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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der vorsichtige Freier

"Der Herzog gibt ihm eine Kompagnie," sagte einer boshaft.

Avinelli warf die Karten bald wieder hin und stand auf. Der Abbate
schob Avinellis Arm in den eigenen und ging mit ihm ins Freie; aber Avinelli
schwieg. Der laue Abend brachte ihm kein Behagen. Eine Karosse fuhr langsam
vorüber, in der die Frau von Cresnel neben demselben Kavalier mit dem
Ordenskreuz saß, mit dem sie am Morgen so eifrig gesprochen hatte; sie nickte
flüchtig zu seinem Gruß; ihr Begleiter dankte überhaupt nicht. Das war für
den Gekränkten zuviel; er wendete sich zu dem Abbate zurück und rief: "Jetzt
grüßt sie mich nicht, und vor zwei Nächten hat sie mich geküßt!"

Die Augen des Abbate wurden groß; sein ganzes Gesicht verzog sich in
Neugier und Staunen; noch ungläubig faßte er des Florentiners Arm und
fragte ihn aus, dabei zog er ihn in den Keller hinab zu den anderen, die noch
beim Spiel saßen; und da Avinelli das heftige Bedürfnis hatte, sich in ihren
Augen wieder zu heben, so schilderte er ihnen seine nächtlichen Liebeserlebnisse.
Wie wenn süße Milch gerinnen würde, so war es in seiner Seele, als er, was
so geheim und wonnig in seinem Empfinden gewesen, den frechen Gesellen
schamlos und boshaft preisgab. Der Abbate saß grinsend da und fletschte die
Zähne wie ein halbbefriedigtes Raubtier; die anderen begannen sogleich mit
eigenen Liebesabenteuern zu prahlen. Avinelli aber, der fühlte, daß ihm nicht
besser, nur schlimmer zu Mute geworden, fand die Erzählungen der anderen
greulich und rückte von ihnen fort. Da von draußen Musik ertönte, gingen
alle, das Fest auf demRathaus zu sehen, das der Gesandte der Republik Venedig gab.

Die bunten Fenster des Rathauses waren erleuchtet, einige standen offen
und ließen das Licht der kerzenhellen Säle herausschimmern. Unten an den
Pfeilern loderten mächtige Kienfackeln. Über die Stufen unter den Lauben und
vor dem Rathause waren rote Teppiche gelegt und eine Estrade errichtet. Alle
fünf Schritte stand ein Hatschier mit blinkendem Helm, auf die Hellebarde mit
grüngoldner Troddel gestützt, und hielt die Leute ab. Geputzte Herren und
Damen gingen die Treppen hinauf und herab und auf dem Teppich im Lichte
der farbigen Scheiben spazieren, die auf der roten Wolle ihr buntes Muster
flimmernd wiederspiegelten, während rings umher die dichte Meuge der Zuschauer
stand. Wenn die Musik schwieg, tönte auf dem stillen Platz, über den kein
Wagen fuhr, nur das leise festliche Gebrause wandelnder und redender Menschen.
Avinelli, der am Rande des roten Teppichs stand, sah Florence in ihrem
schwarzen Trauerkleide, ein Goldkettlein umgetan, hübscher und zierlicher als je,
von mehreren Herren umgeben, die sich um sie bemühten; die Wangen ihres
blassen Gesichts waren leicht gerötet; auf einen schien sie gespannt zu hören:
da sah sie Avinelli im Fackelschein, der im Gedränge nicht von der Stelle konnte.
Einen Augenblick schwand die Röte aus ihren Wangen, dann wendete sie sich
hochmütig ab, reichte dem schönen Kavalier an ihrer Seite den Arm und kehrte
in das Rathaus zurück. Jetzt schollen drei Trompetenstöße und die Gesandten
traten mit ihren Damen auf die Estrade. Avinelli sah die Herzogin, von


Der vorsichtige Freier

„Der Herzog gibt ihm eine Kompagnie," sagte einer boshaft.

Avinelli warf die Karten bald wieder hin und stand auf. Der Abbate
schob Avinellis Arm in den eigenen und ging mit ihm ins Freie; aber Avinelli
schwieg. Der laue Abend brachte ihm kein Behagen. Eine Karosse fuhr langsam
vorüber, in der die Frau von Cresnel neben demselben Kavalier mit dem
Ordenskreuz saß, mit dem sie am Morgen so eifrig gesprochen hatte; sie nickte
flüchtig zu seinem Gruß; ihr Begleiter dankte überhaupt nicht. Das war für
den Gekränkten zuviel; er wendete sich zu dem Abbate zurück und rief: „Jetzt
grüßt sie mich nicht, und vor zwei Nächten hat sie mich geküßt!"

Die Augen des Abbate wurden groß; sein ganzes Gesicht verzog sich in
Neugier und Staunen; noch ungläubig faßte er des Florentiners Arm und
fragte ihn aus, dabei zog er ihn in den Keller hinab zu den anderen, die noch
beim Spiel saßen; und da Avinelli das heftige Bedürfnis hatte, sich in ihren
Augen wieder zu heben, so schilderte er ihnen seine nächtlichen Liebeserlebnisse.
Wie wenn süße Milch gerinnen würde, so war es in seiner Seele, als er, was
so geheim und wonnig in seinem Empfinden gewesen, den frechen Gesellen
schamlos und boshaft preisgab. Der Abbate saß grinsend da und fletschte die
Zähne wie ein halbbefriedigtes Raubtier; die anderen begannen sogleich mit
eigenen Liebesabenteuern zu prahlen. Avinelli aber, der fühlte, daß ihm nicht
besser, nur schlimmer zu Mute geworden, fand die Erzählungen der anderen
greulich und rückte von ihnen fort. Da von draußen Musik ertönte, gingen
alle, das Fest auf demRathaus zu sehen, das der Gesandte der Republik Venedig gab.

Die bunten Fenster des Rathauses waren erleuchtet, einige standen offen
und ließen das Licht der kerzenhellen Säle herausschimmern. Unten an den
Pfeilern loderten mächtige Kienfackeln. Über die Stufen unter den Lauben und
vor dem Rathause waren rote Teppiche gelegt und eine Estrade errichtet. Alle
fünf Schritte stand ein Hatschier mit blinkendem Helm, auf die Hellebarde mit
grüngoldner Troddel gestützt, und hielt die Leute ab. Geputzte Herren und
Damen gingen die Treppen hinauf und herab und auf dem Teppich im Lichte
der farbigen Scheiben spazieren, die auf der roten Wolle ihr buntes Muster
flimmernd wiederspiegelten, während rings umher die dichte Meuge der Zuschauer
stand. Wenn die Musik schwieg, tönte auf dem stillen Platz, über den kein
Wagen fuhr, nur das leise festliche Gebrause wandelnder und redender Menschen.
Avinelli, der am Rande des roten Teppichs stand, sah Florence in ihrem
schwarzen Trauerkleide, ein Goldkettlein umgetan, hübscher und zierlicher als je,
von mehreren Herren umgeben, die sich um sie bemühten; die Wangen ihres
blassen Gesichts waren leicht gerötet; auf einen schien sie gespannt zu hören:
da sah sie Avinelli im Fackelschein, der im Gedränge nicht von der Stelle konnte.
Einen Augenblick schwand die Röte aus ihren Wangen, dann wendete sie sich
hochmütig ab, reichte dem schönen Kavalier an ihrer Seite den Arm und kehrte
in das Rathaus zurück. Jetzt schollen drei Trompetenstöße und die Gesandten
traten mit ihren Damen auf die Estrade. Avinelli sah die Herzogin, von


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[0294] Der vorsichtige Freier „Der Herzog gibt ihm eine Kompagnie," sagte einer boshaft. Avinelli warf die Karten bald wieder hin und stand auf. Der Abbate schob Avinellis Arm in den eigenen und ging mit ihm ins Freie; aber Avinelli schwieg. Der laue Abend brachte ihm kein Behagen. Eine Karosse fuhr langsam vorüber, in der die Frau von Cresnel neben demselben Kavalier mit dem Ordenskreuz saß, mit dem sie am Morgen so eifrig gesprochen hatte; sie nickte flüchtig zu seinem Gruß; ihr Begleiter dankte überhaupt nicht. Das war für den Gekränkten zuviel; er wendete sich zu dem Abbate zurück und rief: „Jetzt grüßt sie mich nicht, und vor zwei Nächten hat sie mich geküßt!" Die Augen des Abbate wurden groß; sein ganzes Gesicht verzog sich in Neugier und Staunen; noch ungläubig faßte er des Florentiners Arm und fragte ihn aus, dabei zog er ihn in den Keller hinab zu den anderen, die noch beim Spiel saßen; und da Avinelli das heftige Bedürfnis hatte, sich in ihren Augen wieder zu heben, so schilderte er ihnen seine nächtlichen Liebeserlebnisse. Wie wenn süße Milch gerinnen würde, so war es in seiner Seele, als er, was so geheim und wonnig in seinem Empfinden gewesen, den frechen Gesellen schamlos und boshaft preisgab. Der Abbate saß grinsend da und fletschte die Zähne wie ein halbbefriedigtes Raubtier; die anderen begannen sogleich mit eigenen Liebesabenteuern zu prahlen. Avinelli aber, der fühlte, daß ihm nicht besser, nur schlimmer zu Mute geworden, fand die Erzählungen der anderen greulich und rückte von ihnen fort. Da von draußen Musik ertönte, gingen alle, das Fest auf demRathaus zu sehen, das der Gesandte der Republik Venedig gab. Die bunten Fenster des Rathauses waren erleuchtet, einige standen offen und ließen das Licht der kerzenhellen Säle herausschimmern. Unten an den Pfeilern loderten mächtige Kienfackeln. Über die Stufen unter den Lauben und vor dem Rathause waren rote Teppiche gelegt und eine Estrade errichtet. Alle fünf Schritte stand ein Hatschier mit blinkendem Helm, auf die Hellebarde mit grüngoldner Troddel gestützt, und hielt die Leute ab. Geputzte Herren und Damen gingen die Treppen hinauf und herab und auf dem Teppich im Lichte der farbigen Scheiben spazieren, die auf der roten Wolle ihr buntes Muster flimmernd wiederspiegelten, während rings umher die dichte Meuge der Zuschauer stand. Wenn die Musik schwieg, tönte auf dem stillen Platz, über den kein Wagen fuhr, nur das leise festliche Gebrause wandelnder und redender Menschen. Avinelli, der am Rande des roten Teppichs stand, sah Florence in ihrem schwarzen Trauerkleide, ein Goldkettlein umgetan, hübscher und zierlicher als je, von mehreren Herren umgeben, die sich um sie bemühten; die Wangen ihres blassen Gesichts waren leicht gerötet; auf einen schien sie gespannt zu hören: da sah sie Avinelli im Fackelschein, der im Gedränge nicht von der Stelle konnte. Einen Augenblick schwand die Röte aus ihren Wangen, dann wendete sie sich hochmütig ab, reichte dem schönen Kavalier an ihrer Seite den Arm und kehrte in das Rathaus zurück. Jetzt schollen drei Trompetenstöße und die Gesandten traten mit ihren Damen auf die Estrade. Avinelli sah die Herzogin, von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/294>, abgerufen am 27.07.2024.