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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Das seltenste Fremdwort

binden oder, was dasselbe heißt, die eine Bedeutung in sich soll qualitätslos
sein. Indem wir nun diese Qualitätslosigkeit allen Umgangswörtern wesentlich
aberkennen, gelangen wir erst zu dem entscheidenden Punkt unserer Aus¬
führungen: der qualitativen Überlegenheit des Fremdworts. Solange
es die Sprache nur erweitert, konnte es noch ein notwendiges Übel sein. Es war
nicht einzusehen, warum nicht ein deutsches Wort ebensogut dasür eintreten sollte,
möglichst sachlich auf seine Bestimmung zugeschnitten*) und ihr durch Über¬
einkunft**) verbunden. Daß das Fremdwort die wissenschaftliche Sprache ver¬
bessert, muß erst eine Anwendung zeigen, wo nicht eine quantitative, sondern
eine qualitative Abspaltung der neuen Bedeutung in Frage kommt, d. h. wo
ein Neuwort, wie z. B. das von Engel beanstandete Egoi'tat, nicht neben, sondern
statt eines Unigangswortes wie Egoismus tritt. Was ist nun dabei der Ge¬
winn für den Erfinder? Er arbeitet reinlich. Ich meine, er macht mit der
sprachlichen Neuschöpfung des Begriffs, den er behandeln will, reinen Tisch für
den Aufbau seines Gedankengebäudes; es klebt an seinem Material nicht der
Schmeiß der von Hand zu Hand gehenden Scheidemünze mit der Ansteckungs¬
gefahr durch Bazillenübertragung. Und diese Gefahr ist mehr als das Phantom
einer übertriebenen Ängstlichkeit. Es liegt eine kluge Beobachtung in dem
Distichon von "der gebildeten Sprache, die für uns dichtet und denkt." Nur
daß dasselbe, was hier dichterisch noch keinen Wert entscheidet, wissenschaftlich
bereits eine entscheidende Wertlosigkeit bedeutet. Die Wörter führen in der Tat
ein Eigenleben. Sie, die den Gedanken einsargen sollen, daß er dem ewigen
Fluß alles Lebendigen entrückt sei, entwickeln plötzlich in unserem Kopfe eine
unheimliche Beweglichkeit und nehmen den Gedanken mit auf ihren eigenwillige"
Wegen.

Wie das? Infolge seiner wechselnden Einstellung auf den bunten Hinter¬
grund des Lebens wird das Wort in dem Laienverstande, der nicht begrifflich
scheidet, sondern phantastisch kombiniert, mit Assoziationen gesättigt, d. h. sein
Gedankengehalt wird mit Vorstellungen unlöslich verbunden, die ihm scheinbar
denknotwendig anhängen. Indem diese je nach Bildungsgang, Alter usw. ver¬
schiedenen Assoziationen dem, der ein solches Wort verwendet, im Augenblick
durch den Kopf gehen, drängen sie ihn um so mehr von dem reinen Wortsinn
ab, je populärer sie gebildet sind, d. h. je weniger sie mit dem Gedankeninhalt
in einem logischen Zusammenhang stehen. Denn wenn sie auch zunächst nur
seine mögliche, psychologische Folge sind, so werden sie doch allmählich in der
spontanen Auffassung des Wortes zur Hauptsache erhoben vermöge der wesentlich
dichterischen Natur des naiven Bewußtseins, das seine schmückende Tendenz mit
Vorliebe dem Nebensächlichen zuwendet. Es ist dieselbe Gefahr, der Schopen-




*') Wie sehr die formale Bildung dieser ".deutschen" Wörter dabei von dem klassische"
Vorgang der Fremdwörter abhängig bleibt, darauf macht aufmerksam Paul Cauer in seiner
"(Zrammatica militsns" S. 14.
*") Über die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten vgl. jedoch S. 67, Anmerkung.
Das seltenste Fremdwort

binden oder, was dasselbe heißt, die eine Bedeutung in sich soll qualitätslos
sein. Indem wir nun diese Qualitätslosigkeit allen Umgangswörtern wesentlich
aberkennen, gelangen wir erst zu dem entscheidenden Punkt unserer Aus¬
führungen: der qualitativen Überlegenheit des Fremdworts. Solange
es die Sprache nur erweitert, konnte es noch ein notwendiges Übel sein. Es war
nicht einzusehen, warum nicht ein deutsches Wort ebensogut dasür eintreten sollte,
möglichst sachlich auf seine Bestimmung zugeschnitten*) und ihr durch Über¬
einkunft**) verbunden. Daß das Fremdwort die wissenschaftliche Sprache ver¬
bessert, muß erst eine Anwendung zeigen, wo nicht eine quantitative, sondern
eine qualitative Abspaltung der neuen Bedeutung in Frage kommt, d. h. wo
ein Neuwort, wie z. B. das von Engel beanstandete Egoi'tat, nicht neben, sondern
statt eines Unigangswortes wie Egoismus tritt. Was ist nun dabei der Ge¬
winn für den Erfinder? Er arbeitet reinlich. Ich meine, er macht mit der
sprachlichen Neuschöpfung des Begriffs, den er behandeln will, reinen Tisch für
den Aufbau seines Gedankengebäudes; es klebt an seinem Material nicht der
Schmeiß der von Hand zu Hand gehenden Scheidemünze mit der Ansteckungs¬
gefahr durch Bazillenübertragung. Und diese Gefahr ist mehr als das Phantom
einer übertriebenen Ängstlichkeit. Es liegt eine kluge Beobachtung in dem
Distichon von „der gebildeten Sprache, die für uns dichtet und denkt." Nur
daß dasselbe, was hier dichterisch noch keinen Wert entscheidet, wissenschaftlich
bereits eine entscheidende Wertlosigkeit bedeutet. Die Wörter führen in der Tat
ein Eigenleben. Sie, die den Gedanken einsargen sollen, daß er dem ewigen
Fluß alles Lebendigen entrückt sei, entwickeln plötzlich in unserem Kopfe eine
unheimliche Beweglichkeit und nehmen den Gedanken mit auf ihren eigenwillige«
Wegen.

Wie das? Infolge seiner wechselnden Einstellung auf den bunten Hinter¬
grund des Lebens wird das Wort in dem Laienverstande, der nicht begrifflich
scheidet, sondern phantastisch kombiniert, mit Assoziationen gesättigt, d. h. sein
Gedankengehalt wird mit Vorstellungen unlöslich verbunden, die ihm scheinbar
denknotwendig anhängen. Indem diese je nach Bildungsgang, Alter usw. ver¬
schiedenen Assoziationen dem, der ein solches Wort verwendet, im Augenblick
durch den Kopf gehen, drängen sie ihn um so mehr von dem reinen Wortsinn
ab, je populärer sie gebildet sind, d. h. je weniger sie mit dem Gedankeninhalt
in einem logischen Zusammenhang stehen. Denn wenn sie auch zunächst nur
seine mögliche, psychologische Folge sind, so werden sie doch allmählich in der
spontanen Auffassung des Wortes zur Hauptsache erhoben vermöge der wesentlich
dichterischen Natur des naiven Bewußtseins, das seine schmückende Tendenz mit
Vorliebe dem Nebensächlichen zuwendet. Es ist dieselbe Gefahr, der Schopen-




*') Wie sehr die formale Bildung dieser „.deutschen" Wörter dabei von dem klassische»
Vorgang der Fremdwörter abhängig bleibt, darauf macht aufmerksam Paul Cauer in seiner
„(Zrammatica militsns" S. 14.
*") Über die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten vgl. jedoch S. 67, Anmerkung.
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[0075] Das seltenste Fremdwort binden oder, was dasselbe heißt, die eine Bedeutung in sich soll qualitätslos sein. Indem wir nun diese Qualitätslosigkeit allen Umgangswörtern wesentlich aberkennen, gelangen wir erst zu dem entscheidenden Punkt unserer Aus¬ führungen: der qualitativen Überlegenheit des Fremdworts. Solange es die Sprache nur erweitert, konnte es noch ein notwendiges Übel sein. Es war nicht einzusehen, warum nicht ein deutsches Wort ebensogut dasür eintreten sollte, möglichst sachlich auf seine Bestimmung zugeschnitten*) und ihr durch Über¬ einkunft**) verbunden. Daß das Fremdwort die wissenschaftliche Sprache ver¬ bessert, muß erst eine Anwendung zeigen, wo nicht eine quantitative, sondern eine qualitative Abspaltung der neuen Bedeutung in Frage kommt, d. h. wo ein Neuwort, wie z. B. das von Engel beanstandete Egoi'tat, nicht neben, sondern statt eines Unigangswortes wie Egoismus tritt. Was ist nun dabei der Ge¬ winn für den Erfinder? Er arbeitet reinlich. Ich meine, er macht mit der sprachlichen Neuschöpfung des Begriffs, den er behandeln will, reinen Tisch für den Aufbau seines Gedankengebäudes; es klebt an seinem Material nicht der Schmeiß der von Hand zu Hand gehenden Scheidemünze mit der Ansteckungs¬ gefahr durch Bazillenübertragung. Und diese Gefahr ist mehr als das Phantom einer übertriebenen Ängstlichkeit. Es liegt eine kluge Beobachtung in dem Distichon von „der gebildeten Sprache, die für uns dichtet und denkt." Nur daß dasselbe, was hier dichterisch noch keinen Wert entscheidet, wissenschaftlich bereits eine entscheidende Wertlosigkeit bedeutet. Die Wörter führen in der Tat ein Eigenleben. Sie, die den Gedanken einsargen sollen, daß er dem ewigen Fluß alles Lebendigen entrückt sei, entwickeln plötzlich in unserem Kopfe eine unheimliche Beweglichkeit und nehmen den Gedanken mit auf ihren eigenwillige« Wegen. Wie das? Infolge seiner wechselnden Einstellung auf den bunten Hinter¬ grund des Lebens wird das Wort in dem Laienverstande, der nicht begrifflich scheidet, sondern phantastisch kombiniert, mit Assoziationen gesättigt, d. h. sein Gedankengehalt wird mit Vorstellungen unlöslich verbunden, die ihm scheinbar denknotwendig anhängen. Indem diese je nach Bildungsgang, Alter usw. ver¬ schiedenen Assoziationen dem, der ein solches Wort verwendet, im Augenblick durch den Kopf gehen, drängen sie ihn um so mehr von dem reinen Wortsinn ab, je populärer sie gebildet sind, d. h. je weniger sie mit dem Gedankeninhalt in einem logischen Zusammenhang stehen. Denn wenn sie auch zunächst nur seine mögliche, psychologische Folge sind, so werden sie doch allmählich in der spontanen Auffassung des Wortes zur Hauptsache erhoben vermöge der wesentlich dichterischen Natur des naiven Bewußtseins, das seine schmückende Tendenz mit Vorliebe dem Nebensächlichen zuwendet. Es ist dieselbe Gefahr, der Schopen- *') Wie sehr die formale Bildung dieser „.deutschen" Wörter dabei von dem klassische» Vorgang der Fremdwörter abhängig bleibt, darauf macht aufmerksam Paul Cauer in seiner „(Zrammatica militsns" S. 14. *") Über die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten vgl. jedoch S. 67, Anmerkung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/75>, abgerufen am 24.08.2024.