Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Aulturgeschichte Machiavellr als Psychologe. Bei kaum Fürsten kann und soll der gewöhnliche Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Aulturgeschichte Machiavellr als Psychologe. Bei kaum Fürsten kann und soll der gewöhnliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325966"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> </div> <div n="2"> <head> Aulturgeschichte</head> <div n="3"> <head> Machiavellr als Psychologe.</head> <p xml:id="ID_2050" next="#ID_2051"> Bei kaum<lb/> einer zweiten Persönlichkeit der politischen und<lb/> Kulturgeschichte derMenschheitist die Forderung,<lb/> den Menschen, seine Lehre und sein Werk aus<lb/> ihren geschichtlichen Bedingungen heraus zu<lb/> verstehen, so unerläßlich, wie bei dem ersten<lb/> selbständigen Staatsphilosophen der Neuzeit,<lb/> bei Nikolaus Machiavelli, Man gewinnt am<lb/> besten einen Einblick in diese geschichtlichen<lb/> Bedingungen, wenn man sich klar macht,<lb/> welche Veranlassungen das Renaissancezeitalter<lb/> hatte, sich mit den politischen Problemen aus¬<lb/> einanderzusetzen. Für die Renaissance im<lb/> weitesten Sinne des Wortes kann auf die<lb/> Tatsache hingewiesen werden, daß der Huma¬<lb/> nismus mit der allgemeinen Wiederbelebung<lb/> der Antike zugleich auch die großartigen<lb/> politischen Staatsideale des Altertums wieder<lb/> in den Mittelpunkt des Interesses rückte. So<lb/> kann z. B. die „Civitas Solis" (der Sonnen¬<lb/> staat) des Campanella — ein Buch, daS in<lb/> der Geschichte der sozialistischen Staatsuto¬<lb/> pien eine Rolle gespielt hat — als neuzeit¬<lb/> liches Gegenstück der „Politeia" des Platon<lb/> angesehen werden. Für die italienische Re¬<lb/> naissance im besonderen hat Jakob Burckhardt<lb/> uns in seinem bekannten Werke gezeigt, wie<lb/> in Italien der mächtigste Grund zu der so<lb/> frühzeitigen Ausbildung des Jtalieners zum<lb/> modernen Menschen in den Politischen Ver¬<lb/> hältnissen dieses Landes gelegen war. Die<lb/> Renciiffancephilosophie wollte sich losmachen<lb/> von den philosophischen und kirchlichen Auto¬<lb/> ritäten der Scholastik, insbesondere auch auf<lb/> dem Gebiete der Rechts- und Staatslehre.<lb/> War das mittelalterliche StaalSideal die<lb/> Vereinigung von Staat und Kirche, so<lb/> forderte Machiavelli deren völlige Trennung.<lb/> Er stellt das durchaus moderne Ideal des<lb/> unabhängigen Nationalstaates auf, dabei in<lb/> glühendem Patriotismus immer zunächst an<lb/> sein geliebtes Italien denkend. Durch welche<lb/> Mittel läßt sich ein zerrüttetes Staatswesen —so<lb/> wie es Machiavelli zu seiner Zeit in seinem Vater¬<lb/> lande in lebendigem Beispiel vor sich sah —<lb/> nieder aufrichten? Nur durch die Herrschaft<lb/> eines Fürsten von unbeugsamer Tatkraft, der<lb/> die Schlauheit des Fuchses mit der Stärke<lb/> des Löwen vereinigt. Für einen solchen</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_2051" prev="#ID_2050" next="#ID_2052"> Fürsten kann und soll der gewöhnliche<lb/> „bürgerliche" Moralkodex nicht verbindlich<lb/> sein. Seine Mittel werden einzig durch den<lb/> Erfolg gerechtfertigt. Böse und verwerflich<lb/> sind bei ihm nur die halben Maßnahmen,<lb/> das Schwanken. Gut und erstrebenswert ist<lb/> für ihn unter allen Umständen die den Er¬<lb/> folg verbürgende Tatkraft. Von diesen Ge¬<lb/> danken ist das berühmte vielgelesene Buch<lb/> „Vom Fürsten" getragen, eines der am<lb/> meisten geschmähten und ungerecht beurteilten<lb/> Werke der Weltliteratur. Wir wissen, daß<lb/> Friedrich der Große als junger Prinz seinen<lb/> „Antimachicwelli" schrieb, um die Menschheit<lb/> vor jenem „Ungeheuer" zu retten, das sie<lb/> zu verderben drohe. Die leidenschaftliche<lb/> Entrüstung macht der Gesinnung des jungen<lb/> Friedrich alle Ehre, wird aber der tatsäch¬<lb/> lichen Bedeutung des Machiavellischen Werkes<lb/> keineswegs gerecht und erfüllt nicht die For¬<lb/> derung, diesen Mann und sein Werk durch¬<lb/> aus aus ihren geschichtlichen Bedingungen<lb/> heraus zu deuten. Auf alle diese Dinge,<lb/> die zur Beurteilung des großen italienischen<lb/> Staatsphilosophen herangezogen werden<lb/> müssen, soll an dieser Stelle nicht einge¬<lb/> gangen werden. Sie sind in der Fnch-<lb/> literatur genügend behandelt. Dagegen soll<lb/> auf ein anderes Moment nachdrücklich hin¬<lb/> gewiesen werden, daS meines Wissens noch<lb/> niemals in? besonderen zur Klarlegung des<lb/> inneren Wesens des Menschen Machiavelli<lb/> und seines Werkes herangezogen worden ist!<lb/> auf die Tatsache, daß der große Italiener<lb/> — ganz abgesehen von seiner Politischen und<lb/> staatsphilosvphischen Begabung — anch ein<lb/> außerordentlich scharfer Beobachter und fein¬<lb/> sinniger Psychologe in allgemein menschlichen<lb/> Dingen war. Auch den Psychologen Machi¬<lb/> avelli muß man kennen, wenn man den<lb/> Staatsphilosophen Machiavelli verstehen will.<lb/> Aus dem vielgeschmähten Vnche vom Fürsten<lb/> — dem „Fürstenspiegel", wie man es<lb/> neuerdings treffend genannt hat —<lb/> seien ein Paar Beiträge zur Psychologie<lb/> dieses bedeutenden Mannes angeführt:<lb/> „Die Menschen, die das ausführen was sie<lb/> können, werden stets gelobt und nicht ge¬<lb/> tadelt; wollen sie aber um jeden Preis etwas<lb/> ausführen was sie nicht können, so handeln<lb/> sie verkehrt und verdienen Tadel." „Da</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0446]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Aulturgeschichte Machiavellr als Psychologe. Bei kaum
einer zweiten Persönlichkeit der politischen und
Kulturgeschichte derMenschheitist die Forderung,
den Menschen, seine Lehre und sein Werk aus
ihren geschichtlichen Bedingungen heraus zu
verstehen, so unerläßlich, wie bei dem ersten
selbständigen Staatsphilosophen der Neuzeit,
bei Nikolaus Machiavelli, Man gewinnt am
besten einen Einblick in diese geschichtlichen
Bedingungen, wenn man sich klar macht,
welche Veranlassungen das Renaissancezeitalter
hatte, sich mit den politischen Problemen aus¬
einanderzusetzen. Für die Renaissance im
weitesten Sinne des Wortes kann auf die
Tatsache hingewiesen werden, daß der Huma¬
nismus mit der allgemeinen Wiederbelebung
der Antike zugleich auch die großartigen
politischen Staatsideale des Altertums wieder
in den Mittelpunkt des Interesses rückte. So
kann z. B. die „Civitas Solis" (der Sonnen¬
staat) des Campanella — ein Buch, daS in
der Geschichte der sozialistischen Staatsuto¬
pien eine Rolle gespielt hat — als neuzeit¬
liches Gegenstück der „Politeia" des Platon
angesehen werden. Für die italienische Re¬
naissance im besonderen hat Jakob Burckhardt
uns in seinem bekannten Werke gezeigt, wie
in Italien der mächtigste Grund zu der so
frühzeitigen Ausbildung des Jtalieners zum
modernen Menschen in den Politischen Ver¬
hältnissen dieses Landes gelegen war. Die
Renciiffancephilosophie wollte sich losmachen
von den philosophischen und kirchlichen Auto¬
ritäten der Scholastik, insbesondere auch auf
dem Gebiete der Rechts- und Staatslehre.
War das mittelalterliche StaalSideal die
Vereinigung von Staat und Kirche, so
forderte Machiavelli deren völlige Trennung.
Er stellt das durchaus moderne Ideal des
unabhängigen Nationalstaates auf, dabei in
glühendem Patriotismus immer zunächst an
sein geliebtes Italien denkend. Durch welche
Mittel läßt sich ein zerrüttetes Staatswesen —so
wie es Machiavelli zu seiner Zeit in seinem Vater¬
lande in lebendigem Beispiel vor sich sah —
nieder aufrichten? Nur durch die Herrschaft
eines Fürsten von unbeugsamer Tatkraft, der
die Schlauheit des Fuchses mit der Stärke
des Löwen vereinigt. Für einen solchen
Fürsten kann und soll der gewöhnliche
„bürgerliche" Moralkodex nicht verbindlich
sein. Seine Mittel werden einzig durch den
Erfolg gerechtfertigt. Böse und verwerflich
sind bei ihm nur die halben Maßnahmen,
das Schwanken. Gut und erstrebenswert ist
für ihn unter allen Umständen die den Er¬
folg verbürgende Tatkraft. Von diesen Ge¬
danken ist das berühmte vielgelesene Buch
„Vom Fürsten" getragen, eines der am
meisten geschmähten und ungerecht beurteilten
Werke der Weltliteratur. Wir wissen, daß
Friedrich der Große als junger Prinz seinen
„Antimachicwelli" schrieb, um die Menschheit
vor jenem „Ungeheuer" zu retten, das sie
zu verderben drohe. Die leidenschaftliche
Entrüstung macht der Gesinnung des jungen
Friedrich alle Ehre, wird aber der tatsäch¬
lichen Bedeutung des Machiavellischen Werkes
keineswegs gerecht und erfüllt nicht die For¬
derung, diesen Mann und sein Werk durch¬
aus aus ihren geschichtlichen Bedingungen
heraus zu deuten. Auf alle diese Dinge,
die zur Beurteilung des großen italienischen
Staatsphilosophen herangezogen werden
müssen, soll an dieser Stelle nicht einge¬
gangen werden. Sie sind in der Fnch-
literatur genügend behandelt. Dagegen soll
auf ein anderes Moment nachdrücklich hin¬
gewiesen werden, daS meines Wissens noch
niemals in? besonderen zur Klarlegung des
inneren Wesens des Menschen Machiavelli
und seines Werkes herangezogen worden ist!
auf die Tatsache, daß der große Italiener
— ganz abgesehen von seiner Politischen und
staatsphilosvphischen Begabung — anch ein
außerordentlich scharfer Beobachter und fein¬
sinniger Psychologe in allgemein menschlichen
Dingen war. Auch den Psychologen Machi¬
avelli muß man kennen, wenn man den
Staatsphilosophen Machiavelli verstehen will.
Aus dem vielgeschmähten Vnche vom Fürsten
— dem „Fürstenspiegel", wie man es
neuerdings treffend genannt hat —
seien ein Paar Beiträge zur Psychologie
dieses bedeutenden Mannes angeführt:
„Die Menschen, die das ausführen was sie
können, werden stets gelobt und nicht ge¬
tadelt; wollen sie aber um jeden Preis etwas
ausführen was sie nicht können, so handeln
sie verkehrt und verdienen Tadel." „Da
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