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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der Zusammenbruch der Herrschaft Napoleons des Ersten

über Europa hergemacht, um mir die Throne von Frankreich und Italien zu
sichern. Jetzt habe ich das Umgekehrte zu tun: vom westlichen Ende Europas
muß ich anfangen, um in Asien einzufallen und England zu fassen. Ich habe
alle Karten und statistischen Einzelheiten, deren ich für einen Marsch von Eriwan
und Tiflis nach Indien bedarf -- es hätte einen vielleicht weniger gewaltigen
Kriegszug gegeben, als der ist, den wir innerhalb der nächsten drei Monate
unternehmen. Angenommen, wir nehmen Moskau, Rußland ist zerschmettert,
der Zar versöhnt oder irgendeiner Palastrevolution zum Opfer gefallen, gefolgt
von einer neuen vielleicht abhängigen Dynastie -- da würde es für eine große
französische Armee mit Hilfstruppen nicht unmöglich sein, von Tiflis aus den
Ganges zu erreichen. Einmal getroffen vom Schwerte Frankreichs würde das
luftige Gebäude der indischen Handelsmacht zusammenbrechen. Eine großartige
Expedition, im neunzehnten Jahrhundert wohl ausführbar."

Ebenso charakteristisch ist eine weitere Äußerung von ihm, die denselben
Gegenstand betrifft: "Hätte ich damals Se. Jean d'Acre genommen, die Bewegung
hätte alle Völker des Orients ergriffen. Ich hätte Konstantinopel erreicht, wäre
nach Indien gezogen -- ich hätte der Welt ein anderes Äußere gegeben."
Diesem Titanen ist nur die Unterwerfung der Welt eine seiner würdige Aufgabe,
ein ihm werdes Ziel. Das hat man auch zu seiner Zeit bereits erkannt. Wir
wollen nur ein schlagendes Zeugnis anführen, das einem Briefe entstammt, den
ein preußischer Feldgeistlicher unter dem unmittelbaren Eindruck der Völker¬
schlacht bei Leipzig geschrieben hat. K, A. Köhler nämlich, der Prediger der
Brigade des Generalmajors von Dobschütz, schreibt an seine schlesischen Ver¬
wandten, und zwar wörtlich: "Die Universalmonarchie, welche fast errungen
war, in der es Napoleon weiter gebracht hatte als alle Welteroberer vor ihm,
für die er Millionen Menschenleben opferte, Millionen Menschen elend und un¬
glücklich machte, zerfällt in weniger Wochen, als er Jahre brauchte, sie zu
erbauen, zerfällt in nichts und verschwindet wie eine bunte Seifenblase! Ob
dies nicht eine Lehre für die Nachwelt sein und alle künftigen ehrgeizigen
Eroberer abhalten wird, nach dem zu streben, was doch keiner erreichen kann?"
Hier ist richtig erkannt und anerkannt, daß Napoleon sich allen Ernstes bestrebte,
die Weltmonarchie zu verwirklichen; und immer ist es Alexander der Große,
der ihm vorschwebt, dem er nacheifert. Ja, er will nicht nur das politische,
sondern auch das religiöse Haupt der Welt werden, den Cäsaropapismus der
Menschheit aufnötigen; denn er hat selbst von seinem Zuge nach Ägypten erzählt:
"Ich wollte eine Religion stiften. Ich sah mich auf einem Elefanten unter¬
wegs, den Turban auf dem Haupte, in der Hand einen neuen, von mir allein
verfaßten Koran."

Hier haben wir die Romantik der Welteroberung, der Weltherrschaft in
Neinkultur!

Mit voller Absicht, bewußt verfolgt er also den Gedanken der Welt¬
monarchie; und das alles -- gerade das charakterisiert ihn als echten Welt-


Der Zusammenbruch der Herrschaft Napoleons des Ersten

über Europa hergemacht, um mir die Throne von Frankreich und Italien zu
sichern. Jetzt habe ich das Umgekehrte zu tun: vom westlichen Ende Europas
muß ich anfangen, um in Asien einzufallen und England zu fassen. Ich habe
alle Karten und statistischen Einzelheiten, deren ich für einen Marsch von Eriwan
und Tiflis nach Indien bedarf — es hätte einen vielleicht weniger gewaltigen
Kriegszug gegeben, als der ist, den wir innerhalb der nächsten drei Monate
unternehmen. Angenommen, wir nehmen Moskau, Rußland ist zerschmettert,
der Zar versöhnt oder irgendeiner Palastrevolution zum Opfer gefallen, gefolgt
von einer neuen vielleicht abhängigen Dynastie — da würde es für eine große
französische Armee mit Hilfstruppen nicht unmöglich sein, von Tiflis aus den
Ganges zu erreichen. Einmal getroffen vom Schwerte Frankreichs würde das
luftige Gebäude der indischen Handelsmacht zusammenbrechen. Eine großartige
Expedition, im neunzehnten Jahrhundert wohl ausführbar."

Ebenso charakteristisch ist eine weitere Äußerung von ihm, die denselben
Gegenstand betrifft: „Hätte ich damals Se. Jean d'Acre genommen, die Bewegung
hätte alle Völker des Orients ergriffen. Ich hätte Konstantinopel erreicht, wäre
nach Indien gezogen — ich hätte der Welt ein anderes Äußere gegeben."
Diesem Titanen ist nur die Unterwerfung der Welt eine seiner würdige Aufgabe,
ein ihm werdes Ziel. Das hat man auch zu seiner Zeit bereits erkannt. Wir
wollen nur ein schlagendes Zeugnis anführen, das einem Briefe entstammt, den
ein preußischer Feldgeistlicher unter dem unmittelbaren Eindruck der Völker¬
schlacht bei Leipzig geschrieben hat. K, A. Köhler nämlich, der Prediger der
Brigade des Generalmajors von Dobschütz, schreibt an seine schlesischen Ver¬
wandten, und zwar wörtlich: „Die Universalmonarchie, welche fast errungen
war, in der es Napoleon weiter gebracht hatte als alle Welteroberer vor ihm,
für die er Millionen Menschenleben opferte, Millionen Menschen elend und un¬
glücklich machte, zerfällt in weniger Wochen, als er Jahre brauchte, sie zu
erbauen, zerfällt in nichts und verschwindet wie eine bunte Seifenblase! Ob
dies nicht eine Lehre für die Nachwelt sein und alle künftigen ehrgeizigen
Eroberer abhalten wird, nach dem zu streben, was doch keiner erreichen kann?"
Hier ist richtig erkannt und anerkannt, daß Napoleon sich allen Ernstes bestrebte,
die Weltmonarchie zu verwirklichen; und immer ist es Alexander der Große,
der ihm vorschwebt, dem er nacheifert. Ja, er will nicht nur das politische,
sondern auch das religiöse Haupt der Welt werden, den Cäsaropapismus der
Menschheit aufnötigen; denn er hat selbst von seinem Zuge nach Ägypten erzählt:
„Ich wollte eine Religion stiften. Ich sah mich auf einem Elefanten unter¬
wegs, den Turban auf dem Haupte, in der Hand einen neuen, von mir allein
verfaßten Koran."

Hier haben wir die Romantik der Welteroberung, der Weltherrschaft in
Neinkultur!

Mit voller Absicht, bewußt verfolgt er also den Gedanken der Welt¬
monarchie; und das alles — gerade das charakterisiert ihn als echten Welt-


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[0601] Der Zusammenbruch der Herrschaft Napoleons des Ersten über Europa hergemacht, um mir die Throne von Frankreich und Italien zu sichern. Jetzt habe ich das Umgekehrte zu tun: vom westlichen Ende Europas muß ich anfangen, um in Asien einzufallen und England zu fassen. Ich habe alle Karten und statistischen Einzelheiten, deren ich für einen Marsch von Eriwan und Tiflis nach Indien bedarf — es hätte einen vielleicht weniger gewaltigen Kriegszug gegeben, als der ist, den wir innerhalb der nächsten drei Monate unternehmen. Angenommen, wir nehmen Moskau, Rußland ist zerschmettert, der Zar versöhnt oder irgendeiner Palastrevolution zum Opfer gefallen, gefolgt von einer neuen vielleicht abhängigen Dynastie — da würde es für eine große französische Armee mit Hilfstruppen nicht unmöglich sein, von Tiflis aus den Ganges zu erreichen. Einmal getroffen vom Schwerte Frankreichs würde das luftige Gebäude der indischen Handelsmacht zusammenbrechen. Eine großartige Expedition, im neunzehnten Jahrhundert wohl ausführbar." Ebenso charakteristisch ist eine weitere Äußerung von ihm, die denselben Gegenstand betrifft: „Hätte ich damals Se. Jean d'Acre genommen, die Bewegung hätte alle Völker des Orients ergriffen. Ich hätte Konstantinopel erreicht, wäre nach Indien gezogen — ich hätte der Welt ein anderes Äußere gegeben." Diesem Titanen ist nur die Unterwerfung der Welt eine seiner würdige Aufgabe, ein ihm werdes Ziel. Das hat man auch zu seiner Zeit bereits erkannt. Wir wollen nur ein schlagendes Zeugnis anführen, das einem Briefe entstammt, den ein preußischer Feldgeistlicher unter dem unmittelbaren Eindruck der Völker¬ schlacht bei Leipzig geschrieben hat. K, A. Köhler nämlich, der Prediger der Brigade des Generalmajors von Dobschütz, schreibt an seine schlesischen Ver¬ wandten, und zwar wörtlich: „Die Universalmonarchie, welche fast errungen war, in der es Napoleon weiter gebracht hatte als alle Welteroberer vor ihm, für die er Millionen Menschenleben opferte, Millionen Menschen elend und un¬ glücklich machte, zerfällt in weniger Wochen, als er Jahre brauchte, sie zu erbauen, zerfällt in nichts und verschwindet wie eine bunte Seifenblase! Ob dies nicht eine Lehre für die Nachwelt sein und alle künftigen ehrgeizigen Eroberer abhalten wird, nach dem zu streben, was doch keiner erreichen kann?" Hier ist richtig erkannt und anerkannt, daß Napoleon sich allen Ernstes bestrebte, die Weltmonarchie zu verwirklichen; und immer ist es Alexander der Große, der ihm vorschwebt, dem er nacheifert. Ja, er will nicht nur das politische, sondern auch das religiöse Haupt der Welt werden, den Cäsaropapismus der Menschheit aufnötigen; denn er hat selbst von seinem Zuge nach Ägypten erzählt: „Ich wollte eine Religion stiften. Ich sah mich auf einem Elefanten unter¬ wegs, den Turban auf dem Haupte, in der Hand einen neuen, von mir allein verfaßten Koran." Hier haben wir die Romantik der Welteroberung, der Weltherrschaft in Neinkultur! Mit voller Absicht, bewußt verfolgt er also den Gedanken der Welt¬ monarchie; und das alles — gerade das charakterisiert ihn als echten Welt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/601>, abgerufen am 27.07.2024.