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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Anträge der elsaß-lothringischen Regierung

aber diese Kundgebungen, die nebenbei beim Zentrum mit vielen Entschuldigungen
für den Missetäter verbrämt waren, entsprangen keineswegs dem nationalen
Verantwortlichkeitsgefühl, sondern in erster Linie der Besorgnis, Wetterlös
Reden könnten die in jener Zeit ohnehin so gespannten Beziehungen zwischen
Frankreich und Deutschland noch weiter verschärfen und die Kriegsgefahr erhöhen.
Im übrigen aber wird der Nationalismus von den einzelnen Parteien immer
nur dann bekämpft, wenn er sich bei einer anderen Partei zeigt. Im eigenen
Lager übt man eine weitgehende Toleranz und duldet nicht nur die alles
Deutsche verabscheuenden nationalistischen Vereine, sondern auch die nationalistischen
Blätter, die systematisch das Ansehen des Deutschtums untergraben und fran¬
zösische Kultur, französische Einrichtungen und Anschauungen in allen Tonarten
preisen und ihre politischen Betrachtungen ganz unter dem Gesichtswinkel der
politischen und Geschichtsauffassungen Frankreichs anstellen. Ja selbst die viel
gerühmte und bei den Jnterpellationsdebatten über die Anträge der Regierung
wieder gefeierte Niederwerfung einiger rationalistischer Führer bei den ersten
Wahlen zum elsaß-lothringischen Landtag im Jahre 1911 erweist sich für den¬
jenigen, der die Dinge aus der Nähe betrachtet hat, keineswegs als eine
Niederlage des Nationalismus. Denn um die klerikalen, oder dem Zentrum
nahestehenden Nationalisten Laugel, Preiß, Blumenthal zur Strecke zu bringen,
mußte die Gegenseite den demokratischen Nationalismus zu Hilfe rufen und
ihm einen recht beträchtlichen Einfluß einräumen. Also weniger dem Nationalismus
als dem Klerikalismus galt der Kampf, und von der Kraft der Parteien und
des Volkes, sich selbst von den nationalistischen Hetzern zu befreien, hat man
auch da herzlich wenig verspürt.

So hat die elsaß-lothringische Negierung tatsächlich keinen Grund, die bei
der Begründung der Mißbilligungsresolution in der Zweiten Kammer abgegebenen
vollklingenden Versicherungen für etwas anderes zu halten, als für ein Mittel,
ihr Vorgehen vor dem Lande ins Unrecht zu setzen. Daher hätte der Staats-
sekretär Freiherr Zorn von Bulach sich die Anerkennung, daß die Zweite
Kammer sich so einmütig gegen die Nationalisten ausgesprochen habe, ruhig
sparen können.

Auch der Einwand, daß der elsaß-lothringischen Regierung jetzt schon aus¬
reichende Möglichkeiten gegeben seien, deutsch-feindlichen Treibereien ein Ende
zu machen, da sie im Notfall ja die Gerichte anrufen könne, ist wenig stich¬
haltig. Nur in Ausnahmefällen wird es gelingen, die nationalistischen Feinde
des Deutschtums auf einer strafrechtlich belangbaren Handlung zu ertappen.
So vorsichtig sind die Herren schon, daß sie den Schlingen des Strafgesetzbuches
aus dem Wege gehen. Dafür hat die Freisprechung des Souvenirpräsidenten
Jean vor dem Metzer Schöffengericht, die von klerikalen und demokratischen
Zeitungen als eine neue Niederlage der Regierung gefeiert wird, erst jetzt
wieder einen schlagenden Beweis geliefert. Die Regierung hat sich auch wohl
gehütet, die Gerichte anders als in ganz zwingenden Fällen in Anspruch zu


Die Anträge der elsaß-lothringischen Regierung

aber diese Kundgebungen, die nebenbei beim Zentrum mit vielen Entschuldigungen
für den Missetäter verbrämt waren, entsprangen keineswegs dem nationalen
Verantwortlichkeitsgefühl, sondern in erster Linie der Besorgnis, Wetterlös
Reden könnten die in jener Zeit ohnehin so gespannten Beziehungen zwischen
Frankreich und Deutschland noch weiter verschärfen und die Kriegsgefahr erhöhen.
Im übrigen aber wird der Nationalismus von den einzelnen Parteien immer
nur dann bekämpft, wenn er sich bei einer anderen Partei zeigt. Im eigenen
Lager übt man eine weitgehende Toleranz und duldet nicht nur die alles
Deutsche verabscheuenden nationalistischen Vereine, sondern auch die nationalistischen
Blätter, die systematisch das Ansehen des Deutschtums untergraben und fran¬
zösische Kultur, französische Einrichtungen und Anschauungen in allen Tonarten
preisen und ihre politischen Betrachtungen ganz unter dem Gesichtswinkel der
politischen und Geschichtsauffassungen Frankreichs anstellen. Ja selbst die viel
gerühmte und bei den Jnterpellationsdebatten über die Anträge der Regierung
wieder gefeierte Niederwerfung einiger rationalistischer Führer bei den ersten
Wahlen zum elsaß-lothringischen Landtag im Jahre 1911 erweist sich für den¬
jenigen, der die Dinge aus der Nähe betrachtet hat, keineswegs als eine
Niederlage des Nationalismus. Denn um die klerikalen, oder dem Zentrum
nahestehenden Nationalisten Laugel, Preiß, Blumenthal zur Strecke zu bringen,
mußte die Gegenseite den demokratischen Nationalismus zu Hilfe rufen und
ihm einen recht beträchtlichen Einfluß einräumen. Also weniger dem Nationalismus
als dem Klerikalismus galt der Kampf, und von der Kraft der Parteien und
des Volkes, sich selbst von den nationalistischen Hetzern zu befreien, hat man
auch da herzlich wenig verspürt.

So hat die elsaß-lothringische Negierung tatsächlich keinen Grund, die bei
der Begründung der Mißbilligungsresolution in der Zweiten Kammer abgegebenen
vollklingenden Versicherungen für etwas anderes zu halten, als für ein Mittel,
ihr Vorgehen vor dem Lande ins Unrecht zu setzen. Daher hätte der Staats-
sekretär Freiherr Zorn von Bulach sich die Anerkennung, daß die Zweite
Kammer sich so einmütig gegen die Nationalisten ausgesprochen habe, ruhig
sparen können.

Auch der Einwand, daß der elsaß-lothringischen Regierung jetzt schon aus¬
reichende Möglichkeiten gegeben seien, deutsch-feindlichen Treibereien ein Ende
zu machen, da sie im Notfall ja die Gerichte anrufen könne, ist wenig stich¬
haltig. Nur in Ausnahmefällen wird es gelingen, die nationalistischen Feinde
des Deutschtums auf einer strafrechtlich belangbaren Handlung zu ertappen.
So vorsichtig sind die Herren schon, daß sie den Schlingen des Strafgesetzbuches
aus dem Wege gehen. Dafür hat die Freisprechung des Souvenirpräsidenten
Jean vor dem Metzer Schöffengericht, die von klerikalen und demokratischen
Zeitungen als eine neue Niederlage der Regierung gefeiert wird, erst jetzt
wieder einen schlagenden Beweis geliefert. Die Regierung hat sich auch wohl
gehütet, die Gerichte anders als in ganz zwingenden Fällen in Anspruch zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/505>, abgerufen am 27.07.2024.