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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche lveltpolitik nach der Grientkrisis

Auffassung, als wenn Deutschland seine Expansion politisch auf diese Gebiete
ausdehnen solle, und versieht nur die Forderung stärkster wirtschaftlicher
Jnteressierung im ganzen zentralafrikanischen Gebiete mit Portugal und Belgien
zusammen, besonders zunächst in verkehrspolitischer Beziehung, für die
ganz Zentralafrika als ein einheitliches Gebiet behandelt werden müsse.
Es ist mißlich, sich auf dieses Terrain zu begeben, wo sofort Mißdeutungen
laut werden können und der andere Teil, in diesem Falle Belgien und
Portugal, stutzig werden muß. Immerhin kann ruhig der Zweifel aus¬
gesprochen werden, ob die beiden Staaten auf die Dauer in der Lage sein
werden, diese ihre Kolonien zu behaupten, ebenso wie ein solcher Zweifel in
bezug auf Holland und seine Südseekolonien ausgesprochen werden kann. Denn
die Geschichte der letzten Jahrzehnte zeigt, daß, je mehr die Weltpolitik die
ganze Erde umfaßt, um so mehr nur große Staaten darin dauernd mitsprechen
können. Deshalb wird ja z. B. die Idee des Balkanbundes über alle kleineren
Gegensätze hinaus mit elementarer Kraft wirksam bleiben, wenn überhaupt die
dort emporstrebenden Staaten irgend etwas bedeuten wollen. Und so ist es
auch in bezug auf das Mißverhältnis, das heute zwischen den beiden europäischen
Staaten Portugal und Belgien einerseits und ihrem Kolonialbesitz anderseits
besteht. Aber dergleichen im einzelnen zu erörtern, ist nicht opportun. Dagegen
ist allerdings für diesen Gedanken zu fragen, wie die wirklich großen Kolonial¬
mächte in Afrika zu einer Idee stehen, die auf eine stärkere wirtschaftliche Durch¬
dringung Zentralafrikas mit deutschem Kapital, deutscher Technik und Intelligenz
hinweist. Das sind Frankreich und England.




Die Austeilung Afrikas, die in den siebziger Jahren begann, ist in der
Hauptsache heute zum Stillstand gekommen, zu einem Stillstand, der ebenso¬
wenig wie alles Gewordene ewig zu sein braucht, mit dem aber für unsere
politischen Kombinationen gerechnet werden muß. England und Frankreich
haben sich durch das Abkommen von 1904 geeinigt, und die daraus für England
erfließenden Verpflichtungen sind mit dem Marokko -Kongo-Abkommen zwischen
Deutschland und Frankreich erledigt. Man darf wohl annehmen, daß Frank¬
reich, das ja mit Marokko reichlich zu tun hat, in bezug auf afrikanischen
Kolonialbesitz "saturiert" ist und daß es einer wirtschaftlichen Ausdehnung
Deutschlands in Zentralafrika nicht entgegentreten würde. So mühsam die
Verhandlungen 1911 waren, so ist doch aus ihnen der fruchtbare Gedanke her¬
vorgegangen einer Ausdehnung Deutschlands an eines der großen Stromsysteme
selbst. Diese Bedeutung des Abkommens vom November 1911 kann mit aller
absprechender Kritik an unseren neuen Erwerbungen nicht aus der Welt geschafft
werden, mit einer Kritik übrigens, der, auch wenn sie von Fachmännern aus
Augenschein geübt wird, immer die Unsicherheit ihrer Grundlage entgegengehalten
werden muß. Bekräftigt wird diese Auffassung und die Möglichkeit weiterer


Deutsche lveltpolitik nach der Grientkrisis

Auffassung, als wenn Deutschland seine Expansion politisch auf diese Gebiete
ausdehnen solle, und versieht nur die Forderung stärkster wirtschaftlicher
Jnteressierung im ganzen zentralafrikanischen Gebiete mit Portugal und Belgien
zusammen, besonders zunächst in verkehrspolitischer Beziehung, für die
ganz Zentralafrika als ein einheitliches Gebiet behandelt werden müsse.
Es ist mißlich, sich auf dieses Terrain zu begeben, wo sofort Mißdeutungen
laut werden können und der andere Teil, in diesem Falle Belgien und
Portugal, stutzig werden muß. Immerhin kann ruhig der Zweifel aus¬
gesprochen werden, ob die beiden Staaten auf die Dauer in der Lage sein
werden, diese ihre Kolonien zu behaupten, ebenso wie ein solcher Zweifel in
bezug auf Holland und seine Südseekolonien ausgesprochen werden kann. Denn
die Geschichte der letzten Jahrzehnte zeigt, daß, je mehr die Weltpolitik die
ganze Erde umfaßt, um so mehr nur große Staaten darin dauernd mitsprechen
können. Deshalb wird ja z. B. die Idee des Balkanbundes über alle kleineren
Gegensätze hinaus mit elementarer Kraft wirksam bleiben, wenn überhaupt die
dort emporstrebenden Staaten irgend etwas bedeuten wollen. Und so ist es
auch in bezug auf das Mißverhältnis, das heute zwischen den beiden europäischen
Staaten Portugal und Belgien einerseits und ihrem Kolonialbesitz anderseits
besteht. Aber dergleichen im einzelnen zu erörtern, ist nicht opportun. Dagegen
ist allerdings für diesen Gedanken zu fragen, wie die wirklich großen Kolonial¬
mächte in Afrika zu einer Idee stehen, die auf eine stärkere wirtschaftliche Durch¬
dringung Zentralafrikas mit deutschem Kapital, deutscher Technik und Intelligenz
hinweist. Das sind Frankreich und England.




Die Austeilung Afrikas, die in den siebziger Jahren begann, ist in der
Hauptsache heute zum Stillstand gekommen, zu einem Stillstand, der ebenso¬
wenig wie alles Gewordene ewig zu sein braucht, mit dem aber für unsere
politischen Kombinationen gerechnet werden muß. England und Frankreich
haben sich durch das Abkommen von 1904 geeinigt, und die daraus für England
erfließenden Verpflichtungen sind mit dem Marokko -Kongo-Abkommen zwischen
Deutschland und Frankreich erledigt. Man darf wohl annehmen, daß Frank¬
reich, das ja mit Marokko reichlich zu tun hat, in bezug auf afrikanischen
Kolonialbesitz „saturiert" ist und daß es einer wirtschaftlichen Ausdehnung
Deutschlands in Zentralafrika nicht entgegentreten würde. So mühsam die
Verhandlungen 1911 waren, so ist doch aus ihnen der fruchtbare Gedanke her¬
vorgegangen einer Ausdehnung Deutschlands an eines der großen Stromsysteme
selbst. Diese Bedeutung des Abkommens vom November 1911 kann mit aller
absprechender Kritik an unseren neuen Erwerbungen nicht aus der Welt geschafft
werden, mit einer Kritik übrigens, der, auch wenn sie von Fachmännern aus
Augenschein geübt wird, immer die Unsicherheit ihrer Grundlage entgegengehalten
werden muß. Bekräftigt wird diese Auffassung und die Möglichkeit weiterer


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[0460] Deutsche lveltpolitik nach der Grientkrisis Auffassung, als wenn Deutschland seine Expansion politisch auf diese Gebiete ausdehnen solle, und versieht nur die Forderung stärkster wirtschaftlicher Jnteressierung im ganzen zentralafrikanischen Gebiete mit Portugal und Belgien zusammen, besonders zunächst in verkehrspolitischer Beziehung, für die ganz Zentralafrika als ein einheitliches Gebiet behandelt werden müsse. Es ist mißlich, sich auf dieses Terrain zu begeben, wo sofort Mißdeutungen laut werden können und der andere Teil, in diesem Falle Belgien und Portugal, stutzig werden muß. Immerhin kann ruhig der Zweifel aus¬ gesprochen werden, ob die beiden Staaten auf die Dauer in der Lage sein werden, diese ihre Kolonien zu behaupten, ebenso wie ein solcher Zweifel in bezug auf Holland und seine Südseekolonien ausgesprochen werden kann. Denn die Geschichte der letzten Jahrzehnte zeigt, daß, je mehr die Weltpolitik die ganze Erde umfaßt, um so mehr nur große Staaten darin dauernd mitsprechen können. Deshalb wird ja z. B. die Idee des Balkanbundes über alle kleineren Gegensätze hinaus mit elementarer Kraft wirksam bleiben, wenn überhaupt die dort emporstrebenden Staaten irgend etwas bedeuten wollen. Und so ist es auch in bezug auf das Mißverhältnis, das heute zwischen den beiden europäischen Staaten Portugal und Belgien einerseits und ihrem Kolonialbesitz anderseits besteht. Aber dergleichen im einzelnen zu erörtern, ist nicht opportun. Dagegen ist allerdings für diesen Gedanken zu fragen, wie die wirklich großen Kolonial¬ mächte in Afrika zu einer Idee stehen, die auf eine stärkere wirtschaftliche Durch¬ dringung Zentralafrikas mit deutschem Kapital, deutscher Technik und Intelligenz hinweist. Das sind Frankreich und England. Die Austeilung Afrikas, die in den siebziger Jahren begann, ist in der Hauptsache heute zum Stillstand gekommen, zu einem Stillstand, der ebenso¬ wenig wie alles Gewordene ewig zu sein braucht, mit dem aber für unsere politischen Kombinationen gerechnet werden muß. England und Frankreich haben sich durch das Abkommen von 1904 geeinigt, und die daraus für England erfließenden Verpflichtungen sind mit dem Marokko -Kongo-Abkommen zwischen Deutschland und Frankreich erledigt. Man darf wohl annehmen, daß Frank¬ reich, das ja mit Marokko reichlich zu tun hat, in bezug auf afrikanischen Kolonialbesitz „saturiert" ist und daß es einer wirtschaftlichen Ausdehnung Deutschlands in Zentralafrika nicht entgegentreten würde. So mühsam die Verhandlungen 1911 waren, so ist doch aus ihnen der fruchtbare Gedanke her¬ vorgegangen einer Ausdehnung Deutschlands an eines der großen Stromsysteme selbst. Diese Bedeutung des Abkommens vom November 1911 kann mit aller absprechender Kritik an unseren neuen Erwerbungen nicht aus der Welt geschafft werden, mit einer Kritik übrigens, der, auch wenn sie von Fachmännern aus Augenschein geübt wird, immer die Unsicherheit ihrer Grundlage entgegengehalten werden muß. Bekräftigt wird diese Auffassung und die Möglichkeit weiterer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/460>, abgerufen am 28.07.2024.