstag lehnte es ab. Und nun kamen in
längeren Pausen die Anläufe, der zunehmenden Finanznot des Reiches zu
steuern, den steigenden Bedarf für die Aufgaben des Reiches zu decken. Jedesmal
war der verantwortliche Leiter der Neichsfinanzen überzeugt, einen durchaus
gangbaren Weg gefunden zu haben, und jedesmal machte der Reichstag seinen
Querstrich durch alle schönen Pläne.

Man wird nächstens beinahe von einer Tradition sprechen können, wonach
der Reichstag zwar fast regelmäßig die Bedürfnisfrage bei den Forderungen
der Negierung bejaht, aber ebenso regelmäßig die von den Nächstberufenen
gewiesenen Wege vermeidet. Durch diese eigenartige Gewohnheit bringt der
Reichstag sich selbst in die Lage, von sich aus in fliegender Eile einen Ersatz
für die mit solcher Regelmäßigkeit verworfenen Regierungsvorschläge schaffen zu
müssen, eine Arbeit, die dann meistens mit einem Ergebnis endet, das von den
Urhebern stolz als politischer Erfolg gebucht wird, vom juristisch-technischen
Standpunkt betrachtet jedoch mehr als gesetzgeberische Mißgeburt erscheint. Diese
Erscheinung prägt sich immer mehr aus. Schon die Reichsfinanzreform von
1909 zeigte auffallender als je zuvor den klaffenden Widerspruch zwischen dem
aus politischen Gründen gepriesenen Erfolg und dem wirklichen Wert der Partei¬
arbeit. Jetzt, bei der Betrachtung des umgestalteten Wehrbeitrages und der
für die Wehroorlage beschlossenen Deckungsmittel, muß das Urteil noch viel
härter ausfallen.

Den Volksvertretern und auch den einzelnen Parteien wollen wir damit
gar nicht zu nahe treten. Ihre Überzeugung, daß dieses oder jenes von den
ursprünglichen Regierungsvorlagen nicht anging, mochte ja subjektiv berechtigt
sein. Aber daß das letzte Ergebnis der Beratungen als Ganzes unendlich viel


Reichstag und Reichsfinanzcn

ändern, oder haben wir es hier mit organischen Fehlern zu tun, die sich immer
wieder geltend machen müssen, ohne daß sich etwas dagegen tun läßt? Das
sind Fragen, die offenbar von der größten Bedeutung sind.




Vertieft man sich in die Finanzgeschichte des Deutschen Reiches, so gewinnt
man sehr bald den Eindruck, daß man es nicht mit der erhabendsten Seite der
jüngsten vaterländischen Geschichte zu tun hat. Wir gewahren die Probleme
von ungewöhnlicher Schwierigkeit, ja bis zur völligen Unlösbarkeit verwickelt.
Wenn sich dann doch ein Weg zeigt, der zur Lösung zu führen scheint, so ist
es gewöhnlich gerade dieser Weg, den der Reichstag durchaus nicht gehen will.
Das Reich war kaum gegründet, als sich auch schon die Frage der Finanz¬
reform erhob. Freilich gingen noch Jahre darüber hin. Als dann aber Bismarck
die entscheidende Wendung in der Wirtschaftspolitik vollzog und die Möglichkeit
ausreichender eigener Einnahmen für das Reich schuf, gab das Zentrum durch
die Franckensteinsche Klausel der Lösung des Problems eine andere Richtung.
Eine weitere Etappe war der Versuch Bismarcks, die Frage mit Hilfe des
Tabakmonopols zu regeln; der Reichstag lehnte es ab. Und nun kamen in
längeren Pausen die Anläufe, der zunehmenden Finanznot des Reiches zu
steuern, den steigenden Bedarf für die Aufgaben des Reiches zu decken. Jedesmal
war der verantwortliche Leiter der Neichsfinanzen überzeugt, einen durchaus
gangbaren Weg gefunden zu haben, und jedesmal machte der Reichstag seinen
Querstrich durch alle schönen Pläne.

Man wird nächstens beinahe von einer Tradition sprechen können, wonach
der Reichstag zwar fast regelmäßig die Bedürfnisfrage bei den Forderungen
der Negierung bejaht, aber ebenso regelmäßig die von den Nächstberufenen
gewiesenen Wege vermeidet. Durch diese eigenartige Gewohnheit bringt der
Reichstag sich selbst in die Lage, von sich aus in fliegender Eile einen Ersatz
für die mit solcher Regelmäßigkeit verworfenen Regierungsvorschläge schaffen zu
müssen, eine Arbeit, die dann meistens mit einem Ergebnis endet, das von den
Urhebern stolz als politischer Erfolg gebucht wird, vom juristisch-technischen
Standpunkt betrachtet jedoch mehr als gesetzgeberische Mißgeburt erscheint. Diese
Erscheinung prägt sich immer mehr aus. Schon die Reichsfinanzreform von
1909 zeigte auffallender als je zuvor den klaffenden Widerspruch zwischen dem
aus politischen Gründen gepriesenen Erfolg und dem wirklichen Wert der Partei¬
arbeit. Jetzt, bei der Betrachtung des umgestalteten Wehrbeitrages und der
für die Wehroorlage beschlossenen Deckungsmittel, muß das Urteil noch viel
härter ausfallen.

Den Volksvertretern und auch den einzelnen Parteien wollen wir damit
gar nicht zu nahe treten. Ihre Überzeugung, daß dieses oder jenes von den
ursprünglichen Regierungsvorlagen nicht anging, mochte ja subjektiv berechtigt
sein. Aber daß das letzte Ergebnis der Beratungen als Ganzes unendlich viel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/110>, abgerufen am 19.10.2024.