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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Die Technik im zwanzigsten Jahrhundert.
4. Band. Das Verkehrswesen. Die Gro߬
fabrikation. Herausgegeben von Geh. Reg.-
Rat Prof. Dr. A. Miethe. George Wester¬
mann, Braunschweig 1912*).

Die Beschreibung der Herrschaft über die
Naturkräfte, die der Mensch in der Gegenwart
ausübt, würde nicht vollständig sein ohne die
Darstellung des Verkehrs, der der vierte Band
des Werkes gewidmet ist. Gerade auf diesem
Gebiet tritt auch dem Laien die Umwälzung,
die sich in der Stellung des Menschen zur
äußeren Natur vollzogen hat, am eindrucks¬
vollsten entgegen. Wir alle erfahren und
genießen täglich die Überwindung von Raum
und Zeit, wie sie uns Eisenbahnen, Schiffe,
Automobile, Telegraphen und Fernsprecher
gebracht haben. Wie lange noch, dann werden
auch Flugzeuge, Fernschreiber und Fernseher
Gemeingut der Menschheit sein.

Besonders ist zu begrüßen, daß der
Herausgeber in die Darstellung der Technik
im zwanzigsten Jahrhundert ein Gebiet ein¬
bezogen hat, das häufig in diesem Zusammen¬
hang zu erwähnen vergessen wird und trotz¬
dem untrennbar mit der Technik im engeren
Sinne verknüpft ist: das ist die Technik der
Organisation. Aus bemerkenswerten Aus¬
führungen erhält der Leser einen Einblick in
die technischen und wirtschaftlichen Maßnahmen
und in den Organisationsaufbau der Gro߬
betriebe; er erfährt etwas von einem der
wichtigsten Probleme, das die Zukunft be¬
herrschen wird, von dem Einfluß der Technik
auf den Arbeiter und die soziale Frage, er
erhält einen Einblick in die Rolle und Be¬
deutung der Gesellschaftsformen, die der mo¬
derne Großbetrieb zu seiner Entwicklung ge¬
schaffen und genutzt hat, bis hin zu den viel¬
umstrittenen Kartellen und Trusts.

Der Leser wird auch eingeführt in die
Beziehungen von Technik und Kapital, die
unsere altüberkommenen Eigentumsbegriffe
revolutioniert haben, eine Revolution, deren
Folgen sich erst kommenden Generationen in
ihrem ganzen Umfang zeigen werden.

Alles in allem ein ausgezeichnetes Werkl
-

ol. Otto Goebel [Spaltenumbruch]
Schöne Literatur
Gedichte von Karl Freye. Langensalza,
Hermann Beyer u. Söhne (Beyer u. Mann),
1913. M. 1.3S.

Dieses Büchlein wird man übersehen.
Denn wer sollte sich darum kümmern? Die
Verse sind nicht sensationell, nicht pervers,
nicht futuristisch-brutal; überhaupt ganz un¬
modern, rein lyrisch, sangbar, ganz Gehalt
und inneres Leben. Ich betrachte als ihr
Charakteristikum die fast gänzliche Abwesenheit
epischer Elemente. Das Gefühl spricht sich
unmittelbar aus, so wie es durch das Erlebnis
erregt worden ist. Dennoch entsteht keine Ein¬
förmigkeit, sondern es offenbart sich eine reiche
Innerlichkeit, ein vibrierender Wechsel und
seltene Intensität des seelischen Geschehens.
Diese Gedichte muß man nicht naschen, son¬
dern hintereinander lesen; denn die aus dem
Augenblick geborenen Verse sind mit kluger
Wahl geordnet, so daß ein wirkliches Buch
entsteht. In solcher Folge aber wirken diese
unepischen Gedichte plötzlich rein episch: man
erlebt einen Roman, eine Entwicklungs¬
geschichte, kurz und gedrängt dargestellt, an¬
schaulicher und mit mehr seelischer Wahrheit,
als in manchem dicken Prosabuche zu finden
ist. Der Weg von knabenhaften Sehnen und
Suchen durch allerlei Abenteuer des Herzens
zum sicheren Besitz ist der Inhalt. Gleich¬
zeitig vollzieht sich vor unseren Augen ein
künstlerischer Aufstieg: von jünglinghaften
Versen, die noch nicht straff und sicher schreiten
zu wachsender Knappheit und Bildhaftigkeit
der Darstellung und entschiedener Männlich¬
keit des Empfindens. Überhaupt ist dieser
Lyriker zwar zart, nachdenklich, sensibel, aber
durchaus unsentimental, mit einem Drang zu
überwinden, sich durchzuringen; unterstützt von
leisem Humor, der bisweilen Galgenhumor
wird; das Gegenteil von Heinescher Selbst¬
darstellung. Und so wäre das Buch am Ende,
recht besehen, außergewöhnlich modern. Viel¬
leicht finden also diese Gedichte doch ihre Leser.
Wenn nicht heute, so über Jahr und Tag.

M. G.
Sorgen?
Friedrich Kayßler: Kreise. Gedichte.
Berlin, Erich Reiß Verlag.

Der Dichter und der Schauspieler ver¬
einigen sich in Friedrich Kayßler zu einer

[Ende Spaltensatz]
") Vgl. Ur. 45 der Grenzvoten vom
6. November 1912 Seite 270 ff.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Die Technik im zwanzigsten Jahrhundert.
4. Band. Das Verkehrswesen. Die Gro߬
fabrikation. Herausgegeben von Geh. Reg.-
Rat Prof. Dr. A. Miethe. George Wester¬
mann, Braunschweig 1912*).

Die Beschreibung der Herrschaft über die
Naturkräfte, die der Mensch in der Gegenwart
ausübt, würde nicht vollständig sein ohne die
Darstellung des Verkehrs, der der vierte Band
des Werkes gewidmet ist. Gerade auf diesem
Gebiet tritt auch dem Laien die Umwälzung,
die sich in der Stellung des Menschen zur
äußeren Natur vollzogen hat, am eindrucks¬
vollsten entgegen. Wir alle erfahren und
genießen täglich die Überwindung von Raum
und Zeit, wie sie uns Eisenbahnen, Schiffe,
Automobile, Telegraphen und Fernsprecher
gebracht haben. Wie lange noch, dann werden
auch Flugzeuge, Fernschreiber und Fernseher
Gemeingut der Menschheit sein.

Besonders ist zu begrüßen, daß der
Herausgeber in die Darstellung der Technik
im zwanzigsten Jahrhundert ein Gebiet ein¬
bezogen hat, das häufig in diesem Zusammen¬
hang zu erwähnen vergessen wird und trotz¬
dem untrennbar mit der Technik im engeren
Sinne verknüpft ist: das ist die Technik der
Organisation. Aus bemerkenswerten Aus¬
führungen erhält der Leser einen Einblick in
die technischen und wirtschaftlichen Maßnahmen
und in den Organisationsaufbau der Gro߬
betriebe; er erfährt etwas von einem der
wichtigsten Probleme, das die Zukunft be¬
herrschen wird, von dem Einfluß der Technik
auf den Arbeiter und die soziale Frage, er
erhält einen Einblick in die Rolle und Be¬
deutung der Gesellschaftsformen, die der mo¬
derne Großbetrieb zu seiner Entwicklung ge¬
schaffen und genutzt hat, bis hin zu den viel¬
umstrittenen Kartellen und Trusts.

Der Leser wird auch eingeführt in die
Beziehungen von Technik und Kapital, die
unsere altüberkommenen Eigentumsbegriffe
revolutioniert haben, eine Revolution, deren
Folgen sich erst kommenden Generationen in
ihrem ganzen Umfang zeigen werden.

Alles in allem ein ausgezeichnetes Werkl
-

ol. Otto Goebel [Spaltenumbruch]
Schöne Literatur
Gedichte von Karl Freye. Langensalza,
Hermann Beyer u. Söhne (Beyer u. Mann),
1913. M. 1.3S.

Dieses Büchlein wird man übersehen.
Denn wer sollte sich darum kümmern? Die
Verse sind nicht sensationell, nicht pervers,
nicht futuristisch-brutal; überhaupt ganz un¬
modern, rein lyrisch, sangbar, ganz Gehalt
und inneres Leben. Ich betrachte als ihr
Charakteristikum die fast gänzliche Abwesenheit
epischer Elemente. Das Gefühl spricht sich
unmittelbar aus, so wie es durch das Erlebnis
erregt worden ist. Dennoch entsteht keine Ein¬
förmigkeit, sondern es offenbart sich eine reiche
Innerlichkeit, ein vibrierender Wechsel und
seltene Intensität des seelischen Geschehens.
Diese Gedichte muß man nicht naschen, son¬
dern hintereinander lesen; denn die aus dem
Augenblick geborenen Verse sind mit kluger
Wahl geordnet, so daß ein wirkliches Buch
entsteht. In solcher Folge aber wirken diese
unepischen Gedichte plötzlich rein episch: man
erlebt einen Roman, eine Entwicklungs¬
geschichte, kurz und gedrängt dargestellt, an¬
schaulicher und mit mehr seelischer Wahrheit,
als in manchem dicken Prosabuche zu finden
ist. Der Weg von knabenhaften Sehnen und
Suchen durch allerlei Abenteuer des Herzens
zum sicheren Besitz ist der Inhalt. Gleich¬
zeitig vollzieht sich vor unseren Augen ein
künstlerischer Aufstieg: von jünglinghaften
Versen, die noch nicht straff und sicher schreiten
zu wachsender Knappheit und Bildhaftigkeit
der Darstellung und entschiedener Männlich¬
keit des Empfindens. Überhaupt ist dieser
Lyriker zwar zart, nachdenklich, sensibel, aber
durchaus unsentimental, mit einem Drang zu
überwinden, sich durchzuringen; unterstützt von
leisem Humor, der bisweilen Galgenhumor
wird; das Gegenteil von Heinescher Selbst¬
darstellung. Und so wäre das Buch am Ende,
recht besehen, außergewöhnlich modern. Viel¬
leicht finden also diese Gedichte doch ihre Leser.
Wenn nicht heute, so über Jahr und Tag.

M. G.
Sorgen?
Friedrich Kayßler: Kreise. Gedichte.
Berlin, Erich Reiß Verlag.

Der Dichter und der Schauspieler ver¬
einigen sich in Friedrich Kayßler zu einer

[Ende Spaltensatz]
") Vgl. Ur. 45 der Grenzvoten vom
6. November 1912 Seite 270 ff.
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[0642] Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Technik im zwanzigsten Jahrhundert. 4. Band. Das Verkehrswesen. Die Gro߬ fabrikation. Herausgegeben von Geh. Reg.- Rat Prof. Dr. A. Miethe. George Wester¬ mann, Braunschweig 1912*). Die Beschreibung der Herrschaft über die Naturkräfte, die der Mensch in der Gegenwart ausübt, würde nicht vollständig sein ohne die Darstellung des Verkehrs, der der vierte Band des Werkes gewidmet ist. Gerade auf diesem Gebiet tritt auch dem Laien die Umwälzung, die sich in der Stellung des Menschen zur äußeren Natur vollzogen hat, am eindrucks¬ vollsten entgegen. Wir alle erfahren und genießen täglich die Überwindung von Raum und Zeit, wie sie uns Eisenbahnen, Schiffe, Automobile, Telegraphen und Fernsprecher gebracht haben. Wie lange noch, dann werden auch Flugzeuge, Fernschreiber und Fernseher Gemeingut der Menschheit sein. Besonders ist zu begrüßen, daß der Herausgeber in die Darstellung der Technik im zwanzigsten Jahrhundert ein Gebiet ein¬ bezogen hat, das häufig in diesem Zusammen¬ hang zu erwähnen vergessen wird und trotz¬ dem untrennbar mit der Technik im engeren Sinne verknüpft ist: das ist die Technik der Organisation. Aus bemerkenswerten Aus¬ führungen erhält der Leser einen Einblick in die technischen und wirtschaftlichen Maßnahmen und in den Organisationsaufbau der Gro߬ betriebe; er erfährt etwas von einem der wichtigsten Probleme, das die Zukunft be¬ herrschen wird, von dem Einfluß der Technik auf den Arbeiter und die soziale Frage, er erhält einen Einblick in die Rolle und Be¬ deutung der Gesellschaftsformen, die der mo¬ derne Großbetrieb zu seiner Entwicklung ge¬ schaffen und genutzt hat, bis hin zu den viel¬ umstrittenen Kartellen und Trusts. Der Leser wird auch eingeführt in die Beziehungen von Technik und Kapital, die unsere altüberkommenen Eigentumsbegriffe revolutioniert haben, eine Revolution, deren Folgen sich erst kommenden Generationen in ihrem ganzen Umfang zeigen werden. Alles in allem ein ausgezeichnetes Werkl - ol. Otto Goebel Schöne Literatur Gedichte von Karl Freye. Langensalza, Hermann Beyer u. Söhne (Beyer u. Mann), 1913. M. 1.3S. Dieses Büchlein wird man übersehen. Denn wer sollte sich darum kümmern? Die Verse sind nicht sensationell, nicht pervers, nicht futuristisch-brutal; überhaupt ganz un¬ modern, rein lyrisch, sangbar, ganz Gehalt und inneres Leben. Ich betrachte als ihr Charakteristikum die fast gänzliche Abwesenheit epischer Elemente. Das Gefühl spricht sich unmittelbar aus, so wie es durch das Erlebnis erregt worden ist. Dennoch entsteht keine Ein¬ förmigkeit, sondern es offenbart sich eine reiche Innerlichkeit, ein vibrierender Wechsel und seltene Intensität des seelischen Geschehens. Diese Gedichte muß man nicht naschen, son¬ dern hintereinander lesen; denn die aus dem Augenblick geborenen Verse sind mit kluger Wahl geordnet, so daß ein wirkliches Buch entsteht. In solcher Folge aber wirken diese unepischen Gedichte plötzlich rein episch: man erlebt einen Roman, eine Entwicklungs¬ geschichte, kurz und gedrängt dargestellt, an¬ schaulicher und mit mehr seelischer Wahrheit, als in manchem dicken Prosabuche zu finden ist. Der Weg von knabenhaften Sehnen und Suchen durch allerlei Abenteuer des Herzens zum sicheren Besitz ist der Inhalt. Gleich¬ zeitig vollzieht sich vor unseren Augen ein künstlerischer Aufstieg: von jünglinghaften Versen, die noch nicht straff und sicher schreiten zu wachsender Knappheit und Bildhaftigkeit der Darstellung und entschiedener Männlich¬ keit des Empfindens. Überhaupt ist dieser Lyriker zwar zart, nachdenklich, sensibel, aber durchaus unsentimental, mit einem Drang zu überwinden, sich durchzuringen; unterstützt von leisem Humor, der bisweilen Galgenhumor wird; das Gegenteil von Heinescher Selbst¬ darstellung. Und so wäre das Buch am Ende, recht besehen, außergewöhnlich modern. Viel¬ leicht finden also diese Gedichte doch ihre Leser. Wenn nicht heute, so über Jahr und Tag. M. G. Sorgen? Friedrich Kayßler: Kreise. Gedichte. Berlin, Erich Reiß Verlag. Der Dichter und der Schauspieler ver¬ einigen sich in Friedrich Kayßler zu einer ") Vgl. Ur. 45 der Grenzvoten vom 6. November 1912 Seite 270 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/642>, abgerufen am 03.07.2024.