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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Kämpfe unserer Lehrerschaft

ohne Zustimmung, ja ohne Befragung der Universitäten durchgeführt; sie kann
überhaupt nur begriffen werden aus einer ziemlich umständlichen Vorgeschichte.
Und wer diese kennt, muß mit der Möglichkeit rechnen, daß die Einrichtung
einmal wieder verschwinden könnte, nicht durch abändernde Verfügung, sondern
durch eine von selbst sich vollziehende Verschiebung, wenn Frauen und Mädchen,
die studieren wollen, mehr und mehr den Weg durch eine Studienanstalt als
den natürlicheren Gang der Vorbereitung bevorzugen sollten. Das bleibt ab¬
zuwarten. Inzwischen darf ein Vorbild und Anhalt für weitergehende Zuge¬
ständnisse aus dieser vielumstrittenen Maßregel jedenfalls nicht entnommen werden*).

Dem Andringen der Lehrerschaft werden Regierung und Landtag mit um
so reinerem Gewissen und um so besserem Erfolge widerstehen, je weniger sie
den Gedanken aufkommen lassen, daß Standesehrgeiz durch Standesvorurteile
niedergehalten werden solle, d. h. je bereitwilliger sie solche Forderungen er¬
füllen, durch die ein sachliches Interesse, der Schule und derer, die an ihr
wirken, gefördert wird. Daß für begabte und eifrige Volksschullehrer eine
Gelegenheit zu tiefer dringender Bildung gegeben, und daß so eine Auslese
solcher gewonnen werde, die nachher imstande sind, als Lehrer und Leiter von
Seminaren oder als Kreisschulinspektoren ihr Wissen und Können für einen
größeren Bereich fruchtbar zu machen: darüber kann kein Streit sein. Auch
ist nach dieser Seite hin unsere Unterrichtsverwaltung schon mit sachgemäßen
Veranstaltungen vorgegangen. Die Frage, welcher Weg dabei einzuschlagen sei,
hat im März 1912 das preußische Abgeordnetenhaus beschäftigt und wird dem¬
nächst, im Anschluß an mehrere vorliegende Anträge, aufs neue dort erörtert
werden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten.

Einige deutsche Staaten, darunter neuerdings auch Bayern und Württem¬
berg, gewähren einer auserlesenen Zahl geprüfter und bewährter Volksschul-
lehrer die Immatrikulation für ein mehrjähriges akademisches Studium, das in
einer Prüfung seinen Abschluß findet. Für die Beurteilung kommen am
meisten die Einrichtungen des Königreichs Sachsen in Betracht, weil diese seit
1865 bestehen, also ihre jetzige Gestalt schon auf Grund gemachter Erfahrungen
erhalten haben. Dort können solche Volksschullehrer, die ihre Wahlfähigkeits¬
prüfung mit der Gesamtzensur I oder Ib bestanden haben, beim Ministerium
um die Zulassung zur Universität einkommen, die wohl in der Regel gewährt
wird. Sie werden als Studenten der Pädagogik immatrikuliert und nehmen
drei, unter Umständen auch vier Jahre lang an akademischen Vorlesungen und
Übungen teil. Dann unterziehen sie sich der Pädagogischen Prüfung an der
Universität Leipzig, deren Zweck ist:**) "Feststellung der wissenschaftlichen Be-




*) Diese Bestimmung wird von zahlreichen Frauen gerade um des Frauenstudiums
Die Schriftltg. selbst willen für verfehlt erachtet und bekämpft.
*") Wortlaut nach der Bekanntmachung vom 6. Januar 1911. Die jetzt geltende
Prüfungsordnung im ganzen ist vom 6. Juni 1908, veröffentlicht im Gesetz- und Ver¬
ordnungsblatt der Königl, Sächsischen Negierung.
Kämpfe unserer Lehrerschaft

ohne Zustimmung, ja ohne Befragung der Universitäten durchgeführt; sie kann
überhaupt nur begriffen werden aus einer ziemlich umständlichen Vorgeschichte.
Und wer diese kennt, muß mit der Möglichkeit rechnen, daß die Einrichtung
einmal wieder verschwinden könnte, nicht durch abändernde Verfügung, sondern
durch eine von selbst sich vollziehende Verschiebung, wenn Frauen und Mädchen,
die studieren wollen, mehr und mehr den Weg durch eine Studienanstalt als
den natürlicheren Gang der Vorbereitung bevorzugen sollten. Das bleibt ab¬
zuwarten. Inzwischen darf ein Vorbild und Anhalt für weitergehende Zuge¬
ständnisse aus dieser vielumstrittenen Maßregel jedenfalls nicht entnommen werden*).

Dem Andringen der Lehrerschaft werden Regierung und Landtag mit um
so reinerem Gewissen und um so besserem Erfolge widerstehen, je weniger sie
den Gedanken aufkommen lassen, daß Standesehrgeiz durch Standesvorurteile
niedergehalten werden solle, d. h. je bereitwilliger sie solche Forderungen er¬
füllen, durch die ein sachliches Interesse, der Schule und derer, die an ihr
wirken, gefördert wird. Daß für begabte und eifrige Volksschullehrer eine
Gelegenheit zu tiefer dringender Bildung gegeben, und daß so eine Auslese
solcher gewonnen werde, die nachher imstande sind, als Lehrer und Leiter von
Seminaren oder als Kreisschulinspektoren ihr Wissen und Können für einen
größeren Bereich fruchtbar zu machen: darüber kann kein Streit sein. Auch
ist nach dieser Seite hin unsere Unterrichtsverwaltung schon mit sachgemäßen
Veranstaltungen vorgegangen. Die Frage, welcher Weg dabei einzuschlagen sei,
hat im März 1912 das preußische Abgeordnetenhaus beschäftigt und wird dem¬
nächst, im Anschluß an mehrere vorliegende Anträge, aufs neue dort erörtert
werden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten.

Einige deutsche Staaten, darunter neuerdings auch Bayern und Württem¬
berg, gewähren einer auserlesenen Zahl geprüfter und bewährter Volksschul-
lehrer die Immatrikulation für ein mehrjähriges akademisches Studium, das in
einer Prüfung seinen Abschluß findet. Für die Beurteilung kommen am
meisten die Einrichtungen des Königreichs Sachsen in Betracht, weil diese seit
1865 bestehen, also ihre jetzige Gestalt schon auf Grund gemachter Erfahrungen
erhalten haben. Dort können solche Volksschullehrer, die ihre Wahlfähigkeits¬
prüfung mit der Gesamtzensur I oder Ib bestanden haben, beim Ministerium
um die Zulassung zur Universität einkommen, die wohl in der Regel gewährt
wird. Sie werden als Studenten der Pädagogik immatrikuliert und nehmen
drei, unter Umständen auch vier Jahre lang an akademischen Vorlesungen und
Übungen teil. Dann unterziehen sie sich der Pädagogischen Prüfung an der
Universität Leipzig, deren Zweck ist:**) „Feststellung der wissenschaftlichen Be-




*) Diese Bestimmung wird von zahlreichen Frauen gerade um des Frauenstudiums
Die Schriftltg. selbst willen für verfehlt erachtet und bekämpft.
*") Wortlaut nach der Bekanntmachung vom 6. Januar 1911. Die jetzt geltende
Prüfungsordnung im ganzen ist vom 6. Juni 1908, veröffentlicht im Gesetz- und Ver¬
ordnungsblatt der Königl, Sächsischen Negierung.
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[0623] Kämpfe unserer Lehrerschaft ohne Zustimmung, ja ohne Befragung der Universitäten durchgeführt; sie kann überhaupt nur begriffen werden aus einer ziemlich umständlichen Vorgeschichte. Und wer diese kennt, muß mit der Möglichkeit rechnen, daß die Einrichtung einmal wieder verschwinden könnte, nicht durch abändernde Verfügung, sondern durch eine von selbst sich vollziehende Verschiebung, wenn Frauen und Mädchen, die studieren wollen, mehr und mehr den Weg durch eine Studienanstalt als den natürlicheren Gang der Vorbereitung bevorzugen sollten. Das bleibt ab¬ zuwarten. Inzwischen darf ein Vorbild und Anhalt für weitergehende Zuge¬ ständnisse aus dieser vielumstrittenen Maßregel jedenfalls nicht entnommen werden*). Dem Andringen der Lehrerschaft werden Regierung und Landtag mit um so reinerem Gewissen und um so besserem Erfolge widerstehen, je weniger sie den Gedanken aufkommen lassen, daß Standesehrgeiz durch Standesvorurteile niedergehalten werden solle, d. h. je bereitwilliger sie solche Forderungen er¬ füllen, durch die ein sachliches Interesse, der Schule und derer, die an ihr wirken, gefördert wird. Daß für begabte und eifrige Volksschullehrer eine Gelegenheit zu tiefer dringender Bildung gegeben, und daß so eine Auslese solcher gewonnen werde, die nachher imstande sind, als Lehrer und Leiter von Seminaren oder als Kreisschulinspektoren ihr Wissen und Können für einen größeren Bereich fruchtbar zu machen: darüber kann kein Streit sein. Auch ist nach dieser Seite hin unsere Unterrichtsverwaltung schon mit sachgemäßen Veranstaltungen vorgegangen. Die Frage, welcher Weg dabei einzuschlagen sei, hat im März 1912 das preußische Abgeordnetenhaus beschäftigt und wird dem¬ nächst, im Anschluß an mehrere vorliegende Anträge, aufs neue dort erörtert werden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Einige deutsche Staaten, darunter neuerdings auch Bayern und Württem¬ berg, gewähren einer auserlesenen Zahl geprüfter und bewährter Volksschul- lehrer die Immatrikulation für ein mehrjähriges akademisches Studium, das in einer Prüfung seinen Abschluß findet. Für die Beurteilung kommen am meisten die Einrichtungen des Königreichs Sachsen in Betracht, weil diese seit 1865 bestehen, also ihre jetzige Gestalt schon auf Grund gemachter Erfahrungen erhalten haben. Dort können solche Volksschullehrer, die ihre Wahlfähigkeits¬ prüfung mit der Gesamtzensur I oder Ib bestanden haben, beim Ministerium um die Zulassung zur Universität einkommen, die wohl in der Regel gewährt wird. Sie werden als Studenten der Pädagogik immatrikuliert und nehmen drei, unter Umständen auch vier Jahre lang an akademischen Vorlesungen und Übungen teil. Dann unterziehen sie sich der Pädagogischen Prüfung an der Universität Leipzig, deren Zweck ist:**) „Feststellung der wissenschaftlichen Be- *) Diese Bestimmung wird von zahlreichen Frauen gerade um des Frauenstudiums Die Schriftltg. selbst willen für verfehlt erachtet und bekämpft. *") Wortlaut nach der Bekanntmachung vom 6. Januar 1911. Die jetzt geltende Prüfungsordnung im ganzen ist vom 6. Juni 1908, veröffentlicht im Gesetz- und Ver¬ ordnungsblatt der Königl, Sächsischen Negierung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/623>, abgerufen am 22.07.2024.