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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Gobineaus Renaissance in altem und neuem Gewände
v Fritz Friedrich i onn

or etwa zehn Jahren konnte man fast jede Woche in irgendeiner
Zeitschrift einen Aufsatz über Gobineau finden. Diese Arbeiten,
zumeist auf einen Ton hoher Bewunderung gestimmt, beschäftigten
sich hauptsächlich mit Gobineaus wissenschaftlichem (wenn auch
nicht am wissenschaftlichsten gearbeiteten) Hauptwerk, dem "Ver¬
such über die Ungleichheit der Menschenrassen", dessen Verdeutschung durch
Ludwig Schemann eben damals (1901) vollendet war*). Manche mag auch die
Lektüre von Chamberlains "Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" zuerst
auf Gobineau aufmerksam gemacht haben, trotz der pietätlosen Art, in der
sich Chamberlain über seinen Vorgänger äußert. Damals erschien auch die erste,
höheren Ansprüchen freilich wenig genügende Biographie Gobineaus**) und bald
nachher die tiefdringende, geistreiche, zwischen Bewunderung und Abneigung
seltsam schwankende Studie des Franzosen Seilliere***), eines der ersten An¬
zeichen dafür, daß auch sein Heimatland dem Denker und Dichter, den es
lange völlig vergessen zu haben schien, wieder Beachtung zu schenken begann.
Was Naturen, die gern ihre eignen Wege gehen, zu Gobineau zog, war seine
heroisch-pessimistische Lebensauffassung. Die Gläubigen des neuen Evange¬
liums von der Arierherrlichkeit fanden in ihm ihren feurigsten Propheten; die
Verehrer Nietzsches, mit dem er sonst kaum etwas gemein hat, wurden von den
ausgeprägt aristokratischen Anschauungen des aller Gleichmacherei abgeneigten
Mannes angezogen. Jedoch neben dieser anscheinend beständig wachsenden Schar
von begeisterten Anhängern des Geschichtsphilosophen und Denkers gab es noch
eine zweite, vielleicht noch zahlreichere, doch weniger betriebsame Gemeinde,
der Gobineaus Name teuer war. Ihre Huldigung galt dem Dichter, und sie
Scharte sich um das Banner seiner "Renaissance". Dieses Werk, 1877 er-





") In vier Bänden. Stuttgart, Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff).
Kretzer, Joseph Arthur, Graf von Gobineau. Leipzig 1902, Hermann Seemann. --
Mehr zu empfehlen Dreyfus, I^a vio et les pmpneties ein Loute ete (Zobinesu. 1905.
Leittiere, I^e dörrte cle (Zobinesu et I'^r^gnisme Kistorique. Paris 1903.
Plon-I^ournt et L>e.
Grenzvoten II 1918 16


Gobineaus Renaissance in altem und neuem Gewände
v Fritz Friedrich i onn

or etwa zehn Jahren konnte man fast jede Woche in irgendeiner
Zeitschrift einen Aufsatz über Gobineau finden. Diese Arbeiten,
zumeist auf einen Ton hoher Bewunderung gestimmt, beschäftigten
sich hauptsächlich mit Gobineaus wissenschaftlichem (wenn auch
nicht am wissenschaftlichsten gearbeiteten) Hauptwerk, dem „Ver¬
such über die Ungleichheit der Menschenrassen", dessen Verdeutschung durch
Ludwig Schemann eben damals (1901) vollendet war*). Manche mag auch die
Lektüre von Chamberlains „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" zuerst
auf Gobineau aufmerksam gemacht haben, trotz der pietätlosen Art, in der
sich Chamberlain über seinen Vorgänger äußert. Damals erschien auch die erste,
höheren Ansprüchen freilich wenig genügende Biographie Gobineaus**) und bald
nachher die tiefdringende, geistreiche, zwischen Bewunderung und Abneigung
seltsam schwankende Studie des Franzosen Seilliere***), eines der ersten An¬
zeichen dafür, daß auch sein Heimatland dem Denker und Dichter, den es
lange völlig vergessen zu haben schien, wieder Beachtung zu schenken begann.
Was Naturen, die gern ihre eignen Wege gehen, zu Gobineau zog, war seine
heroisch-pessimistische Lebensauffassung. Die Gläubigen des neuen Evange¬
liums von der Arierherrlichkeit fanden in ihm ihren feurigsten Propheten; die
Verehrer Nietzsches, mit dem er sonst kaum etwas gemein hat, wurden von den
ausgeprägt aristokratischen Anschauungen des aller Gleichmacherei abgeneigten
Mannes angezogen. Jedoch neben dieser anscheinend beständig wachsenden Schar
von begeisterten Anhängern des Geschichtsphilosophen und Denkers gab es noch
eine zweite, vielleicht noch zahlreichere, doch weniger betriebsame Gemeinde,
der Gobineaus Name teuer war. Ihre Huldigung galt dem Dichter, und sie
Scharte sich um das Banner seiner „Renaissance". Dieses Werk, 1877 er-





") In vier Bänden. Stuttgart, Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff).
Kretzer, Joseph Arthur, Graf von Gobineau. Leipzig 1902, Hermann Seemann. —
Mehr zu empfehlen Dreyfus, I^a vio et les pmpneties ein Loute ete (Zobinesu. 1905.
Leittiere, I^e dörrte cle (Zobinesu et I'^r^gnisme Kistorique. Paris 1903.
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[0245] [Abbildung] Gobineaus Renaissance in altem und neuem Gewände v Fritz Friedrich i onn or etwa zehn Jahren konnte man fast jede Woche in irgendeiner Zeitschrift einen Aufsatz über Gobineau finden. Diese Arbeiten, zumeist auf einen Ton hoher Bewunderung gestimmt, beschäftigten sich hauptsächlich mit Gobineaus wissenschaftlichem (wenn auch nicht am wissenschaftlichsten gearbeiteten) Hauptwerk, dem „Ver¬ such über die Ungleichheit der Menschenrassen", dessen Verdeutschung durch Ludwig Schemann eben damals (1901) vollendet war*). Manche mag auch die Lektüre von Chamberlains „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" zuerst auf Gobineau aufmerksam gemacht haben, trotz der pietätlosen Art, in der sich Chamberlain über seinen Vorgänger äußert. Damals erschien auch die erste, höheren Ansprüchen freilich wenig genügende Biographie Gobineaus**) und bald nachher die tiefdringende, geistreiche, zwischen Bewunderung und Abneigung seltsam schwankende Studie des Franzosen Seilliere***), eines der ersten An¬ zeichen dafür, daß auch sein Heimatland dem Denker und Dichter, den es lange völlig vergessen zu haben schien, wieder Beachtung zu schenken begann. Was Naturen, die gern ihre eignen Wege gehen, zu Gobineau zog, war seine heroisch-pessimistische Lebensauffassung. Die Gläubigen des neuen Evange¬ liums von der Arierherrlichkeit fanden in ihm ihren feurigsten Propheten; die Verehrer Nietzsches, mit dem er sonst kaum etwas gemein hat, wurden von den ausgeprägt aristokratischen Anschauungen des aller Gleichmacherei abgeneigten Mannes angezogen. Jedoch neben dieser anscheinend beständig wachsenden Schar von begeisterten Anhängern des Geschichtsphilosophen und Denkers gab es noch eine zweite, vielleicht noch zahlreichere, doch weniger betriebsame Gemeinde, der Gobineaus Name teuer war. Ihre Huldigung galt dem Dichter, und sie Scharte sich um das Banner seiner „Renaissance". Dieses Werk, 1877 er- ") In vier Bänden. Stuttgart, Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff). Kretzer, Joseph Arthur, Graf von Gobineau. Leipzig 1902, Hermann Seemann. — Mehr zu empfehlen Dreyfus, I^a vio et les pmpneties ein Loute ete (Zobinesu. 1905. Leittiere, I^e dörrte cle (Zobinesu et I'^r^gnisme Kistorique. Paris 1903. Plon-I^ournt et L>e. Grenzvoten II 1918 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/245>, abgerufen am 27.07.2024.