Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.Die Engländer in Indien Nach Aufzählung aller dieser von Lord Cornwallis begangenen Fehler anderen gleichberechtigt. Angeber und Zeugen sind dann den Verfolgungen dieser Diebe,
dieser Mörder und ihrer Verwandten preisgegeben. Da ist unser einheimisches Gerichts¬ verfahren viel besser. Das Gestohlene wird alsbald dem Eigentümer zurückgegeben und des Räubers Besitztum zum Vorteil des Gerichtsherrn eingezogen. Man schneidet ihm die Hände oder die Nase ab und läßt ihn laufen, -- ein Schreckbild allen anderen. Schnelle Ungerechtig¬ keit, heißt es bei uns im Sprichwort, ist besser als langsame Gerechtigkeit." (Neumann II, 182.) Die Engländer in Indien Nach Aufzählung aller dieser von Lord Cornwallis begangenen Fehler anderen gleichberechtigt. Angeber und Zeugen sind dann den Verfolgungen dieser Diebe,
dieser Mörder und ihrer Verwandten preisgegeben. Da ist unser einheimisches Gerichts¬ verfahren viel besser. Das Gestohlene wird alsbald dem Eigentümer zurückgegeben und des Räubers Besitztum zum Vorteil des Gerichtsherrn eingezogen. Man schneidet ihm die Hände oder die Nase ab und läßt ihn laufen, — ein Schreckbild allen anderen. Schnelle Ungerechtig¬ keit, heißt es bei uns im Sprichwort, ist besser als langsame Gerechtigkeit." (Neumann II, 182.) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325390"/> <fw type="header" place="top"> Die Engländer in Indien</fw><lb/> <p xml:id="ID_2374"> Nach Aufzählung aller dieser von Lord Cornwallis begangenen Fehler<lb/> könnte der Leser leicht auf den Gedanken kommen (der im übrigen einer bei<lb/> uns weit verbreiteten Anschauung entspräche), daß die englische Herrschaft für<lb/> Indien mehr ein Fluch als ein Segen ist. Eine solche Auffassung möchte ich<lb/> nicht aufkommen lassen. Die ersten Eroberer Indiens standen vor einer außer¬<lb/> ordentlich schwierigen Aufgabe. Unerwartet waren sie Herren des Landes<lb/> geworden und sollten nun auf einmal ein ihnen völlig fremdes Volk regieren,<lb/> ein Gebiet verwalten, dessen Grenzen sie nicht einmal genau kannten. Um von<lb/> vornherein Fehler zu vermeiden, hätte es einer genauen Kenntnis der Sitten<lb/> und Lebensanschauungen dieses Volkes bedurft. Darin lag aber gerade die<lb/> Hauptschwierigkeit. Behaupten doch die besten Kenner Indiens, das gründliche<lb/> Erforschen der indischen Psyche würde für uns Westländer stets ein hoffnungs¬<lb/> loses Beginnen bleiben; Orient und Okzident wären sich zu wesensfremd, als<lb/> daß der eine den anderen wirklich verstehen könnte. Kann es da wunder¬<lb/> nehmen, daß die Engländer in Indien zunächst Fehler auf Fehler häuften.<lb/> Das kunstvolle Räderwerk, genannt „Aovernement c>k Inäia", dessen Getriebe<lb/> heute jeden Besucher Indiens mit Bewunderung erfüllt, mußte ja erst mühsam<lb/> und allmählich geschaffen werden. Manche ehrlichen und tüchtigen Männer<lb/> haben trotz der besten Absichten bei dieser Arbeit Fehlschläge erleben müssen;<lb/> aber viele andere haben sich durch geniale Leistungen, durch großzügige Reformen<lb/> für alle Zeiten ein ehrenvolles Andenken in der indischen Geschichte gesichert.<lb/> Nur einen von ihnen möchte ich hier nennen, Lord Bentink, der von 1828 bis<lb/> 1835 Oberstatthalter von Indien war. Gegen alle Anfeindungen wußte dieser<lb/> warmherzige und mutige Mann dem Grundsatz Geltung zu verschaffen, daß die<lb/> Kolonie nicht als Versorgungsstätte für einige vornehme Engländer betrachtet<lb/> werden dürfe, sondern daß der leitende Gesichtspunkt der Regierung stets das<lb/> Wohl der Eingeborenen bleiben müsse. Als erster wagte er es, den schrecklichen<lb/> religiösen Mißbräuchen der Hindus, der Witwenverbrennung und der Tötung<lb/> neugeborener Mädchen entgegenzutreten, nachdem alle seine Vorgänger aus Furcht<lb/> vor dem religiösen Fanatismus des Volkes vor der Lösung dieses Problems<lb/> zurückgeschreckt waren. Aus sich selbst hätte der Brahmanismus wahrscheinlich<lb/> noch lange nicht die Kraft gefunden, diese tief eingewurzelten Mißstände aus¬<lb/> zurotten. Lord Bentink durfte dagegen selbst noch die Freude erleben, daß die<lb/> Besten des von ihm regierten Volles sich auf seine Seite stellten und erklärten,<lb/> die Reformen verletzten nicht nur nicht ihre religiösen Gefühle, sondern sie<lb/> entsprächen durchaus dem Geist der alten reinen Religion. (Fortsetzung folgt)</p><lb/> <note xml:id="FID_109" prev="#FID_108" place="foot"> anderen gleichberechtigt. Angeber und Zeugen sind dann den Verfolgungen dieser Diebe,<lb/> dieser Mörder und ihrer Verwandten preisgegeben. Da ist unser einheimisches Gerichts¬<lb/> verfahren viel besser. Das Gestohlene wird alsbald dem Eigentümer zurückgegeben und des<lb/> Räubers Besitztum zum Vorteil des Gerichtsherrn eingezogen. Man schneidet ihm die Hände<lb/> oder die Nase ab und läßt ihn laufen, — ein Schreckbild allen anderen. Schnelle Ungerechtig¬<lb/> keit, heißt es bei uns im Sprichwort, ist besser als langsame Gerechtigkeit." (Neumann II, 182.)</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0520]
Die Engländer in Indien
Nach Aufzählung aller dieser von Lord Cornwallis begangenen Fehler
könnte der Leser leicht auf den Gedanken kommen (der im übrigen einer bei
uns weit verbreiteten Anschauung entspräche), daß die englische Herrschaft für
Indien mehr ein Fluch als ein Segen ist. Eine solche Auffassung möchte ich
nicht aufkommen lassen. Die ersten Eroberer Indiens standen vor einer außer¬
ordentlich schwierigen Aufgabe. Unerwartet waren sie Herren des Landes
geworden und sollten nun auf einmal ein ihnen völlig fremdes Volk regieren,
ein Gebiet verwalten, dessen Grenzen sie nicht einmal genau kannten. Um von
vornherein Fehler zu vermeiden, hätte es einer genauen Kenntnis der Sitten
und Lebensanschauungen dieses Volkes bedurft. Darin lag aber gerade die
Hauptschwierigkeit. Behaupten doch die besten Kenner Indiens, das gründliche
Erforschen der indischen Psyche würde für uns Westländer stets ein hoffnungs¬
loses Beginnen bleiben; Orient und Okzident wären sich zu wesensfremd, als
daß der eine den anderen wirklich verstehen könnte. Kann es da wunder¬
nehmen, daß die Engländer in Indien zunächst Fehler auf Fehler häuften.
Das kunstvolle Räderwerk, genannt „Aovernement c>k Inäia", dessen Getriebe
heute jeden Besucher Indiens mit Bewunderung erfüllt, mußte ja erst mühsam
und allmählich geschaffen werden. Manche ehrlichen und tüchtigen Männer
haben trotz der besten Absichten bei dieser Arbeit Fehlschläge erleben müssen;
aber viele andere haben sich durch geniale Leistungen, durch großzügige Reformen
für alle Zeiten ein ehrenvolles Andenken in der indischen Geschichte gesichert.
Nur einen von ihnen möchte ich hier nennen, Lord Bentink, der von 1828 bis
1835 Oberstatthalter von Indien war. Gegen alle Anfeindungen wußte dieser
warmherzige und mutige Mann dem Grundsatz Geltung zu verschaffen, daß die
Kolonie nicht als Versorgungsstätte für einige vornehme Engländer betrachtet
werden dürfe, sondern daß der leitende Gesichtspunkt der Regierung stets das
Wohl der Eingeborenen bleiben müsse. Als erster wagte er es, den schrecklichen
religiösen Mißbräuchen der Hindus, der Witwenverbrennung und der Tötung
neugeborener Mädchen entgegenzutreten, nachdem alle seine Vorgänger aus Furcht
vor dem religiösen Fanatismus des Volkes vor der Lösung dieses Problems
zurückgeschreckt waren. Aus sich selbst hätte der Brahmanismus wahrscheinlich
noch lange nicht die Kraft gefunden, diese tief eingewurzelten Mißstände aus¬
zurotten. Lord Bentink durfte dagegen selbst noch die Freude erleben, daß die
Besten des von ihm regierten Volles sich auf seine Seite stellten und erklärten,
die Reformen verletzten nicht nur nicht ihre religiösen Gefühle, sondern sie
entsprächen durchaus dem Geist der alten reinen Religion. (Fortsetzung folgt)
anderen gleichberechtigt. Angeber und Zeugen sind dann den Verfolgungen dieser Diebe,
dieser Mörder und ihrer Verwandten preisgegeben. Da ist unser einheimisches Gerichts¬
verfahren viel besser. Das Gestohlene wird alsbald dem Eigentümer zurückgegeben und des
Räubers Besitztum zum Vorteil des Gerichtsherrn eingezogen. Man schneidet ihm die Hände
oder die Nase ab und läßt ihn laufen, — ein Schreckbild allen anderen. Schnelle Ungerechtig¬
keit, heißt es bei uns im Sprichwort, ist besser als langsame Gerechtigkeit." (Neumann II, 182.)
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