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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Mitleid und Liebe geradezu für identisch zu
erklären, so behauptet er, daß das Mitleid
die Grundlage aller Kulturentwicklung sei,
daß die Erlösung durch Parsifal dadurch
möglich werde, daß er die Bahn der sittlichen
Pflicht beschreite, das tue, "was das ethische
Gewissen von jedem Menschen fordert." Und
doch ist die Bedeutung des Willens und seiner
Umkehr nur auf metaphysischer Grundlage zu
verstehen. Wagner selbst weist ja in den
Schriften seiner letzten Periode, namentlich
in "Kunst und Religion" stets aus die Meta¬
physik hin. Erst auf solchem Wege wird
dann auch der eigentliche Gegensatz der Welten,
wird Kundry klar, diese eigenartige Doppel-
gestalt, die in zwei Welten scheinbar ganz
verschiedene Wesen verkörpert; erst aus der
Einsicht in Schopenhauers System erwächst
das Verständnis dafür, wie man "durch Mit¬
leid wissend" wird, also auch wie der Kuß
der Kundry in Parsifals Seele Mitleid und
Wissen gleichzeitig wecken kann. Auch der
Wert des christlichen Symbols ist nicht zu
voller Klarheit gebracht. Der Heiland ist
hier der christliche Erlöser, dessen Werk Par¬
sifal vollenden, zur Anerkennung bringen soll.
Diese christlichen Elemente hängen aufs in¬
nigste mit der Schopenhauerschen Mitleids¬
moral zusammen und erst die Erkenntnis
oder die Schöpfung dieser Einheit ist Wagners
ureigenstes Werk. Das zeigt sich auch darin,
daß gerade die Karfreitagszauberstimmung
der Ausgangspunkt für die dichterische In¬
tuition gewesen ist. Auch ist es nach meiner
Ansicht nicht richtig, die Wagnersche Loheu-
gringestalt zur Ausdeutung der Parsifalfigur
heranzuziehen und anzunehmen, daß Parsifal
als Gralskönig doch dem Weibe gehuldigt
habe, das er in Kundry von sich gewiesen
hatte. Parsifal ist das (Schopenhauersche)
Genie, das infolge seiner Mitleidsfähig¬
keit in fremden? Leid sein eigenes Wesen,
das Wesen der Welt und das Mittel zur
Erlösung, die Umkehr des Willens, er¬
kennt. Er erkennt auch, daß die Heilstat
Jesu den Sinn hatte, der Menschheit die
Möglichkeit dieser wunderbaren Umkehr des
Willens vor Augen zu führen. So stellt er
diese Heilstat in wirksamer Weise wieder her,
bringt Erlösung dem Erlöser. So ist der
Parsifal allerdings ein Weltanschauungsdrama
nur -- in noch tieferem, bestimmterem Sinne,

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als Verfasser zu glauben scheint. Trotz dieser
Ausstellungen ist aber das Schriftchen eine
recht verständliche, sehr viel Richtiges im ein¬
zelnen bietende Einführung in das Parstfal-
Problem, und besonders solchen Lesern zu emp¬
fehlen, denen eine Einarbeitung in die meta¬
physischen Fragen, die Wagner in seiner
letzten Lebensperiode beschäftigten nicht
Dr. Hamel liegen würde.

Anmerkung derSchriftleitung. Wir bringen
demnächst aus der Feder l)r. Haucks einen
eingehenden Aufsatz, in dein unter den in
vorstehender Kritik geltend gemachten Gesichts¬
punkten eine Deutung des Parsifalproblems
gegeben wird.

Geschichte

Deutscher Gcschichtslalender. Sachlich
geordnete Zusammenstellung der wichtigsten
Vorgänge im In- und Auslande. Begründet
von Karl Wippermann. Jahrgang 1912,
I. und II. Band (Januar bis Juni, Juli bis
Dezember). Leipzig, Felix. Meiner.

Jeder Politiker, jeder Journalist, über¬
haupt jeder Gebildete, der den Ereignissen
seiner Tage mit Verständnis folgen will, weiß,
wie schwer es ist, sie im Gedächtnis festzu¬
halten, wenn es sich nicht um ganz besonders
eindrucksvolle Dinge handelt. Es bedarf
deshalb eines sicheren Wegweisers, der ihm
die bunte verwirrende Fülle der Geschehnisse
zuverlässig, übersichtlich, genau und rasch
übermittelt. Ein solcher Wegweiser ist seit
188S Wippermanns Deutscher Geschichts¬
kalender, im Verlage von Fr. W. Grunow,
gewesen. Nach dem Tode dieses Bearbeiters
ist er 1911 aus diesem Verlage an Felix
Meiner übergegangen. Wie bisher erscheint er
in zwei halbjährlichen Bänden. Eine zweck¬
mäßige Neuerung ist es dabei, daß er zu¬
nächst in Monatsheften ausgegeben wird, die
möglichst bald nach dem Schlüsse jedes
Monats erscheinen, jedes mit einen: Personal-
und Sachregister neben dem Inhaltsverzeichnis.
Um die Übersicht zu erleichtern, ist dann auch
jedem der beiden Jahresbände außer dem
Inhaltsverzeichnis ein solches zusammen¬
fassendes Register beigegeben, so daß die Über¬
sicht gewahrt bleibt. Die Anordnung ist die¬
selbe wie bisher. Voran gehen der kaiserliche
Hof und der Bundesrat, das Deutsche Reich
und Preußen mit Einschluß des Reichstages

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Mitleid und Liebe geradezu für identisch zu
erklären, so behauptet er, daß das Mitleid
die Grundlage aller Kulturentwicklung sei,
daß die Erlösung durch Parsifal dadurch
möglich werde, daß er die Bahn der sittlichen
Pflicht beschreite, das tue, „was das ethische
Gewissen von jedem Menschen fordert." Und
doch ist die Bedeutung des Willens und seiner
Umkehr nur auf metaphysischer Grundlage zu
verstehen. Wagner selbst weist ja in den
Schriften seiner letzten Periode, namentlich
in „Kunst und Religion" stets aus die Meta¬
physik hin. Erst auf solchem Wege wird
dann auch der eigentliche Gegensatz der Welten,
wird Kundry klar, diese eigenartige Doppel-
gestalt, die in zwei Welten scheinbar ganz
verschiedene Wesen verkörpert; erst aus der
Einsicht in Schopenhauers System erwächst
das Verständnis dafür, wie man „durch Mit¬
leid wissend" wird, also auch wie der Kuß
der Kundry in Parsifals Seele Mitleid und
Wissen gleichzeitig wecken kann. Auch der
Wert des christlichen Symbols ist nicht zu
voller Klarheit gebracht. Der Heiland ist
hier der christliche Erlöser, dessen Werk Par¬
sifal vollenden, zur Anerkennung bringen soll.
Diese christlichen Elemente hängen aufs in¬
nigste mit der Schopenhauerschen Mitleids¬
moral zusammen und erst die Erkenntnis
oder die Schöpfung dieser Einheit ist Wagners
ureigenstes Werk. Das zeigt sich auch darin,
daß gerade die Karfreitagszauberstimmung
der Ausgangspunkt für die dichterische In¬
tuition gewesen ist. Auch ist es nach meiner
Ansicht nicht richtig, die Wagnersche Loheu-
gringestalt zur Ausdeutung der Parsifalfigur
heranzuziehen und anzunehmen, daß Parsifal
als Gralskönig doch dem Weibe gehuldigt
habe, das er in Kundry von sich gewiesen
hatte. Parsifal ist das (Schopenhauersche)
Genie, das infolge seiner Mitleidsfähig¬
keit in fremden? Leid sein eigenes Wesen,
das Wesen der Welt und das Mittel zur
Erlösung, die Umkehr des Willens, er¬
kennt. Er erkennt auch, daß die Heilstat
Jesu den Sinn hatte, der Menschheit die
Möglichkeit dieser wunderbaren Umkehr des
Willens vor Augen zu führen. So stellt er
diese Heilstat in wirksamer Weise wieder her,
bringt Erlösung dem Erlöser. So ist der
Parsifal allerdings ein Weltanschauungsdrama
nur — in noch tieferem, bestimmterem Sinne,

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als Verfasser zu glauben scheint. Trotz dieser
Ausstellungen ist aber das Schriftchen eine
recht verständliche, sehr viel Richtiges im ein¬
zelnen bietende Einführung in das Parstfal-
Problem, und besonders solchen Lesern zu emp¬
fehlen, denen eine Einarbeitung in die meta¬
physischen Fragen, die Wagner in seiner
letzten Lebensperiode beschäftigten nicht
Dr. Hamel liegen würde.

Anmerkung derSchriftleitung. Wir bringen
demnächst aus der Feder l)r. Haucks einen
eingehenden Aufsatz, in dein unter den in
vorstehender Kritik geltend gemachten Gesichts¬
punkten eine Deutung des Parsifalproblems
gegeben wird.

Geschichte

Deutscher Gcschichtslalender. Sachlich
geordnete Zusammenstellung der wichtigsten
Vorgänge im In- und Auslande. Begründet
von Karl Wippermann. Jahrgang 1912,
I. und II. Band (Januar bis Juni, Juli bis
Dezember). Leipzig, Felix. Meiner.

Jeder Politiker, jeder Journalist, über¬
haupt jeder Gebildete, der den Ereignissen
seiner Tage mit Verständnis folgen will, weiß,
wie schwer es ist, sie im Gedächtnis festzu¬
halten, wenn es sich nicht um ganz besonders
eindrucksvolle Dinge handelt. Es bedarf
deshalb eines sicheren Wegweisers, der ihm
die bunte verwirrende Fülle der Geschehnisse
zuverlässig, übersichtlich, genau und rasch
übermittelt. Ein solcher Wegweiser ist seit
188S Wippermanns Deutscher Geschichts¬
kalender, im Verlage von Fr. W. Grunow,
gewesen. Nach dem Tode dieses Bearbeiters
ist er 1911 aus diesem Verlage an Felix
Meiner übergegangen. Wie bisher erscheint er
in zwei halbjährlichen Bänden. Eine zweck¬
mäßige Neuerung ist es dabei, daß er zu¬
nächst in Monatsheften ausgegeben wird, die
möglichst bald nach dem Schlüsse jedes
Monats erscheinen, jedes mit einen: Personal-
und Sachregister neben dem Inhaltsverzeichnis.
Um die Übersicht zu erleichtern, ist dann auch
jedem der beiden Jahresbände außer dem
Inhaltsverzeichnis ein solches zusammen¬
fassendes Register beigegeben, so daß die Über¬
sicht gewahrt bleibt. Die Anordnung ist die¬
selbe wie bisher. Voran gehen der kaiserliche
Hof und der Bundesrat, das Deutsche Reich
und Preußen mit Einschluß des Reichstages

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[0210] Maßgebliches und Unmaßgebliches Mitleid und Liebe geradezu für identisch zu erklären, so behauptet er, daß das Mitleid die Grundlage aller Kulturentwicklung sei, daß die Erlösung durch Parsifal dadurch möglich werde, daß er die Bahn der sittlichen Pflicht beschreite, das tue, „was das ethische Gewissen von jedem Menschen fordert." Und doch ist die Bedeutung des Willens und seiner Umkehr nur auf metaphysischer Grundlage zu verstehen. Wagner selbst weist ja in den Schriften seiner letzten Periode, namentlich in „Kunst und Religion" stets aus die Meta¬ physik hin. Erst auf solchem Wege wird dann auch der eigentliche Gegensatz der Welten, wird Kundry klar, diese eigenartige Doppel- gestalt, die in zwei Welten scheinbar ganz verschiedene Wesen verkörpert; erst aus der Einsicht in Schopenhauers System erwächst das Verständnis dafür, wie man „durch Mit¬ leid wissend" wird, also auch wie der Kuß der Kundry in Parsifals Seele Mitleid und Wissen gleichzeitig wecken kann. Auch der Wert des christlichen Symbols ist nicht zu voller Klarheit gebracht. Der Heiland ist hier der christliche Erlöser, dessen Werk Par¬ sifal vollenden, zur Anerkennung bringen soll. Diese christlichen Elemente hängen aufs in¬ nigste mit der Schopenhauerschen Mitleids¬ moral zusammen und erst die Erkenntnis oder die Schöpfung dieser Einheit ist Wagners ureigenstes Werk. Das zeigt sich auch darin, daß gerade die Karfreitagszauberstimmung der Ausgangspunkt für die dichterische In¬ tuition gewesen ist. Auch ist es nach meiner Ansicht nicht richtig, die Wagnersche Loheu- gringestalt zur Ausdeutung der Parsifalfigur heranzuziehen und anzunehmen, daß Parsifal als Gralskönig doch dem Weibe gehuldigt habe, das er in Kundry von sich gewiesen hatte. Parsifal ist das (Schopenhauersche) Genie, das infolge seiner Mitleidsfähig¬ keit in fremden? Leid sein eigenes Wesen, das Wesen der Welt und das Mittel zur Erlösung, die Umkehr des Willens, er¬ kennt. Er erkennt auch, daß die Heilstat Jesu den Sinn hatte, der Menschheit die Möglichkeit dieser wunderbaren Umkehr des Willens vor Augen zu führen. So stellt er diese Heilstat in wirksamer Weise wieder her, bringt Erlösung dem Erlöser. So ist der Parsifal allerdings ein Weltanschauungsdrama nur — in noch tieferem, bestimmterem Sinne, als Verfasser zu glauben scheint. Trotz dieser Ausstellungen ist aber das Schriftchen eine recht verständliche, sehr viel Richtiges im ein¬ zelnen bietende Einführung in das Parstfal- Problem, und besonders solchen Lesern zu emp¬ fehlen, denen eine Einarbeitung in die meta¬ physischen Fragen, die Wagner in seiner letzten Lebensperiode beschäftigten nicht Dr. Hamel liegen würde. Anmerkung derSchriftleitung. Wir bringen demnächst aus der Feder l)r. Haucks einen eingehenden Aufsatz, in dein unter den in vorstehender Kritik geltend gemachten Gesichts¬ punkten eine Deutung des Parsifalproblems gegeben wird. Geschichte Deutscher Gcschichtslalender. Sachlich geordnete Zusammenstellung der wichtigsten Vorgänge im In- und Auslande. Begründet von Karl Wippermann. Jahrgang 1912, I. und II. Band (Januar bis Juni, Juli bis Dezember). Leipzig, Felix. Meiner. Jeder Politiker, jeder Journalist, über¬ haupt jeder Gebildete, der den Ereignissen seiner Tage mit Verständnis folgen will, weiß, wie schwer es ist, sie im Gedächtnis festzu¬ halten, wenn es sich nicht um ganz besonders eindrucksvolle Dinge handelt. Es bedarf deshalb eines sicheren Wegweisers, der ihm die bunte verwirrende Fülle der Geschehnisse zuverlässig, übersichtlich, genau und rasch übermittelt. Ein solcher Wegweiser ist seit 188S Wippermanns Deutscher Geschichts¬ kalender, im Verlage von Fr. W. Grunow, gewesen. Nach dem Tode dieses Bearbeiters ist er 1911 aus diesem Verlage an Felix Meiner übergegangen. Wie bisher erscheint er in zwei halbjährlichen Bänden. Eine zweck¬ mäßige Neuerung ist es dabei, daß er zu¬ nächst in Monatsheften ausgegeben wird, die möglichst bald nach dem Schlüsse jedes Monats erscheinen, jedes mit einen: Personal- und Sachregister neben dem Inhaltsverzeichnis. Um die Übersicht zu erleichtern, ist dann auch jedem der beiden Jahresbände außer dem Inhaltsverzeichnis ein solches zusammen¬ fassendes Register beigegeben, so daß die Über¬ sicht gewahrt bleibt. Die Anordnung ist die¬ selbe wie bisher. Voran gehen der kaiserliche Hof und der Bundesrat, das Deutsche Reich und Preußen mit Einschluß des Reichstages

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/210>, abgerufen am 30.12.2024.