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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Englisches und deutsches Friedenspräsenzrecht

jährliche Festsetzung der Friedenspräsenz nicht hatte, sollte die Festsetzung im
alljährlichen Etatsgesetze erfolgen, und Regierung wie Herrenhaus sich der
Mehrheit des Abgeordnetenhauses zu fügen haben.

Wie aber, nach Bismarcks Ausdruck, Streitfragen des öffentlichen Rechtes,
die sich durch Kompromisse nicht lösen lassen, zu Konflikten werden, über welche
die Macht entscheidet, so ist anch der preußische Verfafsungskonflikt erledigt
worden durch das Ergebnis des Krieges von 1866. Er entschied über den
Fortbestand der Armeereorganisation, damit aber auch über die Erhaltung des
monarchischen Prinzips gegenüber den Ansprüchen des Parlamentarismus.

Gleichzeitig wurde das Militärrecht aus Preußen in den Bundesstaat
verlegt.

Während der Entwurf der Norddeutschen Bundesverfassung die Friedens¬
präsenz dauernd feststellen und dafür dem Bundesfeldherrn ein Pauschquantum
zubilligen wollte, wurde nach den Beschlüssen des verfassungberatenden Reichs¬
tages dies nur für die ersten Übergcmgsjahre angenommen. Für die Zukunft
sollte die Friedenspräsenz durch Gesetz festgestellt werden. Dies ging auch in
die Reichsverfassung über (Art. 60).

Bei der gesetzlichen Feststellung der Friedenspräsenz dachte man auf feiten
der Regierung zweifellos an ein dauerndes Gesetz, eine I^ex in Perpetuum
valitura, wie es im Stile der römischen Imperatoren hieß, oder besser an ein
gewöhnliches Gesetz, das solange gilt, bis es durch ein neues Gesetz abgeändert
wird. Die Reichstagsmehrheit verlangte dagegen -- und hier wurde das
englische Vorbild wieder verhängnisvoll -- jährliche Feststellung der Friedens -
Präsenz nach allgemeinen: konstitutionellen Brauche wie in England. Ganz un¬
berücksichtigt blieb dabei die Tatsache, daß das Heer bei uns nicht eine ver¬
fassungswidrige Einrichtung ist. die alljährlich durch Ausnahmegesetz bewilligt
werden muß, sondern eine verfassungsmäßige zur Erfüllung der allgemeinen
Wehrpflicht. Im Hintergrunde schwebte dabei ganz wie bei unseren alten
Ständen der Gedanke, daß ein Heer wenigstens in dieser Höhe nur mit Rücksicht
auf die hohe politische Spannung erforderlich sei. und daß man bei jährlicher
Festsetzung Gelegenheit habe, der Regierung jedesmal etwas abzuhandeln.

Schließlich einigte man sich durch das Friedenspräsenzgesetz vom 2. Mai
1874 in einem Kompromisse. Die mittlere Linie zwischen einem Jahre und der
Ewigkeit wurde in sieben Jahren gefunden. So entstand das Septennat. Dem
ersten Septennate folgten andere. Später hielt man auch an den sieben Jahren
nicht mehr fest, sondern ging zu den fünfjährigen Perioden über, die man mit
dem geschmackvollen Worte Quinquennat bezeichnete. Ja auch innerhalb der
fünfjährigen Perioden erwiesen sich zeitweise wesentliche Änderungen der Friedens¬
präsenz als erforderlich.

Die Erwartung der Reichstagsmehrheit von 1874. daß man bei periodischen
Festsetzungen der Friedenspräsenz gelegentlich etwas herabsetzen könne, hat sich
jedenfalls nicht verwirklicht. Auch mehrfache Auflösungen des Reichstages, die


Englisches und deutsches Friedenspräsenzrecht

jährliche Festsetzung der Friedenspräsenz nicht hatte, sollte die Festsetzung im
alljährlichen Etatsgesetze erfolgen, und Regierung wie Herrenhaus sich der
Mehrheit des Abgeordnetenhauses zu fügen haben.

Wie aber, nach Bismarcks Ausdruck, Streitfragen des öffentlichen Rechtes,
die sich durch Kompromisse nicht lösen lassen, zu Konflikten werden, über welche
die Macht entscheidet, so ist anch der preußische Verfafsungskonflikt erledigt
worden durch das Ergebnis des Krieges von 1866. Er entschied über den
Fortbestand der Armeereorganisation, damit aber auch über die Erhaltung des
monarchischen Prinzips gegenüber den Ansprüchen des Parlamentarismus.

Gleichzeitig wurde das Militärrecht aus Preußen in den Bundesstaat
verlegt.

Während der Entwurf der Norddeutschen Bundesverfassung die Friedens¬
präsenz dauernd feststellen und dafür dem Bundesfeldherrn ein Pauschquantum
zubilligen wollte, wurde nach den Beschlüssen des verfassungberatenden Reichs¬
tages dies nur für die ersten Übergcmgsjahre angenommen. Für die Zukunft
sollte die Friedenspräsenz durch Gesetz festgestellt werden. Dies ging auch in
die Reichsverfassung über (Art. 60).

Bei der gesetzlichen Feststellung der Friedenspräsenz dachte man auf feiten
der Regierung zweifellos an ein dauerndes Gesetz, eine I^ex in Perpetuum
valitura, wie es im Stile der römischen Imperatoren hieß, oder besser an ein
gewöhnliches Gesetz, das solange gilt, bis es durch ein neues Gesetz abgeändert
wird. Die Reichstagsmehrheit verlangte dagegen — und hier wurde das
englische Vorbild wieder verhängnisvoll — jährliche Feststellung der Friedens -
Präsenz nach allgemeinen: konstitutionellen Brauche wie in England. Ganz un¬
berücksichtigt blieb dabei die Tatsache, daß das Heer bei uns nicht eine ver¬
fassungswidrige Einrichtung ist. die alljährlich durch Ausnahmegesetz bewilligt
werden muß, sondern eine verfassungsmäßige zur Erfüllung der allgemeinen
Wehrpflicht. Im Hintergrunde schwebte dabei ganz wie bei unseren alten
Ständen der Gedanke, daß ein Heer wenigstens in dieser Höhe nur mit Rücksicht
auf die hohe politische Spannung erforderlich sei. und daß man bei jährlicher
Festsetzung Gelegenheit habe, der Regierung jedesmal etwas abzuhandeln.

Schließlich einigte man sich durch das Friedenspräsenzgesetz vom 2. Mai
1874 in einem Kompromisse. Die mittlere Linie zwischen einem Jahre und der
Ewigkeit wurde in sieben Jahren gefunden. So entstand das Septennat. Dem
ersten Septennate folgten andere. Später hielt man auch an den sieben Jahren
nicht mehr fest, sondern ging zu den fünfjährigen Perioden über, die man mit
dem geschmackvollen Worte Quinquennat bezeichnete. Ja auch innerhalb der
fünfjährigen Perioden erwiesen sich zeitweise wesentliche Änderungen der Friedens¬
präsenz als erforderlich.

Die Erwartung der Reichstagsmehrheit von 1874. daß man bei periodischen
Festsetzungen der Friedenspräsenz gelegentlich etwas herabsetzen könne, hat sich
jedenfalls nicht verwirklicht. Auch mehrfache Auflösungen des Reichstages, die


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[0509] Englisches und deutsches Friedenspräsenzrecht jährliche Festsetzung der Friedenspräsenz nicht hatte, sollte die Festsetzung im alljährlichen Etatsgesetze erfolgen, und Regierung wie Herrenhaus sich der Mehrheit des Abgeordnetenhauses zu fügen haben. Wie aber, nach Bismarcks Ausdruck, Streitfragen des öffentlichen Rechtes, die sich durch Kompromisse nicht lösen lassen, zu Konflikten werden, über welche die Macht entscheidet, so ist anch der preußische Verfafsungskonflikt erledigt worden durch das Ergebnis des Krieges von 1866. Er entschied über den Fortbestand der Armeereorganisation, damit aber auch über die Erhaltung des monarchischen Prinzips gegenüber den Ansprüchen des Parlamentarismus. Gleichzeitig wurde das Militärrecht aus Preußen in den Bundesstaat verlegt. Während der Entwurf der Norddeutschen Bundesverfassung die Friedens¬ präsenz dauernd feststellen und dafür dem Bundesfeldherrn ein Pauschquantum zubilligen wollte, wurde nach den Beschlüssen des verfassungberatenden Reichs¬ tages dies nur für die ersten Übergcmgsjahre angenommen. Für die Zukunft sollte die Friedenspräsenz durch Gesetz festgestellt werden. Dies ging auch in die Reichsverfassung über (Art. 60). Bei der gesetzlichen Feststellung der Friedenspräsenz dachte man auf feiten der Regierung zweifellos an ein dauerndes Gesetz, eine I^ex in Perpetuum valitura, wie es im Stile der römischen Imperatoren hieß, oder besser an ein gewöhnliches Gesetz, das solange gilt, bis es durch ein neues Gesetz abgeändert wird. Die Reichstagsmehrheit verlangte dagegen — und hier wurde das englische Vorbild wieder verhängnisvoll — jährliche Feststellung der Friedens - Präsenz nach allgemeinen: konstitutionellen Brauche wie in England. Ganz un¬ berücksichtigt blieb dabei die Tatsache, daß das Heer bei uns nicht eine ver¬ fassungswidrige Einrichtung ist. die alljährlich durch Ausnahmegesetz bewilligt werden muß, sondern eine verfassungsmäßige zur Erfüllung der allgemeinen Wehrpflicht. Im Hintergrunde schwebte dabei ganz wie bei unseren alten Ständen der Gedanke, daß ein Heer wenigstens in dieser Höhe nur mit Rücksicht auf die hohe politische Spannung erforderlich sei. und daß man bei jährlicher Festsetzung Gelegenheit habe, der Regierung jedesmal etwas abzuhandeln. Schließlich einigte man sich durch das Friedenspräsenzgesetz vom 2. Mai 1874 in einem Kompromisse. Die mittlere Linie zwischen einem Jahre und der Ewigkeit wurde in sieben Jahren gefunden. So entstand das Septennat. Dem ersten Septennate folgten andere. Später hielt man auch an den sieben Jahren nicht mehr fest, sondern ging zu den fünfjährigen Perioden über, die man mit dem geschmackvollen Worte Quinquennat bezeichnete. Ja auch innerhalb der fünfjährigen Perioden erwiesen sich zeitweise wesentliche Änderungen der Friedens¬ präsenz als erforderlich. Die Erwartung der Reichstagsmehrheit von 1874. daß man bei periodischen Festsetzungen der Friedenspräsenz gelegentlich etwas herabsetzen könne, hat sich jedenfalls nicht verwirklicht. Auch mehrfache Auflösungen des Reichstages, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/509>, abgerufen am 25.08.2024.