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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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England und Rußland in Persien

Die allgemeine Billigung, die man -- von indischen Mohammedanern
und ihren Freunden abgesehen -- in England der auswärtigen Politik Sir
Edward Greys während der Balkankrise widerfahren läßt, erstreckt sich nicht
auf die persische Politik des Staatssekretärs. Das Problem, die englisch-russische
Freundschaft zu festigen und damit die Wahrung englischer Interessen gegen
Rußland zu verbinden, hat der Minister nicht so zu lösen vermocht, wie es
viele seiner Landsleute verlangten. Die Interessen der Mächte der Triple-
entente weisen eben nicht in allen Teilen der Welt die unerschütterliche Über¬
einstimmung auf, die man, zumal an der Seine als Kitt für diese politische
Gruppierung wünscht. Den englisch-russischen Gegensatz, der Jahrzehnte hin¬
durch einen stehenden Faktor in der hohen Politik bildete, wollte man vor sechs
Jahren auf der persischen Reibungsfläche durch einen Vertrag beheben, von dem
eine dauernde und befriedigende Lösung im Sinne aller Beteiligten erhofft wurde.

Die anarchischen Verhältnisse in Persien, deren Wirrnis seit dem Ende
des absolutistischen Regime am 5. August 1907 wuchs, bedrohen Handel und
Sicherheit der Einheimischen wie der Europäer in gleichem Maße. Rußland
ist mit 56 Prozent am persischen Außenhandel beteiligt. Sein Expansionsdrang
war ohnedies nach dem Kriege mit Japan wieder gegen die Südgrenze seiner
asiatischen Reichsteile gelenkt worden --, jedenfalls muß der Gefährdung des
russischen Handels in Persien ein Ende gemacht werden. Nächst Rußland hat
England mit 26,4 Prozent Beteiligung am Außenhandel das stärkste Interesse
an der Rückkehr geordneter Verhältnisse. Darin findet es sich mit Rußland
einig. Die Handelssphären der beiden Nationen sind ziemlich voneinander ge¬
schieden. Der Handel auf dem Landwege im Norden und über das Kaspische
Meer ist in russischen Händen. Der Küstenhandel am persischen Golf und die
gesamte überseeische Ausfuhr, namentlich nach Bombay, geht durch englische
Kaufleute und auf englischen Schiffen vor sich.

Wenn aber für Rußland eine tatsächliche Besitznahme seiner Interessen¬
sphäre die glatteste und gründlichste Lösung scheinen muß, so hat England
gar keine Neigung zu irgendeiner Ausdehnung seines Besitzes. Das britische
Reich ist territorial hier wie anderswo gesättigt. Ihm liegt nur an einer
strategischen Sicherung seiner heutigen Grenzen und. in Übereinstimmung mit
Rußland, an Zuständen, die normale Bedingungen für Handel und Wandel
schaffen. Diese strategischen Rücksichten müssen aber ein Vorschieben Rußlands
über das Hochplateau von Iran hinaus bedenklich erscheinen lassen, sie müssen
ebenso ein Vorrücken Englands vom indischen Zentrum weg verurteilen. Eng¬
land, das heute das Kaiserreich Indien mit einer Armee von der Größe des
bayerischen Heeres verteidigen will, kann kein neues offenes und schutzbedürftiges
Außengelünde brauchen. Rußland scheut nicht die Nachbarschaft Englands, aber
Großbritannien sehnt sich nicht nach Grenzgemeinschaft mit dem Ententefreund.

So muß England auf alle Fälle eine Teilung vermeiden, auf die Rußland
auch nicht zu bestehen braucht -- eine Penetration vom Norden her bringt


England und Rußland in Persien

Die allgemeine Billigung, die man — von indischen Mohammedanern
und ihren Freunden abgesehen — in England der auswärtigen Politik Sir
Edward Greys während der Balkankrise widerfahren läßt, erstreckt sich nicht
auf die persische Politik des Staatssekretärs. Das Problem, die englisch-russische
Freundschaft zu festigen und damit die Wahrung englischer Interessen gegen
Rußland zu verbinden, hat der Minister nicht so zu lösen vermocht, wie es
viele seiner Landsleute verlangten. Die Interessen der Mächte der Triple-
entente weisen eben nicht in allen Teilen der Welt die unerschütterliche Über¬
einstimmung auf, die man, zumal an der Seine als Kitt für diese politische
Gruppierung wünscht. Den englisch-russischen Gegensatz, der Jahrzehnte hin¬
durch einen stehenden Faktor in der hohen Politik bildete, wollte man vor sechs
Jahren auf der persischen Reibungsfläche durch einen Vertrag beheben, von dem
eine dauernde und befriedigende Lösung im Sinne aller Beteiligten erhofft wurde.

Die anarchischen Verhältnisse in Persien, deren Wirrnis seit dem Ende
des absolutistischen Regime am 5. August 1907 wuchs, bedrohen Handel und
Sicherheit der Einheimischen wie der Europäer in gleichem Maße. Rußland
ist mit 56 Prozent am persischen Außenhandel beteiligt. Sein Expansionsdrang
war ohnedies nach dem Kriege mit Japan wieder gegen die Südgrenze seiner
asiatischen Reichsteile gelenkt worden —, jedenfalls muß der Gefährdung des
russischen Handels in Persien ein Ende gemacht werden. Nächst Rußland hat
England mit 26,4 Prozent Beteiligung am Außenhandel das stärkste Interesse
an der Rückkehr geordneter Verhältnisse. Darin findet es sich mit Rußland
einig. Die Handelssphären der beiden Nationen sind ziemlich voneinander ge¬
schieden. Der Handel auf dem Landwege im Norden und über das Kaspische
Meer ist in russischen Händen. Der Küstenhandel am persischen Golf und die
gesamte überseeische Ausfuhr, namentlich nach Bombay, geht durch englische
Kaufleute und auf englischen Schiffen vor sich.

Wenn aber für Rußland eine tatsächliche Besitznahme seiner Interessen¬
sphäre die glatteste und gründlichste Lösung scheinen muß, so hat England
gar keine Neigung zu irgendeiner Ausdehnung seines Besitzes. Das britische
Reich ist territorial hier wie anderswo gesättigt. Ihm liegt nur an einer
strategischen Sicherung seiner heutigen Grenzen und. in Übereinstimmung mit
Rußland, an Zuständen, die normale Bedingungen für Handel und Wandel
schaffen. Diese strategischen Rücksichten müssen aber ein Vorschieben Rußlands
über das Hochplateau von Iran hinaus bedenklich erscheinen lassen, sie müssen
ebenso ein Vorrücken Englands vom indischen Zentrum weg verurteilen. Eng¬
land, das heute das Kaiserreich Indien mit einer Armee von der Größe des
bayerischen Heeres verteidigen will, kann kein neues offenes und schutzbedürftiges
Außengelünde brauchen. Rußland scheut nicht die Nachbarschaft Englands, aber
Großbritannien sehnt sich nicht nach Grenzgemeinschaft mit dem Ententefreund.

So muß England auf alle Fälle eine Teilung vermeiden, auf die Rußland
auch nicht zu bestehen braucht — eine Penetration vom Norden her bringt


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[0014] England und Rußland in Persien Die allgemeine Billigung, die man — von indischen Mohammedanern und ihren Freunden abgesehen — in England der auswärtigen Politik Sir Edward Greys während der Balkankrise widerfahren läßt, erstreckt sich nicht auf die persische Politik des Staatssekretärs. Das Problem, die englisch-russische Freundschaft zu festigen und damit die Wahrung englischer Interessen gegen Rußland zu verbinden, hat der Minister nicht so zu lösen vermocht, wie es viele seiner Landsleute verlangten. Die Interessen der Mächte der Triple- entente weisen eben nicht in allen Teilen der Welt die unerschütterliche Über¬ einstimmung auf, die man, zumal an der Seine als Kitt für diese politische Gruppierung wünscht. Den englisch-russischen Gegensatz, der Jahrzehnte hin¬ durch einen stehenden Faktor in der hohen Politik bildete, wollte man vor sechs Jahren auf der persischen Reibungsfläche durch einen Vertrag beheben, von dem eine dauernde und befriedigende Lösung im Sinne aller Beteiligten erhofft wurde. Die anarchischen Verhältnisse in Persien, deren Wirrnis seit dem Ende des absolutistischen Regime am 5. August 1907 wuchs, bedrohen Handel und Sicherheit der Einheimischen wie der Europäer in gleichem Maße. Rußland ist mit 56 Prozent am persischen Außenhandel beteiligt. Sein Expansionsdrang war ohnedies nach dem Kriege mit Japan wieder gegen die Südgrenze seiner asiatischen Reichsteile gelenkt worden —, jedenfalls muß der Gefährdung des russischen Handels in Persien ein Ende gemacht werden. Nächst Rußland hat England mit 26,4 Prozent Beteiligung am Außenhandel das stärkste Interesse an der Rückkehr geordneter Verhältnisse. Darin findet es sich mit Rußland einig. Die Handelssphären der beiden Nationen sind ziemlich voneinander ge¬ schieden. Der Handel auf dem Landwege im Norden und über das Kaspische Meer ist in russischen Händen. Der Küstenhandel am persischen Golf und die gesamte überseeische Ausfuhr, namentlich nach Bombay, geht durch englische Kaufleute und auf englischen Schiffen vor sich. Wenn aber für Rußland eine tatsächliche Besitznahme seiner Interessen¬ sphäre die glatteste und gründlichste Lösung scheinen muß, so hat England gar keine Neigung zu irgendeiner Ausdehnung seines Besitzes. Das britische Reich ist territorial hier wie anderswo gesättigt. Ihm liegt nur an einer strategischen Sicherung seiner heutigen Grenzen und. in Übereinstimmung mit Rußland, an Zuständen, die normale Bedingungen für Handel und Wandel schaffen. Diese strategischen Rücksichten müssen aber ein Vorschieben Rußlands über das Hochplateau von Iran hinaus bedenklich erscheinen lassen, sie müssen ebenso ein Vorrücken Englands vom indischen Zentrum weg verurteilen. Eng¬ land, das heute das Kaiserreich Indien mit einer Armee von der Größe des bayerischen Heeres verteidigen will, kann kein neues offenes und schutzbedürftiges Außengelünde brauchen. Rußland scheut nicht die Nachbarschaft Englands, aber Großbritannien sehnt sich nicht nach Grenzgemeinschaft mit dem Ententefreund. So muß England auf alle Fälle eine Teilung vermeiden, auf die Rußland auch nicht zu bestehen braucht — eine Penetration vom Norden her bringt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/14>, abgerufen am 21.12.2024.