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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien

Konkurrenz ankämpfen. Ferner beging man den Fehler, ohne geeignete technisch
geschulte Kräfte an die Arbeit zu gehen. Mancher Angestellte verfiel endlich
in den alten orientalischen Erbfehler, zunächst für die eigene Tasche zu sorgen.
So konnten schwere Verluste nicht ausbleiben. Wenn ich dem Urteil eines
englischen Bankdirektors in Bombay trauen darf, so steht man heute in der
Swadeschi-Bewegung keine Gefahr mehr für die englische Einfuhr. Mein Ge¬
währsmann behauptete, er kenne die eingezahlten Kapitalien und die jährlichen
Unterbilanzen vieler Swadeschi-Unternehmungen und könne an der Hand dieser
Zahlen genau den Zeitpunkt ihres unvermeidlichen Zusammenbruches vorher¬
bestimmen. Nur wirksame Jndustriezölle, wie sie z. B. Australien zum Ärger
Englands schon längst besitzt, könnte die Swadeschi-Unternehmungen lebensfähig
machen. Diese den eigenen Export schädigenden Zölle wird aber wohl keine
englische Regierung der Kolonie bewilligen. Indien wird daher wohl noch für
lange Zeit der englischen Industrie zinsbar bleiben. Der oben genannte Seely
hebt es zwar rühmend hervor, daß England keinen Tribut von Indien erhebt.
Gewiß, die äußere Form des Tributs, einer Zahlung, zu der der Sieger den
Besiegten ohne Gegenleistung zwingt, ist vermieden. Aber der Sache nach
bleibt es sich gleich, ob Indien seinen Tribut an die englische Regierung oder
an die englische Industrie zahlt. In beiden Fällen geht Geld aus dem Lande,
das dort verbleiben würde, wenn es keine fremde Regierung gäbe und Indien
in der Lage wäre, seine Zollgesetzgebung seinen eigenen Interessen entsprechend
zu gestalten.

Jeder englische Beamte, welcher 25 Jahre im "Inäian civil 8erviee" ge¬
dient hat, erhält zu Lasten des indischen Budgets eine Pension von 1000 Pfund,
d. h. über 20000 Mark, also mehr wie ein deutscher Reichskanzler a. D. Ge¬
hälter von 100000 bis 200000 Rupien (136000 bis 272000 Mary sind
für englische Beamte in indischen Diensten keine Ausnahme. Schon mit diesen
Gehältern und Pensionen fließt ein ununterbrochener Strom baren Geldes aus
dem armen Indien nach dem reichen England. Für die vielen englischen
Kolonialkriege in Afrika und Asien hat Indien stets mit Geld und Truppen¬
sendungen beisteuern müssen. Ferner wird das indische Budget mit großen
Ausgaben für politische Agitationszwecke belastet. Die Subventionen, welche
England dem Sultan von Maskat und dem Emir von Afghanistan zahlt,
stammen z. B. aus dieser Quelle. Mit den Interessen der Bewohner Indiens
haben diese Ausgaben wenig oder nichts zu tun; sie dienen lediglich dem
englischen Imperialismus. Daß die Inder sich nicht als Vorspann für die
englische Weltpolitik benutzen lassen wollen, kann man ihnen schließlich nicht
verdenken. Und doch hieße es, das Kind mit dem Bade ausschütten, wollte
man denjenigen Recht geben, welche für Indien alles Heil von der Ab-
schüttelung der englischen Herrschaft erwarten. Die Begründung dieser meiner
Ansicht möchte ich mir für einen anderen Aufsatz vorbehalten.




Die Engländer in Indien

Konkurrenz ankämpfen. Ferner beging man den Fehler, ohne geeignete technisch
geschulte Kräfte an die Arbeit zu gehen. Mancher Angestellte verfiel endlich
in den alten orientalischen Erbfehler, zunächst für die eigene Tasche zu sorgen.
So konnten schwere Verluste nicht ausbleiben. Wenn ich dem Urteil eines
englischen Bankdirektors in Bombay trauen darf, so steht man heute in der
Swadeschi-Bewegung keine Gefahr mehr für die englische Einfuhr. Mein Ge¬
währsmann behauptete, er kenne die eingezahlten Kapitalien und die jährlichen
Unterbilanzen vieler Swadeschi-Unternehmungen und könne an der Hand dieser
Zahlen genau den Zeitpunkt ihres unvermeidlichen Zusammenbruches vorher¬
bestimmen. Nur wirksame Jndustriezölle, wie sie z. B. Australien zum Ärger
Englands schon längst besitzt, könnte die Swadeschi-Unternehmungen lebensfähig
machen. Diese den eigenen Export schädigenden Zölle wird aber wohl keine
englische Regierung der Kolonie bewilligen. Indien wird daher wohl noch für
lange Zeit der englischen Industrie zinsbar bleiben. Der oben genannte Seely
hebt es zwar rühmend hervor, daß England keinen Tribut von Indien erhebt.
Gewiß, die äußere Form des Tributs, einer Zahlung, zu der der Sieger den
Besiegten ohne Gegenleistung zwingt, ist vermieden. Aber der Sache nach
bleibt es sich gleich, ob Indien seinen Tribut an die englische Regierung oder
an die englische Industrie zahlt. In beiden Fällen geht Geld aus dem Lande,
das dort verbleiben würde, wenn es keine fremde Regierung gäbe und Indien
in der Lage wäre, seine Zollgesetzgebung seinen eigenen Interessen entsprechend
zu gestalten.

Jeder englische Beamte, welcher 25 Jahre im „Inäian civil 8erviee" ge¬
dient hat, erhält zu Lasten des indischen Budgets eine Pension von 1000 Pfund,
d. h. über 20000 Mark, also mehr wie ein deutscher Reichskanzler a. D. Ge¬
hälter von 100000 bis 200000 Rupien (136000 bis 272000 Mary sind
für englische Beamte in indischen Diensten keine Ausnahme. Schon mit diesen
Gehältern und Pensionen fließt ein ununterbrochener Strom baren Geldes aus
dem armen Indien nach dem reichen England. Für die vielen englischen
Kolonialkriege in Afrika und Asien hat Indien stets mit Geld und Truppen¬
sendungen beisteuern müssen. Ferner wird das indische Budget mit großen
Ausgaben für politische Agitationszwecke belastet. Die Subventionen, welche
England dem Sultan von Maskat und dem Emir von Afghanistan zahlt,
stammen z. B. aus dieser Quelle. Mit den Interessen der Bewohner Indiens
haben diese Ausgaben wenig oder nichts zu tun; sie dienen lediglich dem
englischen Imperialismus. Daß die Inder sich nicht als Vorspann für die
englische Weltpolitik benutzen lassen wollen, kann man ihnen schließlich nicht
verdenken. Und doch hieße es, das Kind mit dem Bade ausschütten, wollte
man denjenigen Recht geben, welche für Indien alles Heil von der Ab-
schüttelung der englischen Herrschaft erwarten. Die Begründung dieser meiner
Ansicht möchte ich mir für einen anderen Aufsatz vorbehalten.




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[0577] Die Engländer in Indien Konkurrenz ankämpfen. Ferner beging man den Fehler, ohne geeignete technisch geschulte Kräfte an die Arbeit zu gehen. Mancher Angestellte verfiel endlich in den alten orientalischen Erbfehler, zunächst für die eigene Tasche zu sorgen. So konnten schwere Verluste nicht ausbleiben. Wenn ich dem Urteil eines englischen Bankdirektors in Bombay trauen darf, so steht man heute in der Swadeschi-Bewegung keine Gefahr mehr für die englische Einfuhr. Mein Ge¬ währsmann behauptete, er kenne die eingezahlten Kapitalien und die jährlichen Unterbilanzen vieler Swadeschi-Unternehmungen und könne an der Hand dieser Zahlen genau den Zeitpunkt ihres unvermeidlichen Zusammenbruches vorher¬ bestimmen. Nur wirksame Jndustriezölle, wie sie z. B. Australien zum Ärger Englands schon längst besitzt, könnte die Swadeschi-Unternehmungen lebensfähig machen. Diese den eigenen Export schädigenden Zölle wird aber wohl keine englische Regierung der Kolonie bewilligen. Indien wird daher wohl noch für lange Zeit der englischen Industrie zinsbar bleiben. Der oben genannte Seely hebt es zwar rühmend hervor, daß England keinen Tribut von Indien erhebt. Gewiß, die äußere Form des Tributs, einer Zahlung, zu der der Sieger den Besiegten ohne Gegenleistung zwingt, ist vermieden. Aber der Sache nach bleibt es sich gleich, ob Indien seinen Tribut an die englische Regierung oder an die englische Industrie zahlt. In beiden Fällen geht Geld aus dem Lande, das dort verbleiben würde, wenn es keine fremde Regierung gäbe und Indien in der Lage wäre, seine Zollgesetzgebung seinen eigenen Interessen entsprechend zu gestalten. Jeder englische Beamte, welcher 25 Jahre im „Inäian civil 8erviee" ge¬ dient hat, erhält zu Lasten des indischen Budgets eine Pension von 1000 Pfund, d. h. über 20000 Mark, also mehr wie ein deutscher Reichskanzler a. D. Ge¬ hälter von 100000 bis 200000 Rupien (136000 bis 272000 Mary sind für englische Beamte in indischen Diensten keine Ausnahme. Schon mit diesen Gehältern und Pensionen fließt ein ununterbrochener Strom baren Geldes aus dem armen Indien nach dem reichen England. Für die vielen englischen Kolonialkriege in Afrika und Asien hat Indien stets mit Geld und Truppen¬ sendungen beisteuern müssen. Ferner wird das indische Budget mit großen Ausgaben für politische Agitationszwecke belastet. Die Subventionen, welche England dem Sultan von Maskat und dem Emir von Afghanistan zahlt, stammen z. B. aus dieser Quelle. Mit den Interessen der Bewohner Indiens haben diese Ausgaben wenig oder nichts zu tun; sie dienen lediglich dem englischen Imperialismus. Daß die Inder sich nicht als Vorspann für die englische Weltpolitik benutzen lassen wollen, kann man ihnen schließlich nicht verdenken. Und doch hieße es, das Kind mit dem Bade ausschütten, wollte man denjenigen Recht geben, welche für Indien alles Heil von der Ab- schüttelung der englischen Herrschaft erwarten. Die Begründung dieser meiner Ansicht möchte ich mir für einen anderen Aufsatz vorbehalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/577>, abgerufen am 29.06.2024.