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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Vor dem Restaurant gab er seinem Vater Ediths Brief.

"Übrigens laß Dir sagen, ich habe mit jener Dame nicht das geringste
zu tun! Das Frauenzimmer hat sich mir einfach aufgedrängt. Das scheint
hier Mode zu sein -- in Deinem Monte!"

Der Alte überhörte den Hohn in Pauls Worten und durchflog hastig die
Seiten des Briefes.

"Mein Gott -- und darum den Auftritt?" Er hatte seine gelassene über¬
legene Haltung wiedergefunden.

"Sternburger Unkenrufe, weiter nichts! Mit dem albernen Pöbel werden
unsere Soldaten bald fertig sein. Und Kirsch -- holf der Kuckuck -- der hat
sich eben die Nase mal besonders kräftig begossen. Wenn er seinen Rausch
ausgeschlafen hat, ist er windelweich. Ich kenne doch meinen guten Kirsch!
Der hat das allergrößte Interesse, mit uns in Frieden zu leben. Wegen der
paar dummen Streiche werde ich meine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen.
Auch Du kannst ruhig bei Deinem Mikroskop bleiben, mein Junge. Zu Eurer
Beruhigung werde ich Kirsch 'n bißchen den Kopf waschen. Aber mehr wäre
wirklich zu viel! Und nun sei gemütlich und komm!"

Er nahm den Arm seines Sohnes, um ihn wieder ins Restaurant zurück¬
zuführen. Aber Paul blieb stehen:

"Danke!" sagte er eisig. "Ich kam nur her, Dich zu warnen. Du bist
der Herr von Borküll, Du mußt wissen, was zu tun ist. Wenn Du unsere
Sorge für übertrieben hältst, so ist meine Mission erledigt!"




Es war zu merken, daß das Handpferd -- die braune Zerda -- acht
Tage im Stall gestanden hatte. Sie schäumte in der Kandare und zog so fest
an, daß sich die Lenkeriu mit aller Energie gegen das Fußbrett stellen mußte.

Tief in seinem Pelz vergraben saß Herr von Wenkendorff neben Edles
und sog an seiner kalten Zigarre. Der Wind, der von der See herkam,
frischte allmählich auf und blies ihnen kräftig in den Rücken.

"Das ist gut für die Zerda! Wir haben leichtes Fahren."

Edles hatte ihre helle Freude, wie die Gäule durch die Nacht hinstoben.
Selbst den Hügel, auf dem der Borküller Krug lag, nahmen sie im scharfen
Trab, und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte das Sternburger Dogkart den
Wagen der Gräfin Hahn angerannt, der jenseits der Höhe mitten auf dem
Wege hielt. Aber Edles verstand ihr Gespann zu regieren: mit einem Ruck
riß sie es zur Seite und brachte den leichten Wagen zum Stehen.

"Was ist los!?"

Der Diener sprang von seinem Rücksitz und trat zu der Gruppe aufgeregter
Leute, mit denen der Rosenhofer Kutscher bereits verhandelte.

"Holt den dummen Wolly raus, daß wir ihn verprügeln können!" brüllte
eine Stimme. Und ein allgemeines Gejohle klang durch die Nacht. In dem
geschlossenen Wagen schien sich aber nichts zu rühren.


Sturm

Vor dem Restaurant gab er seinem Vater Ediths Brief.

„Übrigens laß Dir sagen, ich habe mit jener Dame nicht das geringste
zu tun! Das Frauenzimmer hat sich mir einfach aufgedrängt. Das scheint
hier Mode zu sein — in Deinem Monte!"

Der Alte überhörte den Hohn in Pauls Worten und durchflog hastig die
Seiten des Briefes.

„Mein Gott — und darum den Auftritt?" Er hatte seine gelassene über¬
legene Haltung wiedergefunden.

„Sternburger Unkenrufe, weiter nichts! Mit dem albernen Pöbel werden
unsere Soldaten bald fertig sein. Und Kirsch — holf der Kuckuck — der hat
sich eben die Nase mal besonders kräftig begossen. Wenn er seinen Rausch
ausgeschlafen hat, ist er windelweich. Ich kenne doch meinen guten Kirsch!
Der hat das allergrößte Interesse, mit uns in Frieden zu leben. Wegen der
paar dummen Streiche werde ich meine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen.
Auch Du kannst ruhig bei Deinem Mikroskop bleiben, mein Junge. Zu Eurer
Beruhigung werde ich Kirsch 'n bißchen den Kopf waschen. Aber mehr wäre
wirklich zu viel! Und nun sei gemütlich und komm!"

Er nahm den Arm seines Sohnes, um ihn wieder ins Restaurant zurück¬
zuführen. Aber Paul blieb stehen:

„Danke!" sagte er eisig. „Ich kam nur her, Dich zu warnen. Du bist
der Herr von Borküll, Du mußt wissen, was zu tun ist. Wenn Du unsere
Sorge für übertrieben hältst, so ist meine Mission erledigt!"




Es war zu merken, daß das Handpferd — die braune Zerda — acht
Tage im Stall gestanden hatte. Sie schäumte in der Kandare und zog so fest
an, daß sich die Lenkeriu mit aller Energie gegen das Fußbrett stellen mußte.

Tief in seinem Pelz vergraben saß Herr von Wenkendorff neben Edles
und sog an seiner kalten Zigarre. Der Wind, der von der See herkam,
frischte allmählich auf und blies ihnen kräftig in den Rücken.

„Das ist gut für die Zerda! Wir haben leichtes Fahren."

Edles hatte ihre helle Freude, wie die Gäule durch die Nacht hinstoben.
Selbst den Hügel, auf dem der Borküller Krug lag, nahmen sie im scharfen
Trab, und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte das Sternburger Dogkart den
Wagen der Gräfin Hahn angerannt, der jenseits der Höhe mitten auf dem
Wege hielt. Aber Edles verstand ihr Gespann zu regieren: mit einem Ruck
riß sie es zur Seite und brachte den leichten Wagen zum Stehen.

„Was ist los!?"

Der Diener sprang von seinem Rücksitz und trat zu der Gruppe aufgeregter
Leute, mit denen der Rosenhofer Kutscher bereits verhandelte.

„Holt den dummen Wolly raus, daß wir ihn verprügeln können!" brüllte
eine Stimme. Und ein allgemeines Gejohle klang durch die Nacht. In dem
geschlossenen Wagen schien sich aber nichts zu rühren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/541>, abgerufen am 22.12.2024.