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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der vorsichtige Freier

Giulio sah vor sich hin. Abermals erhob sich am anderen Tische ein
wüstes Geschrei; die Männer schlugen mit dem Pallasch auf den Tisch, stiegen
auf die Bänke und stampften mit den schweren Reiterstiefeln auf den Boden;
dabei brüllten sie, was sie konnten; zwei von ihnen hielten eines der Mädchen,
das sie auf den Tisch gestellt hatten, bei den Händen, während andere sie bei
den Röcken zogen, und sie lachte und schrie, sie werde Gläser und Schüsseln
umstoßen.

Da verbat sich ein langer Mensch an einem anderen Tisch den Lärm.
Sogleich flogen Schimpfworte herüber; der Lange warf ihnen seinen Hand¬
schuh hin; ein Trinkglas kam zur Antwort, das auf den Tisch der beiden
Italiener flog, Degen fuhren aus der Scheide.

"Es ist Zeit zu gehen," sagte der Abbate und stand auf. Ein breiter
Mann mit weißem Bart lachte ihnen hell ins Gesicht; eines der Weiber rief dem
Priester unanständige Worte nach; ein junger Kerl, der rittlings auf einer Bank
saß. an der sie vorüber mußten, faßte ihn an seiner Soutane und bat um seinen
Segen; aber der Abbate umspann sein Handgelenk mit so eisernem Griff, daß
der junge Mensch ihn sogleich losließ und ihm blöde nachstarrte.

Sie hatten nicht weit zu gehen, dann empfahl sich der Abbate, und Avi-
nelli blieb seinen Gedanken überlassen. Nachdem er noch eine Weile auf dem
Prinzipalmarkt umhergegangen oder gestanden und dem fremden Volke zugesehen,
das immer spärlicher wurde, suchte auch er seinen Weg nach Hause. Da er in
den dunklen Lauben bei seinem Wirtshof ging, fühlte er plötzlich seine Hand
gefaßt, aber wie es schien, in nicht unfreundlicher Weise. Eine leise Stimme
sprach in sein Ohr; es war französisch, doch vernahm er die Worte: >,()no non
ascenäam?" Da ward es anders in ihm und um ihn und er ließ sich willig
führen. Vorsichtig folgte er in ein Haus und über dunkle Treppen und Gänge;
jetzt war er allein: eine Tapetentür öffnete sich vor ihm. Eine ganz kleine
Ampel brannte in einem weiten Schlafgemach: in einem Himmelbett lag unter
seidenen Decken schlafend eine junge Frau; er sah den weißen Arm, den sie
um das Haupt gelegt hatte, und schwarze Haare, die über das Kissen fielen.
Da scholl ein leises Lachen, leuchtende Augen, die er schon gesehen, blickten in
die seinen und die Arme legten sich um seinen Hals. Dann wies ihre Hand
nach einem Spiegel gegenüber und das Bild, das er darin sah, gefiel ihm noch
besser, als das er bei der Mahlzeit gesehen.

So schnell vergingen ihm Tage im Glück, daß er sich erst, als die
Woche zu Ende ging, der kleinen Florence erinnerte. Und als wäre der
Gedanke an sie ihr vorausgegangen, sah er sie alsbald selber, von einer Dienerin
mit weißer Haube gefolgt, auf seinem Wege daherkommen. Wieder ward sie
rot, als sie ihn erkannte; grüßend trat er heran, und sie sagte ihm mit leiser
Stimme, aber in sichtlicher Freude einige italienische Sätze, die sie sich inzwischen
zu eigen gemacht hatte. Er lachte und lobte sie, grüßte aber bald wieder höflich
und ging weiter: betroffen sah das Kind ihm nach.


Der vorsichtige Freier

Giulio sah vor sich hin. Abermals erhob sich am anderen Tische ein
wüstes Geschrei; die Männer schlugen mit dem Pallasch auf den Tisch, stiegen
auf die Bänke und stampften mit den schweren Reiterstiefeln auf den Boden;
dabei brüllten sie, was sie konnten; zwei von ihnen hielten eines der Mädchen,
das sie auf den Tisch gestellt hatten, bei den Händen, während andere sie bei
den Röcken zogen, und sie lachte und schrie, sie werde Gläser und Schüsseln
umstoßen.

Da verbat sich ein langer Mensch an einem anderen Tisch den Lärm.
Sogleich flogen Schimpfworte herüber; der Lange warf ihnen seinen Hand¬
schuh hin; ein Trinkglas kam zur Antwort, das auf den Tisch der beiden
Italiener flog, Degen fuhren aus der Scheide.

„Es ist Zeit zu gehen," sagte der Abbate und stand auf. Ein breiter
Mann mit weißem Bart lachte ihnen hell ins Gesicht; eines der Weiber rief dem
Priester unanständige Worte nach; ein junger Kerl, der rittlings auf einer Bank
saß. an der sie vorüber mußten, faßte ihn an seiner Soutane und bat um seinen
Segen; aber der Abbate umspann sein Handgelenk mit so eisernem Griff, daß
der junge Mensch ihn sogleich losließ und ihm blöde nachstarrte.

Sie hatten nicht weit zu gehen, dann empfahl sich der Abbate, und Avi-
nelli blieb seinen Gedanken überlassen. Nachdem er noch eine Weile auf dem
Prinzipalmarkt umhergegangen oder gestanden und dem fremden Volke zugesehen,
das immer spärlicher wurde, suchte auch er seinen Weg nach Hause. Da er in
den dunklen Lauben bei seinem Wirtshof ging, fühlte er plötzlich seine Hand
gefaßt, aber wie es schien, in nicht unfreundlicher Weise. Eine leise Stimme
sprach in sein Ohr; es war französisch, doch vernahm er die Worte: >,()no non
ascenäam?" Da ward es anders in ihm und um ihn und er ließ sich willig
führen. Vorsichtig folgte er in ein Haus und über dunkle Treppen und Gänge;
jetzt war er allein: eine Tapetentür öffnete sich vor ihm. Eine ganz kleine
Ampel brannte in einem weiten Schlafgemach: in einem Himmelbett lag unter
seidenen Decken schlafend eine junge Frau; er sah den weißen Arm, den sie
um das Haupt gelegt hatte, und schwarze Haare, die über das Kissen fielen.
Da scholl ein leises Lachen, leuchtende Augen, die er schon gesehen, blickten in
die seinen und die Arme legten sich um seinen Hals. Dann wies ihre Hand
nach einem Spiegel gegenüber und das Bild, das er darin sah, gefiel ihm noch
besser, als das er bei der Mahlzeit gesehen.

So schnell vergingen ihm Tage im Glück, daß er sich erst, als die
Woche zu Ende ging, der kleinen Florence erinnerte. Und als wäre der
Gedanke an sie ihr vorausgegangen, sah er sie alsbald selber, von einer Dienerin
mit weißer Haube gefolgt, auf seinem Wege daherkommen. Wieder ward sie
rot, als sie ihn erkannte; grüßend trat er heran, und sie sagte ihm mit leiser
Stimme, aber in sichtlicher Freude einige italienische Sätze, die sie sich inzwischen
zu eigen gemacht hatte. Er lachte und lobte sie, grüßte aber bald wieder höflich
und ging weiter: betroffen sah das Kind ihm nach.


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[0291] Der vorsichtige Freier Giulio sah vor sich hin. Abermals erhob sich am anderen Tische ein wüstes Geschrei; die Männer schlugen mit dem Pallasch auf den Tisch, stiegen auf die Bänke und stampften mit den schweren Reiterstiefeln auf den Boden; dabei brüllten sie, was sie konnten; zwei von ihnen hielten eines der Mädchen, das sie auf den Tisch gestellt hatten, bei den Händen, während andere sie bei den Röcken zogen, und sie lachte und schrie, sie werde Gläser und Schüsseln umstoßen. Da verbat sich ein langer Mensch an einem anderen Tisch den Lärm. Sogleich flogen Schimpfworte herüber; der Lange warf ihnen seinen Hand¬ schuh hin; ein Trinkglas kam zur Antwort, das auf den Tisch der beiden Italiener flog, Degen fuhren aus der Scheide. „Es ist Zeit zu gehen," sagte der Abbate und stand auf. Ein breiter Mann mit weißem Bart lachte ihnen hell ins Gesicht; eines der Weiber rief dem Priester unanständige Worte nach; ein junger Kerl, der rittlings auf einer Bank saß. an der sie vorüber mußten, faßte ihn an seiner Soutane und bat um seinen Segen; aber der Abbate umspann sein Handgelenk mit so eisernem Griff, daß der junge Mensch ihn sogleich losließ und ihm blöde nachstarrte. Sie hatten nicht weit zu gehen, dann empfahl sich der Abbate, und Avi- nelli blieb seinen Gedanken überlassen. Nachdem er noch eine Weile auf dem Prinzipalmarkt umhergegangen oder gestanden und dem fremden Volke zugesehen, das immer spärlicher wurde, suchte auch er seinen Weg nach Hause. Da er in den dunklen Lauben bei seinem Wirtshof ging, fühlte er plötzlich seine Hand gefaßt, aber wie es schien, in nicht unfreundlicher Weise. Eine leise Stimme sprach in sein Ohr; es war französisch, doch vernahm er die Worte: >,()no non ascenäam?" Da ward es anders in ihm und um ihn und er ließ sich willig führen. Vorsichtig folgte er in ein Haus und über dunkle Treppen und Gänge; jetzt war er allein: eine Tapetentür öffnete sich vor ihm. Eine ganz kleine Ampel brannte in einem weiten Schlafgemach: in einem Himmelbett lag unter seidenen Decken schlafend eine junge Frau; er sah den weißen Arm, den sie um das Haupt gelegt hatte, und schwarze Haare, die über das Kissen fielen. Da scholl ein leises Lachen, leuchtende Augen, die er schon gesehen, blickten in die seinen und die Arme legten sich um seinen Hals. Dann wies ihre Hand nach einem Spiegel gegenüber und das Bild, das er darin sah, gefiel ihm noch besser, als das er bei der Mahlzeit gesehen. So schnell vergingen ihm Tage im Glück, daß er sich erst, als die Woche zu Ende ging, der kleinen Florence erinnerte. Und als wäre der Gedanke an sie ihr vorausgegangen, sah er sie alsbald selber, von einer Dienerin mit weißer Haube gefolgt, auf seinem Wege daherkommen. Wieder ward sie rot, als sie ihn erkannte; grüßend trat er heran, und sie sagte ihm mit leiser Stimme, aber in sichtlicher Freude einige italienische Sätze, die sie sich inzwischen zu eigen gemacht hatte. Er lachte und lobte sie, grüßte aber bald wieder höflich und ging weiter: betroffen sah das Kind ihm nach.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/291>, abgerufen am 27.07.2024.