Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Engländer in Indien

stecken" muß, um später höhere Erträge herauszuroirtschaften, ist dem Orientalen
nicht geläufig. Sollte man höhere Abgaben bezahlen, so mußte man eben
mehr aus seinem Besitz herauspressen. Der Druck auf den kleinen Mann wurde
also vermehrt statt vermindert. Nun gab es aber, so sagte man sich, den Schutz
der neuen Gerichtshöfe gegen ungerechte Bedrückung. Ja gewiß, wenn diese
Gerichtshöfe imstande gewesen wären, in einem summarischen, nur wenige Tage
dauernden Verfahren die ihnen vorgelegten Fälle zu erledigen. Die eingereichten
Klagen häuften sich indessen binnen kurzem zu so ungeheuren Mengen an, daß
oft erst nach Jahren an eine Urteilsfällung zu denken war. Die Zahlungspflicht
des Bauern blieb bis zur Entscheidung der Streitfrage in der Schwebe; dagegen
verlangte die Regierung vom Zemindar bei Strafe der Exekution pünktliche
Zahlung seiner Steuern. Also auf der einen Seite ein schleppendes Gerichts¬
verfahren, auf der anderen eine summarische Exekution. Viele Zemindare konnten
unter diesen Umständen ihren Verpflichtungen beim besten Willen nicht nach¬
kommen und wurden daher oft wegen geringfügiger Steuerrückstände von Haus
und Hof gejagt. Die Unsicherheit des Besitzes lähmte schließlich alle Tätigkeit,
der Vermögensverlust stieg ins Ungeheure. Leute, welche gestern noch für reich
gegolten hatten, waren heute Bettler. Man hat berechnet,. daß in den ersten
Jahren nach Einführung der permanent 8selteneres über 90 Prozent des
Grund und Bodens zwangsweise seinen Besitzer wechselte. Lord Clive und
Warren Hastings waren bei ihrer Rückkehr nach England wegen ihrer Willkür¬
herrschaft und Selbstbereicherung angeklagt worden; Lord Cornwallis feierte
man dort als Reorganisator und Wohltäter Indiens. Der indische Bauer
dagegen nannte Clives und Hastings Namen noch nach vielen Jahren nur mit
Ehrfurcht. Gewiß, sie hatten Bestechungen und Geschenke angenommen, hatten
rücksichtslos alle Hindernisse beseitigt, welche sich ihnen in den Weg stellten;
aber sie kannten Land und Leute und hatten trotz aller Willkür nie dem Volke
Dinge aufgezwungen, die sein sittliches Empfinden verletzten. Lord Cornwallis
dagegen hat durch seine unangebrachter Reformen die Grundmauern, auf denen
das soziale Leben der Inder beruhte, erschüttert und zum Teil zerstört. Daher
wurde sein Name, solange die Erinnerung an ihn währte, nur mit Flüchen
und Verwünschungen genannt. Die permanent 8ettlement8 bestehen in den
damals zur Kolonie gehörigen Landesteilen -- also in Bengalen und einigen
benachbarten Staaten -- noch heute zu Recht.

Allerdings haben die Verhältnisse sich geändert. Die Kaufkraft des Geldes
ist gefallen, der Wert der landwirtschaftlichen Erzeugnisse aber bedeutend ge¬
stiegen. Daher ist die von den Zermindars zu entrichtende Abgabe für heutige
Verhältnisse so gering, daß sie weit hinter einer gerechten Besteuerung zurück¬
bleibt. Die Regierung ist indessen durch ihr Wort gebunden und kann keine
nachträgliche Erhöhung der Steuerrolle anordnen. Ebensowenig hat sie genügende
Handhaben, um die ökonomische Lage der von den Zemindars bedrückten Be¬
völkerung zu heben. Die einzigen Leute, welche heute noch Vorteile von den


Die Engländer in Indien

stecken" muß, um später höhere Erträge herauszuroirtschaften, ist dem Orientalen
nicht geläufig. Sollte man höhere Abgaben bezahlen, so mußte man eben
mehr aus seinem Besitz herauspressen. Der Druck auf den kleinen Mann wurde
also vermehrt statt vermindert. Nun gab es aber, so sagte man sich, den Schutz
der neuen Gerichtshöfe gegen ungerechte Bedrückung. Ja gewiß, wenn diese
Gerichtshöfe imstande gewesen wären, in einem summarischen, nur wenige Tage
dauernden Verfahren die ihnen vorgelegten Fälle zu erledigen. Die eingereichten
Klagen häuften sich indessen binnen kurzem zu so ungeheuren Mengen an, daß
oft erst nach Jahren an eine Urteilsfällung zu denken war. Die Zahlungspflicht
des Bauern blieb bis zur Entscheidung der Streitfrage in der Schwebe; dagegen
verlangte die Regierung vom Zemindar bei Strafe der Exekution pünktliche
Zahlung seiner Steuern. Also auf der einen Seite ein schleppendes Gerichts¬
verfahren, auf der anderen eine summarische Exekution. Viele Zemindare konnten
unter diesen Umständen ihren Verpflichtungen beim besten Willen nicht nach¬
kommen und wurden daher oft wegen geringfügiger Steuerrückstände von Haus
und Hof gejagt. Die Unsicherheit des Besitzes lähmte schließlich alle Tätigkeit,
der Vermögensverlust stieg ins Ungeheure. Leute, welche gestern noch für reich
gegolten hatten, waren heute Bettler. Man hat berechnet,. daß in den ersten
Jahren nach Einführung der permanent 8selteneres über 90 Prozent des
Grund und Bodens zwangsweise seinen Besitzer wechselte. Lord Clive und
Warren Hastings waren bei ihrer Rückkehr nach England wegen ihrer Willkür¬
herrschaft und Selbstbereicherung angeklagt worden; Lord Cornwallis feierte
man dort als Reorganisator und Wohltäter Indiens. Der indische Bauer
dagegen nannte Clives und Hastings Namen noch nach vielen Jahren nur mit
Ehrfurcht. Gewiß, sie hatten Bestechungen und Geschenke angenommen, hatten
rücksichtslos alle Hindernisse beseitigt, welche sich ihnen in den Weg stellten;
aber sie kannten Land und Leute und hatten trotz aller Willkür nie dem Volke
Dinge aufgezwungen, die sein sittliches Empfinden verletzten. Lord Cornwallis
dagegen hat durch seine unangebrachter Reformen die Grundmauern, auf denen
das soziale Leben der Inder beruhte, erschüttert und zum Teil zerstört. Daher
wurde sein Name, solange die Erinnerung an ihn währte, nur mit Flüchen
und Verwünschungen genannt. Die permanent 8ettlement8 bestehen in den
damals zur Kolonie gehörigen Landesteilen — also in Bengalen und einigen
benachbarten Staaten — noch heute zu Recht.

Allerdings haben die Verhältnisse sich geändert. Die Kaufkraft des Geldes
ist gefallen, der Wert der landwirtschaftlichen Erzeugnisse aber bedeutend ge¬
stiegen. Daher ist die von den Zermindars zu entrichtende Abgabe für heutige
Verhältnisse so gering, daß sie weit hinter einer gerechten Besteuerung zurück¬
bleibt. Die Regierung ist indessen durch ihr Wort gebunden und kann keine
nachträgliche Erhöhung der Steuerrolle anordnen. Ebensowenig hat sie genügende
Handhaben, um die ökonomische Lage der von den Zemindars bedrückten Be¬
völkerung zu heben. Die einzigen Leute, welche heute noch Vorteile von den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325388"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Engländer in Indien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2369" prev="#ID_2368"> stecken" muß, um später höhere Erträge herauszuroirtschaften, ist dem Orientalen<lb/>
nicht geläufig. Sollte man höhere Abgaben bezahlen, so mußte man eben<lb/>
mehr aus seinem Besitz herauspressen. Der Druck auf den kleinen Mann wurde<lb/>
also vermehrt statt vermindert. Nun gab es aber, so sagte man sich, den Schutz<lb/>
der neuen Gerichtshöfe gegen ungerechte Bedrückung. Ja gewiß, wenn diese<lb/>
Gerichtshöfe imstande gewesen wären, in einem summarischen, nur wenige Tage<lb/>
dauernden Verfahren die ihnen vorgelegten Fälle zu erledigen. Die eingereichten<lb/>
Klagen häuften sich indessen binnen kurzem zu so ungeheuren Mengen an, daß<lb/>
oft erst nach Jahren an eine Urteilsfällung zu denken war. Die Zahlungspflicht<lb/>
des Bauern blieb bis zur Entscheidung der Streitfrage in der Schwebe; dagegen<lb/>
verlangte die Regierung vom Zemindar bei Strafe der Exekution pünktliche<lb/>
Zahlung seiner Steuern. Also auf der einen Seite ein schleppendes Gerichts¬<lb/>
verfahren, auf der anderen eine summarische Exekution. Viele Zemindare konnten<lb/>
unter diesen Umständen ihren Verpflichtungen beim besten Willen nicht nach¬<lb/>
kommen und wurden daher oft wegen geringfügiger Steuerrückstände von Haus<lb/>
und Hof gejagt. Die Unsicherheit des Besitzes lähmte schließlich alle Tätigkeit,<lb/>
der Vermögensverlust stieg ins Ungeheure. Leute, welche gestern noch für reich<lb/>
gegolten hatten, waren heute Bettler. Man hat berechnet,. daß in den ersten<lb/>
Jahren nach Einführung der permanent 8selteneres über 90 Prozent des<lb/>
Grund und Bodens zwangsweise seinen Besitzer wechselte. Lord Clive und<lb/>
Warren Hastings waren bei ihrer Rückkehr nach England wegen ihrer Willkür¬<lb/>
herrschaft und Selbstbereicherung angeklagt worden; Lord Cornwallis feierte<lb/>
man dort als Reorganisator und Wohltäter Indiens. Der indische Bauer<lb/>
dagegen nannte Clives und Hastings Namen noch nach vielen Jahren nur mit<lb/>
Ehrfurcht. Gewiß, sie hatten Bestechungen und Geschenke angenommen, hatten<lb/>
rücksichtslos alle Hindernisse beseitigt, welche sich ihnen in den Weg stellten;<lb/>
aber sie kannten Land und Leute und hatten trotz aller Willkür nie dem Volke<lb/>
Dinge aufgezwungen, die sein sittliches Empfinden verletzten. Lord Cornwallis<lb/>
dagegen hat durch seine unangebrachter Reformen die Grundmauern, auf denen<lb/>
das soziale Leben der Inder beruhte, erschüttert und zum Teil zerstört. Daher<lb/>
wurde sein Name, solange die Erinnerung an ihn währte, nur mit Flüchen<lb/>
und Verwünschungen genannt. Die permanent 8ettlement8 bestehen in den<lb/>
damals zur Kolonie gehörigen Landesteilen &#x2014; also in Bengalen und einigen<lb/>
benachbarten Staaten &#x2014; noch heute zu Recht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2370" next="#ID_2371"> Allerdings haben die Verhältnisse sich geändert. Die Kaufkraft des Geldes<lb/>
ist gefallen, der Wert der landwirtschaftlichen Erzeugnisse aber bedeutend ge¬<lb/>
stiegen. Daher ist die von den Zermindars zu entrichtende Abgabe für heutige<lb/>
Verhältnisse so gering, daß sie weit hinter einer gerechten Besteuerung zurück¬<lb/>
bleibt. Die Regierung ist indessen durch ihr Wort gebunden und kann keine<lb/>
nachträgliche Erhöhung der Steuerrolle anordnen. Ebensowenig hat sie genügende<lb/>
Handhaben, um die ökonomische Lage der von den Zemindars bedrückten Be¬<lb/>
völkerung zu heben.  Die einzigen Leute, welche heute noch Vorteile von den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0518] Die Engländer in Indien stecken" muß, um später höhere Erträge herauszuroirtschaften, ist dem Orientalen nicht geläufig. Sollte man höhere Abgaben bezahlen, so mußte man eben mehr aus seinem Besitz herauspressen. Der Druck auf den kleinen Mann wurde also vermehrt statt vermindert. Nun gab es aber, so sagte man sich, den Schutz der neuen Gerichtshöfe gegen ungerechte Bedrückung. Ja gewiß, wenn diese Gerichtshöfe imstande gewesen wären, in einem summarischen, nur wenige Tage dauernden Verfahren die ihnen vorgelegten Fälle zu erledigen. Die eingereichten Klagen häuften sich indessen binnen kurzem zu so ungeheuren Mengen an, daß oft erst nach Jahren an eine Urteilsfällung zu denken war. Die Zahlungspflicht des Bauern blieb bis zur Entscheidung der Streitfrage in der Schwebe; dagegen verlangte die Regierung vom Zemindar bei Strafe der Exekution pünktliche Zahlung seiner Steuern. Also auf der einen Seite ein schleppendes Gerichts¬ verfahren, auf der anderen eine summarische Exekution. Viele Zemindare konnten unter diesen Umständen ihren Verpflichtungen beim besten Willen nicht nach¬ kommen und wurden daher oft wegen geringfügiger Steuerrückstände von Haus und Hof gejagt. Die Unsicherheit des Besitzes lähmte schließlich alle Tätigkeit, der Vermögensverlust stieg ins Ungeheure. Leute, welche gestern noch für reich gegolten hatten, waren heute Bettler. Man hat berechnet,. daß in den ersten Jahren nach Einführung der permanent 8selteneres über 90 Prozent des Grund und Bodens zwangsweise seinen Besitzer wechselte. Lord Clive und Warren Hastings waren bei ihrer Rückkehr nach England wegen ihrer Willkür¬ herrschaft und Selbstbereicherung angeklagt worden; Lord Cornwallis feierte man dort als Reorganisator und Wohltäter Indiens. Der indische Bauer dagegen nannte Clives und Hastings Namen noch nach vielen Jahren nur mit Ehrfurcht. Gewiß, sie hatten Bestechungen und Geschenke angenommen, hatten rücksichtslos alle Hindernisse beseitigt, welche sich ihnen in den Weg stellten; aber sie kannten Land und Leute und hatten trotz aller Willkür nie dem Volke Dinge aufgezwungen, die sein sittliches Empfinden verletzten. Lord Cornwallis dagegen hat durch seine unangebrachter Reformen die Grundmauern, auf denen das soziale Leben der Inder beruhte, erschüttert und zum Teil zerstört. Daher wurde sein Name, solange die Erinnerung an ihn währte, nur mit Flüchen und Verwünschungen genannt. Die permanent 8ettlement8 bestehen in den damals zur Kolonie gehörigen Landesteilen — also in Bengalen und einigen benachbarten Staaten — noch heute zu Recht. Allerdings haben die Verhältnisse sich geändert. Die Kaufkraft des Geldes ist gefallen, der Wert der landwirtschaftlichen Erzeugnisse aber bedeutend ge¬ stiegen. Daher ist die von den Zermindars zu entrichtende Abgabe für heutige Verhältnisse so gering, daß sie weit hinter einer gerechten Besteuerung zurück¬ bleibt. Die Regierung ist indessen durch ihr Wort gebunden und kann keine nachträgliche Erhöhung der Steuerrolle anordnen. Ebensowenig hat sie genügende Handhaben, um die ökonomische Lage der von den Zemindars bedrückten Be¬ völkerung zu heben. Die einzigen Leute, welche heute noch Vorteile von den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/518
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/518>, abgerufen am 22.06.2024.