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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Das seltenste Fremdwort

Satz das Subjekt und damit der Schwerpunkt des Interesses der Sache ein¬
geräumt. Indem sich also hier das "Ich" in die objektive Satzaussage zurückgezogen
hat als die bloße Form, die dem toten Inhalt des Sachsubjekts gegeben sein
muß, wird in diesem Sinne die Objektivität zum Kennzeichen der Wissenschaft,
derselben Wissenschaft, als deren Aufgabe wir die subjeknve Wahrheit bezeich¬
neten. Es ist eben damit nur ausgesprochen, daß ebenso, wie das Interesse der
Kunst nur der Form gilt, die im Stoff realisiert wird, so das der Wissenschaft
nur dem Objekt gilt, das im Subjekt realisiert wird. Der Laie, der daraus
ewig nur das Paradoxe hört, sollte es sich darum siebenmal siebenmal überlegen,
bevor er über Kunst oder Wissenschaft zu urteilen unternimmt. So ruft Schiller
"einem Freunde, als er sich der Weltweisheit widmete", die Warnung zu:


"Bist du bereitet und reif, das Heiligtum zu betreten,
Wo den verdächtigen Schatz Pallas Athene verwahrt?
Fühlst du dir Stärke genug, der Kämpfe schwersten zu kämpfen,
Wenn sich Verstand und Herz, Sinn und Gedanken entzwei'n?
Mut genug, mit des Zweifels unsterblicher Hydra zu ringen
Und dein Feind in dir selbst männlich entgegenzugehn?
Mit des Auges Gesundheit, des Herzens heiliger Unschuld
Zu entlarven den Trug, der dich als Wahrheit versucht?"

In diesem großartig entworfenen Bilde der Wissenschaft und ihrer besonderen
Anforderungen liegt für unser Thema die Anerkennung der Tatsache, daß die
Wissenschaft eine eigene Sphäre hat, die von der des täglichen Lebens sehr
verschieden, und daß eine Vermengung dieser Sphären für den Laien die stete
Gefahr bildet. Es ist darum nur konsequent und sozusagen stilvoll gehandelt,
wenn das Fremdwort die Sphäre dieses Profanlebens von der Wissenschaft
ebenso inhaltlich fernhält, wie dies äußerlich schon durch den bei wissenschaft¬
lichen Werken üblichen lateinischen Druck geschieht. Der Hauch der Jungfräulichkeit,
der über das Fremdwort gebreitet liegt, steht nicht nur der Wissenschaft moralisch
und ästhetisch an, sondern fördert sie auch indirekt in dem Eingehen auf ihre
wesentlich irreale Natur.

Dieses Moment wird uns besonders eindringlich, wenn es sich um die
letzten Fragen der Wissenschaft, um "Wahrheiten" handelt. Es liegt hier in
der jahrhundertelangen, wissenschaftlichen Tradition des Fremdworts, daß es,
als Aussage einer Wahrheit diese schlicht, d. h. mit dem ohne weiteres ein¬
geschlossenen Vorbehalte ihrer relativen Geltung vorträgt, während die Wörter
der Umgangssprache mit dem lauten Anspruch auf apodiktische Gewißheit auf¬
treten. Welche Verwirrung haben da nicht schon in Laienköpfen Wörter wie
"Gesetz" hervorgerufen. Wissenschaftlich ist es nichts als eine Regel des Ver¬
standes selbst, auf ein Tatsachengebiet angewendet, um das gemeinsame Wesen
dieser Tatsachen auf den knappesten logischen Ausdruck zu bringen. Nun bleibt
aber ebenso inhaltlich das gemeinsame "Wesen" der Tatsachen an den jeweiligen
Stand der Erfahrung gebunden, wie formal das Bedürfnis nach einer wesent¬
lichen Gemeinsamkeit nur im Denken besteht. Die Realität der Erscheinung ist


Das seltenste Fremdwort

Satz das Subjekt und damit der Schwerpunkt des Interesses der Sache ein¬
geräumt. Indem sich also hier das „Ich" in die objektive Satzaussage zurückgezogen
hat als die bloße Form, die dem toten Inhalt des Sachsubjekts gegeben sein
muß, wird in diesem Sinne die Objektivität zum Kennzeichen der Wissenschaft,
derselben Wissenschaft, als deren Aufgabe wir die subjeknve Wahrheit bezeich¬
neten. Es ist eben damit nur ausgesprochen, daß ebenso, wie das Interesse der
Kunst nur der Form gilt, die im Stoff realisiert wird, so das der Wissenschaft
nur dem Objekt gilt, das im Subjekt realisiert wird. Der Laie, der daraus
ewig nur das Paradoxe hört, sollte es sich darum siebenmal siebenmal überlegen,
bevor er über Kunst oder Wissenschaft zu urteilen unternimmt. So ruft Schiller
„einem Freunde, als er sich der Weltweisheit widmete", die Warnung zu:


„Bist du bereitet und reif, das Heiligtum zu betreten,
Wo den verdächtigen Schatz Pallas Athene verwahrt?
Fühlst du dir Stärke genug, der Kämpfe schwersten zu kämpfen,
Wenn sich Verstand und Herz, Sinn und Gedanken entzwei'n?
Mut genug, mit des Zweifels unsterblicher Hydra zu ringen
Und dein Feind in dir selbst männlich entgegenzugehn?
Mit des Auges Gesundheit, des Herzens heiliger Unschuld
Zu entlarven den Trug, der dich als Wahrheit versucht?"

In diesem großartig entworfenen Bilde der Wissenschaft und ihrer besonderen
Anforderungen liegt für unser Thema die Anerkennung der Tatsache, daß die
Wissenschaft eine eigene Sphäre hat, die von der des täglichen Lebens sehr
verschieden, und daß eine Vermengung dieser Sphären für den Laien die stete
Gefahr bildet. Es ist darum nur konsequent und sozusagen stilvoll gehandelt,
wenn das Fremdwort die Sphäre dieses Profanlebens von der Wissenschaft
ebenso inhaltlich fernhält, wie dies äußerlich schon durch den bei wissenschaft¬
lichen Werken üblichen lateinischen Druck geschieht. Der Hauch der Jungfräulichkeit,
der über das Fremdwort gebreitet liegt, steht nicht nur der Wissenschaft moralisch
und ästhetisch an, sondern fördert sie auch indirekt in dem Eingehen auf ihre
wesentlich irreale Natur.

Dieses Moment wird uns besonders eindringlich, wenn es sich um die
letzten Fragen der Wissenschaft, um „Wahrheiten" handelt. Es liegt hier in
der jahrhundertelangen, wissenschaftlichen Tradition des Fremdworts, daß es,
als Aussage einer Wahrheit diese schlicht, d. h. mit dem ohne weiteres ein¬
geschlossenen Vorbehalte ihrer relativen Geltung vorträgt, während die Wörter
der Umgangssprache mit dem lauten Anspruch auf apodiktische Gewißheit auf¬
treten. Welche Verwirrung haben da nicht schon in Laienköpfen Wörter wie
„Gesetz" hervorgerufen. Wissenschaftlich ist es nichts als eine Regel des Ver¬
standes selbst, auf ein Tatsachengebiet angewendet, um das gemeinsame Wesen
dieser Tatsachen auf den knappesten logischen Ausdruck zu bringen. Nun bleibt
aber ebenso inhaltlich das gemeinsame „Wesen" der Tatsachen an den jeweiligen
Stand der Erfahrung gebunden, wie formal das Bedürfnis nach einer wesent¬
lichen Gemeinsamkeit nur im Denken besteht. Die Realität der Erscheinung ist


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[0078] Das seltenste Fremdwort Satz das Subjekt und damit der Schwerpunkt des Interesses der Sache ein¬ geräumt. Indem sich also hier das „Ich" in die objektive Satzaussage zurückgezogen hat als die bloße Form, die dem toten Inhalt des Sachsubjekts gegeben sein muß, wird in diesem Sinne die Objektivität zum Kennzeichen der Wissenschaft, derselben Wissenschaft, als deren Aufgabe wir die subjeknve Wahrheit bezeich¬ neten. Es ist eben damit nur ausgesprochen, daß ebenso, wie das Interesse der Kunst nur der Form gilt, die im Stoff realisiert wird, so das der Wissenschaft nur dem Objekt gilt, das im Subjekt realisiert wird. Der Laie, der daraus ewig nur das Paradoxe hört, sollte es sich darum siebenmal siebenmal überlegen, bevor er über Kunst oder Wissenschaft zu urteilen unternimmt. So ruft Schiller „einem Freunde, als er sich der Weltweisheit widmete", die Warnung zu: „Bist du bereitet und reif, das Heiligtum zu betreten, Wo den verdächtigen Schatz Pallas Athene verwahrt? Fühlst du dir Stärke genug, der Kämpfe schwersten zu kämpfen, Wenn sich Verstand und Herz, Sinn und Gedanken entzwei'n? Mut genug, mit des Zweifels unsterblicher Hydra zu ringen Und dein Feind in dir selbst männlich entgegenzugehn? Mit des Auges Gesundheit, des Herzens heiliger Unschuld Zu entlarven den Trug, der dich als Wahrheit versucht?" In diesem großartig entworfenen Bilde der Wissenschaft und ihrer besonderen Anforderungen liegt für unser Thema die Anerkennung der Tatsache, daß die Wissenschaft eine eigene Sphäre hat, die von der des täglichen Lebens sehr verschieden, und daß eine Vermengung dieser Sphären für den Laien die stete Gefahr bildet. Es ist darum nur konsequent und sozusagen stilvoll gehandelt, wenn das Fremdwort die Sphäre dieses Profanlebens von der Wissenschaft ebenso inhaltlich fernhält, wie dies äußerlich schon durch den bei wissenschaft¬ lichen Werken üblichen lateinischen Druck geschieht. Der Hauch der Jungfräulichkeit, der über das Fremdwort gebreitet liegt, steht nicht nur der Wissenschaft moralisch und ästhetisch an, sondern fördert sie auch indirekt in dem Eingehen auf ihre wesentlich irreale Natur. Dieses Moment wird uns besonders eindringlich, wenn es sich um die letzten Fragen der Wissenschaft, um „Wahrheiten" handelt. Es liegt hier in der jahrhundertelangen, wissenschaftlichen Tradition des Fremdworts, daß es, als Aussage einer Wahrheit diese schlicht, d. h. mit dem ohne weiteres ein¬ geschlossenen Vorbehalte ihrer relativen Geltung vorträgt, während die Wörter der Umgangssprache mit dem lauten Anspruch auf apodiktische Gewißheit auf¬ treten. Welche Verwirrung haben da nicht schon in Laienköpfen Wörter wie „Gesetz" hervorgerufen. Wissenschaftlich ist es nichts als eine Regel des Ver¬ standes selbst, auf ein Tatsachengebiet angewendet, um das gemeinsame Wesen dieser Tatsachen auf den knappesten logischen Ausdruck zu bringen. Nun bleibt aber ebenso inhaltlich das gemeinsame „Wesen" der Tatsachen an den jeweiligen Stand der Erfahrung gebunden, wie formal das Bedürfnis nach einer wesent¬ lichen Gemeinsamkeit nur im Denken besteht. Die Realität der Erscheinung ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/78>, abgerufen am 22.07.2024.