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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Weltpolitik nach der Orientkrisis

Sir Edwards ja recht deutlich ausgesprochen sind. Ist das alles richtig, dann
würde England einer stärkeren deutschen Expansion in Zentrafrika nicht feindlich
gegenüberstehen und auch an seiner Seite stehen, wenn in diesen Gebieten Neu¬
ordnungen Platz greifen würden, wie sie z. B. der vielberufene Geheimvertrag
zwischen England und Deutschland über Portugiesisch - Südwestafrika von 1898
schon vor Jahren als möglich in Aussicht nahm. Im einzelnen darauf einzu¬
gehen, ist gar nicht möglich, da hier in dieser Beziehung alles hypothetisch ist.
Und leicht wird es nicht sein, Fragen, wie z. B. das Katanga-Problem, in dem
Sinne zu lösen, wie ihn unsere Schrift anscheinend für möglich hält.

Darin aber stimmen wir mit ihr überein und darin liegt ihr Verdienst,
daß sie auf zweierlei so entschieden hinweist: auf die unbedingte Notwendigkeit
für Deutschland, sein Kapital und überhaupt seine expansiven Kräfte stärker in
Zentralafrika zu entwickeln, und zweitens, daß eine deutsche Expansion über¬
haupt und unter allen Umständen nur möglich ist unter Zustimmung Englands.
Diese Zustimmung muß Deutschland entweder freundschaftlich erwerben oder
sich erkämpfen. Jetzt liegt erfreulicherweise die erstere Alternative im Bereich
des Möglichen, nachdem es lange Jahre geschienen hatte, als könne sich
Deutschland die Ellbogenfreiheit nur in einem Kriege mit England erkämpfen.
Und wenn hier mit aller Vorsicht und gutem Willen weiter gearbeitet wird,
so ist wohl auch möglich und zu hoffen, daß dauernde Früchte daraus er¬
wachsen. Immer und immer wieder muß unsere öffentliche Meinung auf das
Unerbittliche dieser Situation hingewiesen werden und muß sie bei jeder Einzel¬
frage die Erwägung anstellen, ob sie ein Durchbiegen mit allen Mitteln und
allem Risiko wert ist und ob die allgemeine Situation Deutschlands das ge¬
stattet, die, wie zum Überfluß nochmals betont werden mag. von jenen beiden
oben bezeichneten Grundtatsachen nicht abweichen darf. Wir glauben, daß bei
aller Schwierigkeit der Probleme, die sowohl in Afrika wie in Vorderasien
liegen, zwischen Deutschland und Englrmd auf diesem Wege erfolgreich und
freundschaftlich weitergegangen werden kann und daß die Hoffnungen unserer
Schrift in gewissem Maße berechtigt sind. Nur müssen wir uns dabei völlig
von der Vorstellung frei machen, als ob uns bei diesen Auseinandersetzungen
etwas eigentlich bereits gehöre. Ein Recht auf koloniale Gebiete hat nur,
wer die Macht hat. Die hat England in Ägypten und in Südafrika und
anderswo gehabt. Und die damit gegebene Situation muß jede ernsthafte Er¬
örterung bei uns einfach akzeptieren. Die oft angestellte Erwägung, daß
England sich so viel erworben habe und wir nichts, daß gewissermaßen erst
eine Rechnung über alles das aus den letzten zwei oder drei Jahrzehnten auf¬
gestellt werden müsse, ist, wenn sie menschlich auch erklärlich ist, politisch einfach
naiv und scheidet aus jeder ernsthaften Diskussion mit den anderen, aus der
wir für uns etwas wollen, aus.

Es sind nicht gerade einfache und mit wenigen Schlagworten auszudrückende
Gedankengänge, die durch diese Broschüre ausgelöst werden. Das ist aber


Deutsche Weltpolitik nach der Orientkrisis

Sir Edwards ja recht deutlich ausgesprochen sind. Ist das alles richtig, dann
würde England einer stärkeren deutschen Expansion in Zentrafrika nicht feindlich
gegenüberstehen und auch an seiner Seite stehen, wenn in diesen Gebieten Neu¬
ordnungen Platz greifen würden, wie sie z. B. der vielberufene Geheimvertrag
zwischen England und Deutschland über Portugiesisch - Südwestafrika von 1898
schon vor Jahren als möglich in Aussicht nahm. Im einzelnen darauf einzu¬
gehen, ist gar nicht möglich, da hier in dieser Beziehung alles hypothetisch ist.
Und leicht wird es nicht sein, Fragen, wie z. B. das Katanga-Problem, in dem
Sinne zu lösen, wie ihn unsere Schrift anscheinend für möglich hält.

Darin aber stimmen wir mit ihr überein und darin liegt ihr Verdienst,
daß sie auf zweierlei so entschieden hinweist: auf die unbedingte Notwendigkeit
für Deutschland, sein Kapital und überhaupt seine expansiven Kräfte stärker in
Zentralafrika zu entwickeln, und zweitens, daß eine deutsche Expansion über¬
haupt und unter allen Umständen nur möglich ist unter Zustimmung Englands.
Diese Zustimmung muß Deutschland entweder freundschaftlich erwerben oder
sich erkämpfen. Jetzt liegt erfreulicherweise die erstere Alternative im Bereich
des Möglichen, nachdem es lange Jahre geschienen hatte, als könne sich
Deutschland die Ellbogenfreiheit nur in einem Kriege mit England erkämpfen.
Und wenn hier mit aller Vorsicht und gutem Willen weiter gearbeitet wird,
so ist wohl auch möglich und zu hoffen, daß dauernde Früchte daraus er¬
wachsen. Immer und immer wieder muß unsere öffentliche Meinung auf das
Unerbittliche dieser Situation hingewiesen werden und muß sie bei jeder Einzel¬
frage die Erwägung anstellen, ob sie ein Durchbiegen mit allen Mitteln und
allem Risiko wert ist und ob die allgemeine Situation Deutschlands das ge¬
stattet, die, wie zum Überfluß nochmals betont werden mag. von jenen beiden
oben bezeichneten Grundtatsachen nicht abweichen darf. Wir glauben, daß bei
aller Schwierigkeit der Probleme, die sowohl in Afrika wie in Vorderasien
liegen, zwischen Deutschland und Englrmd auf diesem Wege erfolgreich und
freundschaftlich weitergegangen werden kann und daß die Hoffnungen unserer
Schrift in gewissem Maße berechtigt sind. Nur müssen wir uns dabei völlig
von der Vorstellung frei machen, als ob uns bei diesen Auseinandersetzungen
etwas eigentlich bereits gehöre. Ein Recht auf koloniale Gebiete hat nur,
wer die Macht hat. Die hat England in Ägypten und in Südafrika und
anderswo gehabt. Und die damit gegebene Situation muß jede ernsthafte Er¬
örterung bei uns einfach akzeptieren. Die oft angestellte Erwägung, daß
England sich so viel erworben habe und wir nichts, daß gewissermaßen erst
eine Rechnung über alles das aus den letzten zwei oder drei Jahrzehnten auf¬
gestellt werden müsse, ist, wenn sie menschlich auch erklärlich ist, politisch einfach
naiv und scheidet aus jeder ernsthaften Diskussion mit den anderen, aus der
wir für uns etwas wollen, aus.

Es sind nicht gerade einfache und mit wenigen Schlagworten auszudrückende
Gedankengänge, die durch diese Broschüre ausgelöst werden. Das ist aber


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[0462] Deutsche Weltpolitik nach der Orientkrisis Sir Edwards ja recht deutlich ausgesprochen sind. Ist das alles richtig, dann würde England einer stärkeren deutschen Expansion in Zentrafrika nicht feindlich gegenüberstehen und auch an seiner Seite stehen, wenn in diesen Gebieten Neu¬ ordnungen Platz greifen würden, wie sie z. B. der vielberufene Geheimvertrag zwischen England und Deutschland über Portugiesisch - Südwestafrika von 1898 schon vor Jahren als möglich in Aussicht nahm. Im einzelnen darauf einzu¬ gehen, ist gar nicht möglich, da hier in dieser Beziehung alles hypothetisch ist. Und leicht wird es nicht sein, Fragen, wie z. B. das Katanga-Problem, in dem Sinne zu lösen, wie ihn unsere Schrift anscheinend für möglich hält. Darin aber stimmen wir mit ihr überein und darin liegt ihr Verdienst, daß sie auf zweierlei so entschieden hinweist: auf die unbedingte Notwendigkeit für Deutschland, sein Kapital und überhaupt seine expansiven Kräfte stärker in Zentralafrika zu entwickeln, und zweitens, daß eine deutsche Expansion über¬ haupt und unter allen Umständen nur möglich ist unter Zustimmung Englands. Diese Zustimmung muß Deutschland entweder freundschaftlich erwerben oder sich erkämpfen. Jetzt liegt erfreulicherweise die erstere Alternative im Bereich des Möglichen, nachdem es lange Jahre geschienen hatte, als könne sich Deutschland die Ellbogenfreiheit nur in einem Kriege mit England erkämpfen. Und wenn hier mit aller Vorsicht und gutem Willen weiter gearbeitet wird, so ist wohl auch möglich und zu hoffen, daß dauernde Früchte daraus er¬ wachsen. Immer und immer wieder muß unsere öffentliche Meinung auf das Unerbittliche dieser Situation hingewiesen werden und muß sie bei jeder Einzel¬ frage die Erwägung anstellen, ob sie ein Durchbiegen mit allen Mitteln und allem Risiko wert ist und ob die allgemeine Situation Deutschlands das ge¬ stattet, die, wie zum Überfluß nochmals betont werden mag. von jenen beiden oben bezeichneten Grundtatsachen nicht abweichen darf. Wir glauben, daß bei aller Schwierigkeit der Probleme, die sowohl in Afrika wie in Vorderasien liegen, zwischen Deutschland und Englrmd auf diesem Wege erfolgreich und freundschaftlich weitergegangen werden kann und daß die Hoffnungen unserer Schrift in gewissem Maße berechtigt sind. Nur müssen wir uns dabei völlig von der Vorstellung frei machen, als ob uns bei diesen Auseinandersetzungen etwas eigentlich bereits gehöre. Ein Recht auf koloniale Gebiete hat nur, wer die Macht hat. Die hat England in Ägypten und in Südafrika und anderswo gehabt. Und die damit gegebene Situation muß jede ernsthafte Er¬ örterung bei uns einfach akzeptieren. Die oft angestellte Erwägung, daß England sich so viel erworben habe und wir nichts, daß gewissermaßen erst eine Rechnung über alles das aus den letzten zwei oder drei Jahrzehnten auf¬ gestellt werden müsse, ist, wenn sie menschlich auch erklärlich ist, politisch einfach naiv und scheidet aus jeder ernsthaften Diskussion mit den anderen, aus der wir für uns etwas wollen, aus. Es sind nicht gerade einfache und mit wenigen Schlagworten auszudrückende Gedankengänge, die durch diese Broschüre ausgelöst werden. Das ist aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/462>, abgerufen am 27.07.2024.