Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Anselm Feuerbach und seine Zeit

Vornehmheit, gewomien aus Bildung, sittlicher Festigkeit und gewissen konser¬
vativen und leise nationalbewußteu Gefühlen. Bei Feuerbachs Familie ist dieser
Hochstand ins Außergewöhnliche erhoben. Sein Großvater väterlicherseits, Anselm
Ritter von Feuerbach, derselbe, der in dem Caspar-Hauser-Handel eine führende
und populäre Rolle zu spielen berufen war, genoß als Jurist eines internatio¬
nalen Rufes. Von seinen fünf Söhnen, deren jeder in einer Wissenschaft her¬
vorragte, sagte er selbst, daß ihr Ruhm den seinen verdunkle. Der bedeutendste
unter ihnen war Ludwig Feuerbach, dessen Philosophie vom Wesen des Christen¬
tums eine Zeitlang für das deutsche geistige Leben mitbestimmend war. Ein
gewisser theoretischer Zug ist ihnen allen eigen. Nur Anselm, der Vater des
Malers, zeigt durch die Wahl seiner Wissenschaft Hinneigung zur Kunst. Er
war Archäologe und hat in seinem Hauptwerk über den vatikanischen Apoll eine
tiefere künstlerische Anlage bewiesen. Lange nach seinem Tode schreibt der Sohn
an die Mutter über dieses Buch: "Ich lese Vaters griechische Plastik. . .. Daß
der verstorbene Vater so rein, so wahr, so groß sich vor mir aufrichtet, das
sind Dinge, die jeden Sohn packen und bewältigen müssen, aber davon rede
ich, von dem stillen Wunder der Natur, daß mir jetzt nach diesem Stück Leben,
ohne daß ich eine Ahnung hatte, was Vater geschrieben, daß mir jetzt sein
Geist dermaßen begegnet, indem ich bei ihm lese, was die Natur im stillen in
mir vorbereitet hatte, daß ich das lesen muß, wonach ich instinktiv in meiner
Kunst gerungen."

In der Tat erklärt sich der Charakter des Malers in manchem durch die
Wesensart dieses eigentümlichen, edlen, durchaus nicht unbedeutenden Mannes.
Er hatte früh verzichten gelernt, hatte ein kurzes Eheglück durch den Tod seiner
schönen und hochstehenden Frau gebüßt, war erst als Gymnasiallehrer, dann
als Professor an der Universität von Freiburg durch seine schönsten Jahre
hindurch an eine geringe Stellung verwiesen, sein bescheidener Lebenswunsch:
die Professur in Heidelberg erfüllte sich ihm nicht, Zeit seines Daseins hatte er
mit Geldsorgen zu kämpfen und als ihm endlich eine Reise nach Italien ver¬
gönnt war, war es eigentlich zu spät. Als ein müder Mann ging er hin.
müde kehrte er wieder. Das Glück, das ihm seine zweite Frau, Henriette
Heydenreich, ins Haus brachte, wird er kaum gewürdigt haben. Schmermut
befiel ihn, die letzten Jahre seines Lebens brachte er, vor der Zeit gealtert,
in Düsternis und Verbitterung zu. Unversöhnt mit der Welt und seinen:
Schicksal starb er.

Was Anselm, sein Sohn, von seiner früh Hingeschiedenen Mutter geerbt
haben mag, steht dahin: vom Vater erbte er den schnell umwölkten Geist; den
fast schon pathologischen Zug verbitterter Melancholie, ungerechter Abkehr von
der Umwelt. Die zweite Mutter, die ihn noch als Knaben bei ihrem Eintritt
ins Haus fand, war gewiß von der unschätzbarsten Bedeutung für seine mensch¬
liche und wohl auch künstlerische Entwicklung. Man kennt sie aus ihren
Briefen, die vor einem Jahr in Buchform (bei Meyer u. Jessen in Berlin)


Anselm Feuerbach und seine Zeit

Vornehmheit, gewomien aus Bildung, sittlicher Festigkeit und gewissen konser¬
vativen und leise nationalbewußteu Gefühlen. Bei Feuerbachs Familie ist dieser
Hochstand ins Außergewöhnliche erhoben. Sein Großvater väterlicherseits, Anselm
Ritter von Feuerbach, derselbe, der in dem Caspar-Hauser-Handel eine führende
und populäre Rolle zu spielen berufen war, genoß als Jurist eines internatio¬
nalen Rufes. Von seinen fünf Söhnen, deren jeder in einer Wissenschaft her¬
vorragte, sagte er selbst, daß ihr Ruhm den seinen verdunkle. Der bedeutendste
unter ihnen war Ludwig Feuerbach, dessen Philosophie vom Wesen des Christen¬
tums eine Zeitlang für das deutsche geistige Leben mitbestimmend war. Ein
gewisser theoretischer Zug ist ihnen allen eigen. Nur Anselm, der Vater des
Malers, zeigt durch die Wahl seiner Wissenschaft Hinneigung zur Kunst. Er
war Archäologe und hat in seinem Hauptwerk über den vatikanischen Apoll eine
tiefere künstlerische Anlage bewiesen. Lange nach seinem Tode schreibt der Sohn
an die Mutter über dieses Buch: „Ich lese Vaters griechische Plastik. . .. Daß
der verstorbene Vater so rein, so wahr, so groß sich vor mir aufrichtet, das
sind Dinge, die jeden Sohn packen und bewältigen müssen, aber davon rede
ich, von dem stillen Wunder der Natur, daß mir jetzt nach diesem Stück Leben,
ohne daß ich eine Ahnung hatte, was Vater geschrieben, daß mir jetzt sein
Geist dermaßen begegnet, indem ich bei ihm lese, was die Natur im stillen in
mir vorbereitet hatte, daß ich das lesen muß, wonach ich instinktiv in meiner
Kunst gerungen."

In der Tat erklärt sich der Charakter des Malers in manchem durch die
Wesensart dieses eigentümlichen, edlen, durchaus nicht unbedeutenden Mannes.
Er hatte früh verzichten gelernt, hatte ein kurzes Eheglück durch den Tod seiner
schönen und hochstehenden Frau gebüßt, war erst als Gymnasiallehrer, dann
als Professor an der Universität von Freiburg durch seine schönsten Jahre
hindurch an eine geringe Stellung verwiesen, sein bescheidener Lebenswunsch:
die Professur in Heidelberg erfüllte sich ihm nicht, Zeit seines Daseins hatte er
mit Geldsorgen zu kämpfen und als ihm endlich eine Reise nach Italien ver¬
gönnt war, war es eigentlich zu spät. Als ein müder Mann ging er hin.
müde kehrte er wieder. Das Glück, das ihm seine zweite Frau, Henriette
Heydenreich, ins Haus brachte, wird er kaum gewürdigt haben. Schmermut
befiel ihn, die letzten Jahre seines Lebens brachte er, vor der Zeit gealtert,
in Düsternis und Verbitterung zu. Unversöhnt mit der Welt und seinen:
Schicksal starb er.

Was Anselm, sein Sohn, von seiner früh Hingeschiedenen Mutter geerbt
haben mag, steht dahin: vom Vater erbte er den schnell umwölkten Geist; den
fast schon pathologischen Zug verbitterter Melancholie, ungerechter Abkehr von
der Umwelt. Die zweite Mutter, die ihn noch als Knaben bei ihrem Eintritt
ins Haus fand, war gewiß von der unschätzbarsten Bedeutung für seine mensch¬
liche und wohl auch künstlerische Entwicklung. Man kennt sie aus ihren
Briefen, die vor einem Jahr in Buchform (bei Meyer u. Jessen in Berlin)


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325841"/>
          <fw type="header" place="top"> Anselm Feuerbach und seine Zeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1284" prev="#ID_1283"> Vornehmheit, gewomien aus Bildung, sittlicher Festigkeit und gewissen konser¬<lb/>
vativen und leise nationalbewußteu Gefühlen. Bei Feuerbachs Familie ist dieser<lb/>
Hochstand ins Außergewöhnliche erhoben. Sein Großvater väterlicherseits, Anselm<lb/>
Ritter von Feuerbach, derselbe, der in dem Caspar-Hauser-Handel eine führende<lb/>
und populäre Rolle zu spielen berufen war, genoß als Jurist eines internatio¬<lb/>
nalen Rufes. Von seinen fünf Söhnen, deren jeder in einer Wissenschaft her¬<lb/>
vorragte, sagte er selbst, daß ihr Ruhm den seinen verdunkle. Der bedeutendste<lb/>
unter ihnen war Ludwig Feuerbach, dessen Philosophie vom Wesen des Christen¬<lb/>
tums eine Zeitlang für das deutsche geistige Leben mitbestimmend war. Ein<lb/>
gewisser theoretischer Zug ist ihnen allen eigen. Nur Anselm, der Vater des<lb/>
Malers, zeigt durch die Wahl seiner Wissenschaft Hinneigung zur Kunst. Er<lb/>
war Archäologe und hat in seinem Hauptwerk über den vatikanischen Apoll eine<lb/>
tiefere künstlerische Anlage bewiesen. Lange nach seinem Tode schreibt der Sohn<lb/>
an die Mutter über dieses Buch: &#x201E;Ich lese Vaters griechische Plastik. . .. Daß<lb/>
der verstorbene Vater so rein, so wahr, so groß sich vor mir aufrichtet, das<lb/>
sind Dinge, die jeden Sohn packen und bewältigen müssen, aber davon rede<lb/>
ich, von dem stillen Wunder der Natur, daß mir jetzt nach diesem Stück Leben,<lb/>
ohne daß ich eine Ahnung hatte, was Vater geschrieben, daß mir jetzt sein<lb/>
Geist dermaßen begegnet, indem ich bei ihm lese, was die Natur im stillen in<lb/>
mir vorbereitet hatte, daß ich das lesen muß, wonach ich instinktiv in meiner<lb/>
Kunst gerungen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1285"> In der Tat erklärt sich der Charakter des Malers in manchem durch die<lb/>
Wesensart dieses eigentümlichen, edlen, durchaus nicht unbedeutenden Mannes.<lb/>
Er hatte früh verzichten gelernt, hatte ein kurzes Eheglück durch den Tod seiner<lb/>
schönen und hochstehenden Frau gebüßt, war erst als Gymnasiallehrer, dann<lb/>
als Professor an der Universität von Freiburg durch seine schönsten Jahre<lb/>
hindurch an eine geringe Stellung verwiesen, sein bescheidener Lebenswunsch:<lb/>
die Professur in Heidelberg erfüllte sich ihm nicht, Zeit seines Daseins hatte er<lb/>
mit Geldsorgen zu kämpfen und als ihm endlich eine Reise nach Italien ver¬<lb/>
gönnt war, war es eigentlich zu spät. Als ein müder Mann ging er hin.<lb/>
müde kehrte er wieder. Das Glück, das ihm seine zweite Frau, Henriette<lb/>
Heydenreich, ins Haus brachte, wird er kaum gewürdigt haben. Schmermut<lb/>
befiel ihn, die letzten Jahre seines Lebens brachte er, vor der Zeit gealtert,<lb/>
in Düsternis und Verbitterung zu. Unversöhnt mit der Welt und seinen:<lb/>
Schicksal starb er.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1286" next="#ID_1287"> Was Anselm, sein Sohn, von seiner früh Hingeschiedenen Mutter geerbt<lb/>
haben mag, steht dahin: vom Vater erbte er den schnell umwölkten Geist; den<lb/>
fast schon pathologischen Zug verbitterter Melancholie, ungerechter Abkehr von<lb/>
der Umwelt. Die zweite Mutter, die ihn noch als Knaben bei ihrem Eintritt<lb/>
ins Haus fand, war gewiß von der unschätzbarsten Bedeutung für seine mensch¬<lb/>
liche und wohl auch künstlerische Entwicklung. Man kennt sie aus ihren<lb/>
Briefen, die vor einem Jahr in Buchform (bei Meyer u. Jessen in Berlin)</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0321] Anselm Feuerbach und seine Zeit Vornehmheit, gewomien aus Bildung, sittlicher Festigkeit und gewissen konser¬ vativen und leise nationalbewußteu Gefühlen. Bei Feuerbachs Familie ist dieser Hochstand ins Außergewöhnliche erhoben. Sein Großvater väterlicherseits, Anselm Ritter von Feuerbach, derselbe, der in dem Caspar-Hauser-Handel eine führende und populäre Rolle zu spielen berufen war, genoß als Jurist eines internatio¬ nalen Rufes. Von seinen fünf Söhnen, deren jeder in einer Wissenschaft her¬ vorragte, sagte er selbst, daß ihr Ruhm den seinen verdunkle. Der bedeutendste unter ihnen war Ludwig Feuerbach, dessen Philosophie vom Wesen des Christen¬ tums eine Zeitlang für das deutsche geistige Leben mitbestimmend war. Ein gewisser theoretischer Zug ist ihnen allen eigen. Nur Anselm, der Vater des Malers, zeigt durch die Wahl seiner Wissenschaft Hinneigung zur Kunst. Er war Archäologe und hat in seinem Hauptwerk über den vatikanischen Apoll eine tiefere künstlerische Anlage bewiesen. Lange nach seinem Tode schreibt der Sohn an die Mutter über dieses Buch: „Ich lese Vaters griechische Plastik. . .. Daß der verstorbene Vater so rein, so wahr, so groß sich vor mir aufrichtet, das sind Dinge, die jeden Sohn packen und bewältigen müssen, aber davon rede ich, von dem stillen Wunder der Natur, daß mir jetzt nach diesem Stück Leben, ohne daß ich eine Ahnung hatte, was Vater geschrieben, daß mir jetzt sein Geist dermaßen begegnet, indem ich bei ihm lese, was die Natur im stillen in mir vorbereitet hatte, daß ich das lesen muß, wonach ich instinktiv in meiner Kunst gerungen." In der Tat erklärt sich der Charakter des Malers in manchem durch die Wesensart dieses eigentümlichen, edlen, durchaus nicht unbedeutenden Mannes. Er hatte früh verzichten gelernt, hatte ein kurzes Eheglück durch den Tod seiner schönen und hochstehenden Frau gebüßt, war erst als Gymnasiallehrer, dann als Professor an der Universität von Freiburg durch seine schönsten Jahre hindurch an eine geringe Stellung verwiesen, sein bescheidener Lebenswunsch: die Professur in Heidelberg erfüllte sich ihm nicht, Zeit seines Daseins hatte er mit Geldsorgen zu kämpfen und als ihm endlich eine Reise nach Italien ver¬ gönnt war, war es eigentlich zu spät. Als ein müder Mann ging er hin. müde kehrte er wieder. Das Glück, das ihm seine zweite Frau, Henriette Heydenreich, ins Haus brachte, wird er kaum gewürdigt haben. Schmermut befiel ihn, die letzten Jahre seines Lebens brachte er, vor der Zeit gealtert, in Düsternis und Verbitterung zu. Unversöhnt mit der Welt und seinen: Schicksal starb er. Was Anselm, sein Sohn, von seiner früh Hingeschiedenen Mutter geerbt haben mag, steht dahin: vom Vater erbte er den schnell umwölkten Geist; den fast schon pathologischen Zug verbitterter Melancholie, ungerechter Abkehr von der Umwelt. Die zweite Mutter, die ihn noch als Knaben bei ihrem Eintritt ins Haus fand, war gewiß von der unschätzbarsten Bedeutung für seine mensch¬ liche und wohl auch künstlerische Entwicklung. Man kennt sie aus ihren Briefen, die vor einem Jahr in Buchform (bei Meyer u. Jessen in Berlin)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/321
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/321>, abgerufen am 27.07.2024.