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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Lnül Ludwig contra Richard Wagner

von jenen Werken, ein denen unser Gedenken an ihn heute vor allem haftet:
es ist sein Wertherbekenntnis, das demi Massengefühl von damals, der blau¬
befrackten und gelbgehosten Sentimentalität der Zeit entgegenkam.

In solchen Fällen wie diesen hier spendet die Zeit gern frühen Ruhm,
obwohl sie auch das Götterkind aus Salzburg in pekuniären Elend hat sterben
lassen.

Wer aber als Künstler Wege geht, auf denen die Zeit nicht ihr Sentiment,
nicht ihr Pathos, nicht ihre Tragik zu finden meint, der ist meist um den
erlebten Erfolg seines Werkes betrogen. Beethoven stirbt unermessen, Hölderlin
muß ins Narrenhaus, Feuerbach muß -- das klassischste Beispiel -- umstritten
und meist verkannt, ein Fünfzigjähriger ins Grab. Und lächelnd mag man
sich vorstellen, was vor zwanzig Jahren, als Ibsen die Zentralsonne war, die
naturalistischen Schriftgelehrten und Kritiker über eine verfrühte Regung unserer
heutigen Neuromantik gesagt hätten I

Wagner ist eine unerhörte, ich möchte sagen napoleonische Ausnahme von
der Regel, die ich eben genannt habe.

Er war seiner Zeit fremd und hat sie doch zur Anerkennung gezwungen.
Mit genialer Menschenkenntnis und oft fast dämonischer Energie.

War etwa, bevor man in ihm die Apotheose auf die Versailler Kaiser¬
krönung erblickte, der Ring populär? Und klang etwa aus der Tristanpartitur
das Fühlen der Zeitgenossen? Derselben Zeit, die gerade damals in ihren
besten Köpfen den Materialismus von neuem gebar, die mit altem Kulturbesitz
aufräumte um schneller reich zu werden, dieser durchaus tüchtigen Zeit, die sich
anschickte, das Reich zu schmieden? Wie klingt in ihr der weltverlorene, nein
weltignorierende Rausch der Tristannacht?

Konnte Wagner eine feindseligere Öffentlichkeit finden, er, der mit Liszts
und etwa Hans von Bülows Ausnahme nicht eine Stütze unter damals bereits
geltenden Musikern fand, wohl aber eine Schar sich entsetzt von dem Neuerer
abwendender, zum Teil mit ebenso persönlichen Waffen fechtender Feinde?

Bewußt sah er sich im Gegensatz zu seiner Zeit, nahm bewußt halb und
halb im dunklen Drange genialer Selbstsucht den Kampf auf unter Nutzung
seiner persönlichen Suggestion, unter Nutzung aller modernen Propagandamittel
(vergleiche seine journalistische Sendung) und hat gesiegt. War, als erster
Künstler vielleicht, stärker als das Urteil serner Zeit.

Das scheints, vergibt ihm, nun da seine Technik des Erfolges, seine
Propagandamittel bekannt werden, das gemeine Urteil noch heute nicht. Die
Masse, die sich in ihren Bewertungen ihrer jeweiligen Künstler blamiert hat,
seit die Geschichte der Künste es aufzeichnet, diese Masse will sich nicht aus dem
Richteramt gedrängt sehen. Weiß sie einer, der ihre Schwächen kennt, zu
ködern, zu lenken, zu sich zu zwingen, just so, wie es Wagner verstanden hat,
so folgt sie, solange der Bezwinger lebt und persönlichst auf sie einwirkt.
Sieht sie später ein, daß sie um ihr seit Jahrhunderten verbrieftes Recht der
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Lnül Ludwig contra Richard Wagner

von jenen Werken, ein denen unser Gedenken an ihn heute vor allem haftet:
es ist sein Wertherbekenntnis, das demi Massengefühl von damals, der blau¬
befrackten und gelbgehosten Sentimentalität der Zeit entgegenkam.

In solchen Fällen wie diesen hier spendet die Zeit gern frühen Ruhm,
obwohl sie auch das Götterkind aus Salzburg in pekuniären Elend hat sterben
lassen.

Wer aber als Künstler Wege geht, auf denen die Zeit nicht ihr Sentiment,
nicht ihr Pathos, nicht ihre Tragik zu finden meint, der ist meist um den
erlebten Erfolg seines Werkes betrogen. Beethoven stirbt unermessen, Hölderlin
muß ins Narrenhaus, Feuerbach muß — das klassischste Beispiel — umstritten
und meist verkannt, ein Fünfzigjähriger ins Grab. Und lächelnd mag man
sich vorstellen, was vor zwanzig Jahren, als Ibsen die Zentralsonne war, die
naturalistischen Schriftgelehrten und Kritiker über eine verfrühte Regung unserer
heutigen Neuromantik gesagt hätten I

Wagner ist eine unerhörte, ich möchte sagen napoleonische Ausnahme von
der Regel, die ich eben genannt habe.

Er war seiner Zeit fremd und hat sie doch zur Anerkennung gezwungen.
Mit genialer Menschenkenntnis und oft fast dämonischer Energie.

War etwa, bevor man in ihm die Apotheose auf die Versailler Kaiser¬
krönung erblickte, der Ring populär? Und klang etwa aus der Tristanpartitur
das Fühlen der Zeitgenossen? Derselben Zeit, die gerade damals in ihren
besten Köpfen den Materialismus von neuem gebar, die mit altem Kulturbesitz
aufräumte um schneller reich zu werden, dieser durchaus tüchtigen Zeit, die sich
anschickte, das Reich zu schmieden? Wie klingt in ihr der weltverlorene, nein
weltignorierende Rausch der Tristannacht?

Konnte Wagner eine feindseligere Öffentlichkeit finden, er, der mit Liszts
und etwa Hans von Bülows Ausnahme nicht eine Stütze unter damals bereits
geltenden Musikern fand, wohl aber eine Schar sich entsetzt von dem Neuerer
abwendender, zum Teil mit ebenso persönlichen Waffen fechtender Feinde?

Bewußt sah er sich im Gegensatz zu seiner Zeit, nahm bewußt halb und
halb im dunklen Drange genialer Selbstsucht den Kampf auf unter Nutzung
seiner persönlichen Suggestion, unter Nutzung aller modernen Propagandamittel
(vergleiche seine journalistische Sendung) und hat gesiegt. War, als erster
Künstler vielleicht, stärker als das Urteil serner Zeit.

Das scheints, vergibt ihm, nun da seine Technik des Erfolges, seine
Propagandamittel bekannt werden, das gemeine Urteil noch heute nicht. Die
Masse, die sich in ihren Bewertungen ihrer jeweiligen Künstler blamiert hat,
seit die Geschichte der Künste es aufzeichnet, diese Masse will sich nicht aus dem
Richteramt gedrängt sehen. Weiß sie einer, der ihre Schwächen kennt, zu
ködern, zu lenken, zu sich zu zwingen, just so, wie es Wagner verstanden hat,
so folgt sie, solange der Bezwinger lebt und persönlichst auf sie einwirkt.
Sieht sie später ein, daß sie um ihr seit Jahrhunderten verbrieftes Recht der
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[0391] Lnül Ludwig contra Richard Wagner von jenen Werken, ein denen unser Gedenken an ihn heute vor allem haftet: es ist sein Wertherbekenntnis, das demi Massengefühl von damals, der blau¬ befrackten und gelbgehosten Sentimentalität der Zeit entgegenkam. In solchen Fällen wie diesen hier spendet die Zeit gern frühen Ruhm, obwohl sie auch das Götterkind aus Salzburg in pekuniären Elend hat sterben lassen. Wer aber als Künstler Wege geht, auf denen die Zeit nicht ihr Sentiment, nicht ihr Pathos, nicht ihre Tragik zu finden meint, der ist meist um den erlebten Erfolg seines Werkes betrogen. Beethoven stirbt unermessen, Hölderlin muß ins Narrenhaus, Feuerbach muß — das klassischste Beispiel — umstritten und meist verkannt, ein Fünfzigjähriger ins Grab. Und lächelnd mag man sich vorstellen, was vor zwanzig Jahren, als Ibsen die Zentralsonne war, die naturalistischen Schriftgelehrten und Kritiker über eine verfrühte Regung unserer heutigen Neuromantik gesagt hätten I Wagner ist eine unerhörte, ich möchte sagen napoleonische Ausnahme von der Regel, die ich eben genannt habe. Er war seiner Zeit fremd und hat sie doch zur Anerkennung gezwungen. Mit genialer Menschenkenntnis und oft fast dämonischer Energie. War etwa, bevor man in ihm die Apotheose auf die Versailler Kaiser¬ krönung erblickte, der Ring populär? Und klang etwa aus der Tristanpartitur das Fühlen der Zeitgenossen? Derselben Zeit, die gerade damals in ihren besten Köpfen den Materialismus von neuem gebar, die mit altem Kulturbesitz aufräumte um schneller reich zu werden, dieser durchaus tüchtigen Zeit, die sich anschickte, das Reich zu schmieden? Wie klingt in ihr der weltverlorene, nein weltignorierende Rausch der Tristannacht? Konnte Wagner eine feindseligere Öffentlichkeit finden, er, der mit Liszts und etwa Hans von Bülows Ausnahme nicht eine Stütze unter damals bereits geltenden Musikern fand, wohl aber eine Schar sich entsetzt von dem Neuerer abwendender, zum Teil mit ebenso persönlichen Waffen fechtender Feinde? Bewußt sah er sich im Gegensatz zu seiner Zeit, nahm bewußt halb und halb im dunklen Drange genialer Selbstsucht den Kampf auf unter Nutzung seiner persönlichen Suggestion, unter Nutzung aller modernen Propagandamittel (vergleiche seine journalistische Sendung) und hat gesiegt. War, als erster Künstler vielleicht, stärker als das Urteil serner Zeit. Das scheints, vergibt ihm, nun da seine Technik des Erfolges, seine Propagandamittel bekannt werden, das gemeine Urteil noch heute nicht. Die Masse, die sich in ihren Bewertungen ihrer jeweiligen Künstler blamiert hat, seit die Geschichte der Künste es aufzeichnet, diese Masse will sich nicht aus dem Richteramt gedrängt sehen. Weiß sie einer, der ihre Schwächen kennt, zu ködern, zu lenken, zu sich zu zwingen, just so, wie es Wagner verstanden hat, so folgt sie, solange der Bezwinger lebt und persönlichst auf sie einwirkt. Sieht sie später ein, daß sie um ihr seit Jahrhunderten verbrieftes Recht der * W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/391>, abgerufen am 27.07.2024.