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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Grundlagen des Imperialismus

Die Erkenntnis dieser Tatsache ist das Wesentliche. Von untergeordneter,
sekundärer Bedeutung ist, in welchen Tatsachen- oder Empfindungsreihen diese
Bewegung ihre Ursache hat, wie sie und warum sie in die Entwicklung unserer
Tage hineinpaßt und hineingehört, wie sie aus jener als logische Folge sich
ergibt. Am einleuchtendsten scheint mir die Erklärung zu sein, daß der Im¬
perialismus die moderne Erscheinungsform für den ewig alten Kampf der ein¬
zelnen Gruppen untereinander ist. Der Kampf als der Vater aller Dinge, als
die Vorbedingung aller Verschmelzung, Vereinigung und auch Höherentwicklung,
als der Ausdruck zum Willen einer solchen Weiterentwicklung -- das wären
die Voraussetzungen für eine solche Anschauung. Ob man als Ursache dieses
Kampfes das ursprüngliche Vorhandensein verschiedener Gruppen, die einander
befehden, annimmt, oder an die Abstammung von einer Gruppe, die später in
mehrere Stämme zerfiel, glaubt --, ob man also dem Polygenismus huldigt
oder dem Monogenismus, welch letzterer durch Gumplowicz in seinem hervor¬
ragenden Buch "Der Rassenkampf" widerlegt zu sein scheint --, all das kommt
erst in zweiter Linie in Betracht.




Diese Theorie von dem Kampf als treibender Kraft wird zwar stets auf
den verzweifelten Widerstand aller Friedensfreunde stoßen, als deren typischer
Vertreter der oben zitierte Engländer Hobson sich mit dem Imperialismus aus¬
einander setzt. Seine Auseinandersetzung mit den inneren Ursachen des Impe¬
rialismus führt zu dem Ergebnis, daß der Imperialismus nicht als eine innere
Notwendigkeit, sondern als etwas wohl noch Abzuänderndes anzusehen ist, daß seine
Anhänger zwar nicht Heuchler, aber Opfer unverstandener Ideen und psychisch
leicht belastet find. Die Theorie von dem biologischen Gesetz des ewigen Kampfes
ist Hobson eine mittelalterliche Art der Auseinandersetzung, die durch friedlichen
Wettbewerb der Nationen und eine allmählich sich anbahnende, friedliche Ver¬
schmelzung abgelöst werden würde. -- Mit diesen Auffassungen sich auseinander¬
zusetzen, erübrigt sich. Hier steht Ansicht gegen Ansicht. Das einzige Argument,
das gegen die Ansicht der Friedensfreunde angeführt werden kann, ist, daß die
Tatsachen ihnen bisher nicht Recht gegeben haben. Und es sieht nicht so aus,
als ob ihnen die nächste Zukunft Recht geben wird.

Es bliebe eine weitere wichtige Frage zu erörtern: warum der Imperialismus,
wenn er wirklich gewissermaßen ein Naturgesetz ist, nicht schon viel früher sich
geltend gemacht hat? Auch dies ist eine Frage -- wie alle, die den Imperialismus
betreffen -- deren völlige Beantwortung die Würdigung der ganzen Weltgeschichte
erfordern würde. Aber vielleicht dürfte die Antwort auf diese Frage in folgender
Richtung zu suchen sein: um dem imperialistischen Gedanken Verwirklichung zu
verschaffen, bedürfte es einer inneren, politischen Einigung und Verschmelzung
der für den Imperialismus berufenen, also der kräftigsten Nationen. Die


Grundlagen des Imperialismus

Die Erkenntnis dieser Tatsache ist das Wesentliche. Von untergeordneter,
sekundärer Bedeutung ist, in welchen Tatsachen- oder Empfindungsreihen diese
Bewegung ihre Ursache hat, wie sie und warum sie in die Entwicklung unserer
Tage hineinpaßt und hineingehört, wie sie aus jener als logische Folge sich
ergibt. Am einleuchtendsten scheint mir die Erklärung zu sein, daß der Im¬
perialismus die moderne Erscheinungsform für den ewig alten Kampf der ein¬
zelnen Gruppen untereinander ist. Der Kampf als der Vater aller Dinge, als
die Vorbedingung aller Verschmelzung, Vereinigung und auch Höherentwicklung,
als der Ausdruck zum Willen einer solchen Weiterentwicklung — das wären
die Voraussetzungen für eine solche Anschauung. Ob man als Ursache dieses
Kampfes das ursprüngliche Vorhandensein verschiedener Gruppen, die einander
befehden, annimmt, oder an die Abstammung von einer Gruppe, die später in
mehrere Stämme zerfiel, glaubt —, ob man also dem Polygenismus huldigt
oder dem Monogenismus, welch letzterer durch Gumplowicz in seinem hervor¬
ragenden Buch „Der Rassenkampf" widerlegt zu sein scheint —, all das kommt
erst in zweiter Linie in Betracht.




Diese Theorie von dem Kampf als treibender Kraft wird zwar stets auf
den verzweifelten Widerstand aller Friedensfreunde stoßen, als deren typischer
Vertreter der oben zitierte Engländer Hobson sich mit dem Imperialismus aus¬
einander setzt. Seine Auseinandersetzung mit den inneren Ursachen des Impe¬
rialismus führt zu dem Ergebnis, daß der Imperialismus nicht als eine innere
Notwendigkeit, sondern als etwas wohl noch Abzuänderndes anzusehen ist, daß seine
Anhänger zwar nicht Heuchler, aber Opfer unverstandener Ideen und psychisch
leicht belastet find. Die Theorie von dem biologischen Gesetz des ewigen Kampfes
ist Hobson eine mittelalterliche Art der Auseinandersetzung, die durch friedlichen
Wettbewerb der Nationen und eine allmählich sich anbahnende, friedliche Ver¬
schmelzung abgelöst werden würde. — Mit diesen Auffassungen sich auseinander¬
zusetzen, erübrigt sich. Hier steht Ansicht gegen Ansicht. Das einzige Argument,
das gegen die Ansicht der Friedensfreunde angeführt werden kann, ist, daß die
Tatsachen ihnen bisher nicht Recht gegeben haben. Und es sieht nicht so aus,
als ob ihnen die nächste Zukunft Recht geben wird.

Es bliebe eine weitere wichtige Frage zu erörtern: warum der Imperialismus,
wenn er wirklich gewissermaßen ein Naturgesetz ist, nicht schon viel früher sich
geltend gemacht hat? Auch dies ist eine Frage — wie alle, die den Imperialismus
betreffen — deren völlige Beantwortung die Würdigung der ganzen Weltgeschichte
erfordern würde. Aber vielleicht dürfte die Antwort auf diese Frage in folgender
Richtung zu suchen sein: um dem imperialistischen Gedanken Verwirklichung zu
verschaffen, bedürfte es einer inneren, politischen Einigung und Verschmelzung
der für den Imperialismus berufenen, also der kräftigsten Nationen. Die


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[0280] Grundlagen des Imperialismus Die Erkenntnis dieser Tatsache ist das Wesentliche. Von untergeordneter, sekundärer Bedeutung ist, in welchen Tatsachen- oder Empfindungsreihen diese Bewegung ihre Ursache hat, wie sie und warum sie in die Entwicklung unserer Tage hineinpaßt und hineingehört, wie sie aus jener als logische Folge sich ergibt. Am einleuchtendsten scheint mir die Erklärung zu sein, daß der Im¬ perialismus die moderne Erscheinungsform für den ewig alten Kampf der ein¬ zelnen Gruppen untereinander ist. Der Kampf als der Vater aller Dinge, als die Vorbedingung aller Verschmelzung, Vereinigung und auch Höherentwicklung, als der Ausdruck zum Willen einer solchen Weiterentwicklung — das wären die Voraussetzungen für eine solche Anschauung. Ob man als Ursache dieses Kampfes das ursprüngliche Vorhandensein verschiedener Gruppen, die einander befehden, annimmt, oder an die Abstammung von einer Gruppe, die später in mehrere Stämme zerfiel, glaubt —, ob man also dem Polygenismus huldigt oder dem Monogenismus, welch letzterer durch Gumplowicz in seinem hervor¬ ragenden Buch „Der Rassenkampf" widerlegt zu sein scheint —, all das kommt erst in zweiter Linie in Betracht. Diese Theorie von dem Kampf als treibender Kraft wird zwar stets auf den verzweifelten Widerstand aller Friedensfreunde stoßen, als deren typischer Vertreter der oben zitierte Engländer Hobson sich mit dem Imperialismus aus¬ einander setzt. Seine Auseinandersetzung mit den inneren Ursachen des Impe¬ rialismus führt zu dem Ergebnis, daß der Imperialismus nicht als eine innere Notwendigkeit, sondern als etwas wohl noch Abzuänderndes anzusehen ist, daß seine Anhänger zwar nicht Heuchler, aber Opfer unverstandener Ideen und psychisch leicht belastet find. Die Theorie von dem biologischen Gesetz des ewigen Kampfes ist Hobson eine mittelalterliche Art der Auseinandersetzung, die durch friedlichen Wettbewerb der Nationen und eine allmählich sich anbahnende, friedliche Ver¬ schmelzung abgelöst werden würde. — Mit diesen Auffassungen sich auseinander¬ zusetzen, erübrigt sich. Hier steht Ansicht gegen Ansicht. Das einzige Argument, das gegen die Ansicht der Friedensfreunde angeführt werden kann, ist, daß die Tatsachen ihnen bisher nicht Recht gegeben haben. Und es sieht nicht so aus, als ob ihnen die nächste Zukunft Recht geben wird. Es bliebe eine weitere wichtige Frage zu erörtern: warum der Imperialismus, wenn er wirklich gewissermaßen ein Naturgesetz ist, nicht schon viel früher sich geltend gemacht hat? Auch dies ist eine Frage — wie alle, die den Imperialismus betreffen — deren völlige Beantwortung die Würdigung der ganzen Weltgeschichte erfordern würde. Aber vielleicht dürfte die Antwort auf diese Frage in folgender Richtung zu suchen sein: um dem imperialistischen Gedanken Verwirklichung zu verschaffen, bedürfte es einer inneren, politischen Einigung und Verschmelzung der für den Imperialismus berufenen, also der kräftigsten Nationen. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/280>, abgerufen am 27.07.2024.