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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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England und Rußland in Persien

und es fand die höfliche Zustimmung Herrn Ssasonows bei feinem Besuch in
Batmoral. Von einer machtvollen Regierung ist bis jetzt noch nichts zu ver¬
spüren. Zwar hat man auf die Wiedereinberufung der Medjlis auf russischen
Wunsch verzichtet. Von dieser Körperschaft durfte auch kaum das Heil kommen.
Der Schah zählt vierzehn Jahre. Der Regent Nasr-ni-Mull begab sich im letzten
Juni nach Europa und versichert, aus Familienrücksichten verhindert zu sein, in
absehbarer Zeit sein ihm anvertrautes Vaterland wieder aufzusuchen. Es existiert
wohl ein Kabinett, an dessen Spitze Ala-es-Sultauch steht, allein irgendeine
Autorität hat es außerhalb der russischen Bajonette nicht, und vollends die
Nomadenstämme sind tatsächlich unabhängig.

Nußland würde wohl nichts dagegen haben, den Exschah. der wenigstens
ein Mann von gewisser Energie zu sein scheint, wieder einzusetzen. Allein Eng¬
land, vor allem die englischen Liberalen, bestehen auf ihrer Abneigung gegen
den Autokraten. So muß man sich möglicherweise auf eine dritte Persönlichkeit
einigen, die mit Hilfe europäischer Berater die dornenvolle Aufgabe übernehmen
muß. für den König der Könige die Regentschaft zu führen.

Ist nun aber glücklich eine Regierungsform gefunden, welche Stadt soll die
neue Hauptstadt sein? Die größeren historischen Städte liegen alle innerhalb der
russischen Demarkationslinie. Vielleicht wird man sich für Jspahan entscheiden,
das zwar auch innerhalb dieser Linie liegt, aber doch etwas mehr von englischem
Einfluß erreicht wird.

Heute steht England zu -- zum heftigsten Unwillen der englischen Oppo¬
sition -- wie der Gesandte Rußlands in Teheran der allmächtige Herr gegen¬
über dem persischen Kabinett ist. England solle, so verlangt die Opposition,
dem Wachstum des russischen Einflusses entgegenarbeiten. Man schlug zu diesem
Zwecke vor, den schwedischen Gendarmerieinstrukteuren indische Offiziere bei¬
zugeben -- allein man kam von diesem Gedanken ab im Hinblick auf die mög¬
liche Rivalität. Bei den jüngsten Verhandlungen im englischen Parlament ver¬
langten die Redner der Opposition eine Revision des englisch-russischen Vertrags
und eine teilweise Einbeziehung der neutralen Sphäre am persischen Golf in
die englische Interessensphäre. Allein wie der Unterstaatssekretär für auswärtige
Angelegenheiten in der Unterhaussitzung vom 14. Februar erklärte, hält die
Regierung es für besser, diese Zone mit Konzessionen als mit Truppen zu be¬
legen. Die strategischen Bedenken, die im Jahre 1907 den Engländern ein
Hinausgehen über die Linie Benders Abbas-Kerman untunlich erscheinen ließen,
bestehen ja noch fort und so begnügte man sich mit der Option für eine Eisen¬
bahn von Mohammerah nach Khorramabad.

Was wird aus dieser neutralen Zone -- Südwestpersien von Benders
Abbas bis zur türkischen Grenze und nordwärts bis gegen Jspahan -- werden?
Darin liegt eigentlich das persische Problem. Wenn England sich hier
politisch für uninteressiert erklärt hat wegen der oben erwähnten strategrschen
Unmöglichkeit einer Verteidigung von Indien aus. wer will dann Rußland


England und Rußland in Persien

und es fand die höfliche Zustimmung Herrn Ssasonows bei feinem Besuch in
Batmoral. Von einer machtvollen Regierung ist bis jetzt noch nichts zu ver¬
spüren. Zwar hat man auf die Wiedereinberufung der Medjlis auf russischen
Wunsch verzichtet. Von dieser Körperschaft durfte auch kaum das Heil kommen.
Der Schah zählt vierzehn Jahre. Der Regent Nasr-ni-Mull begab sich im letzten
Juni nach Europa und versichert, aus Familienrücksichten verhindert zu sein, in
absehbarer Zeit sein ihm anvertrautes Vaterland wieder aufzusuchen. Es existiert
wohl ein Kabinett, an dessen Spitze Ala-es-Sultauch steht, allein irgendeine
Autorität hat es außerhalb der russischen Bajonette nicht, und vollends die
Nomadenstämme sind tatsächlich unabhängig.

Nußland würde wohl nichts dagegen haben, den Exschah. der wenigstens
ein Mann von gewisser Energie zu sein scheint, wieder einzusetzen. Allein Eng¬
land, vor allem die englischen Liberalen, bestehen auf ihrer Abneigung gegen
den Autokraten. So muß man sich möglicherweise auf eine dritte Persönlichkeit
einigen, die mit Hilfe europäischer Berater die dornenvolle Aufgabe übernehmen
muß. für den König der Könige die Regentschaft zu führen.

Ist nun aber glücklich eine Regierungsform gefunden, welche Stadt soll die
neue Hauptstadt sein? Die größeren historischen Städte liegen alle innerhalb der
russischen Demarkationslinie. Vielleicht wird man sich für Jspahan entscheiden,
das zwar auch innerhalb dieser Linie liegt, aber doch etwas mehr von englischem
Einfluß erreicht wird.

Heute steht England zu — zum heftigsten Unwillen der englischen Oppo¬
sition — wie der Gesandte Rußlands in Teheran der allmächtige Herr gegen¬
über dem persischen Kabinett ist. England solle, so verlangt die Opposition,
dem Wachstum des russischen Einflusses entgegenarbeiten. Man schlug zu diesem
Zwecke vor, den schwedischen Gendarmerieinstrukteuren indische Offiziere bei¬
zugeben — allein man kam von diesem Gedanken ab im Hinblick auf die mög¬
liche Rivalität. Bei den jüngsten Verhandlungen im englischen Parlament ver¬
langten die Redner der Opposition eine Revision des englisch-russischen Vertrags
und eine teilweise Einbeziehung der neutralen Sphäre am persischen Golf in
die englische Interessensphäre. Allein wie der Unterstaatssekretär für auswärtige
Angelegenheiten in der Unterhaussitzung vom 14. Februar erklärte, hält die
Regierung es für besser, diese Zone mit Konzessionen als mit Truppen zu be¬
legen. Die strategischen Bedenken, die im Jahre 1907 den Engländern ein
Hinausgehen über die Linie Benders Abbas-Kerman untunlich erscheinen ließen,
bestehen ja noch fort und so begnügte man sich mit der Option für eine Eisen¬
bahn von Mohammerah nach Khorramabad.

Was wird aus dieser neutralen Zone — Südwestpersien von Benders
Abbas bis zur türkischen Grenze und nordwärts bis gegen Jspahan — werden?
Darin liegt eigentlich das persische Problem. Wenn England sich hier
politisch für uninteressiert erklärt hat wegen der oben erwähnten strategrschen
Unmöglichkeit einer Verteidigung von Indien aus. wer will dann Rußland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/17>, abgerufen am 27.07.2024.