Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] der Philosophie ein. Seine Erneuerung des Diese tüchtige Arbeit hätte aber verdient, an Schopenhauer, der selbst nicht eindeutig Daß die Vernachlässigung, einer so theo¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] der Philosophie ein. Seine Erneuerung des Diese tüchtige Arbeit hätte aber verdient, an Schopenhauer, der selbst nicht eindeutig Daß die Vernachlässigung, einer so theo¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325270"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_1774" prev="#ID_1773"> der Philosophie ein. Seine Erneuerung des<lb/> philosophischen Stils erscheint hier als die<lb/> Reaktion gegen das mystische Halbdunkel, in<lb/> demi sich der romantische Geist gefiel. Der<lb/> Hauptteil selbst zerfällt in zwei Abschnitte.<lb/> Einmal wird Schopenhauer vor die eigenen<lb/> Stilforderungen gestellt, die er zu wiederholten<lb/> Malen und mit der ihm eigentümlichen Wen¬<lb/> dung gegen zeitgenössische Unarten der „Lohn¬<lb/> schreiber" eingehend behandelt hat. Sodann<lb/> unterzieht Hochfeld die Schopenhauersche<lb/> Sprache einer „ergänzenden Betrachtung", die<lb/> ihre künstlerische Qualität nach Gesichtspunkten<lb/> erweist, von denen sich Schopenhauer noch<lb/> keine Rechenschaft gegeben hat. An dieser<lb/> Stelle leistet Hochfeld das Wertvollste seiner<lb/> Arbeit. Von besonderem Interesse ist der<lb/> Nachweis der rhythmischen Bewegung in<lb/> Schopenhauers Prosa, die Untersuchung seiner<lb/> Periode und die Ausdehnung des „Künst¬<lb/> lerischen" auf die gesamte Komposition seines<lb/> Hauptwerkes. Hochfelds Darlegungen sind<lb/> überall von einer schönen Wärme für seinen<lb/> Gegenstand getragen, was sich nicht zuletzt<lb/> darin ausspricht, daß er selbst seinen Stil an<lb/> Schopenhauer zu bilden mit Erfolg bemüht<lb/> ist. Zwei Beispiele für viele. Nachdem er<lb/> Schopenhauers tiefsinnige Antwort auf die<lb/> Frage nach seinem Grabe: „Es ist einerlei.<lb/> Sie werden mich finden" angeführt hat, sagt<lb/> er (S. 61): „Ich glaube, jedes Lesers Blick<lb/> ruht eine Weile auf dieser Zeile, bevor er<lb/> sich entschließt, weiter zu eilen." Oder er be¬<lb/> zeichnet eine der typischen, alliterierenden Ge¬<lb/> hässigkeiten Schopenhauers gegen seine Wider¬<lb/> sacher mit dem treffenden Wort (S. 87): „Er<lb/> nimmt sie zwischen die Zähne."</p> <p xml:id="ID_1775" next="#ID_1776"> Diese tüchtige Arbeit hätte aber verdient,<lb/> dadurch über das Niveau einer relativ be¬<lb/> grenzten Fachstudie erhoben zu werden, daß<lb/> Hochfeld seinen konkreten Ausführungen eine<lb/> grundsätzliche Erörterung vorangestellt hätte,<lb/> ob, beziehungsweise wieweit das Künstlerische<lb/> in der wissenschaftlichen Sprache berechtigt ist.<lb/> Daß Hochfeld von dieser Berechtigung über¬<lb/> zeugt ist, genügt nicht, auch wenn wir von<lb/> seiner Darstellung den Eindruck davontragen,<lb/> als sei er wohl befähigt, uns einen Beweis<lb/> dafür zu erbringen. Die Frage wird Wohl<lb/> als solche erkannt, aber nicht klar entschieden,<lb/> vielleicht in allzu gewissenhafter Anlehnung</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_1776" prev="#ID_1775"> an Schopenhauer, der selbst nicht eindeutig<lb/> dazu Stellung genommen hat, wofür Hoch¬<lb/> feld zehn verschiedene Belege bringt. Aus<lb/> dieser fundamentalen Unklarheit geht der<lb/> Widerspruch hervor, daß Hochfeld nach der<lb/> ganzen Tendenz seines Buches in der liebe¬<lb/> vollen künstlerischen Durchbildung der Sprache<lb/> einen Vorzug der Schopenhauerschen Philo¬<lb/> sophie sieht und doch in der Einleitung (S. VI)<lb/> die teilweise, inhaltliche Überholung Schopen¬<lb/> hauers und verwandter Dichterphilosophen<lb/> damit erklärt, „daß hier um der Liebe willen<lb/> zur Sprache allein an einem Irrtum fest¬<lb/> gehalten wurde, ja: vielleicht erst der Irrtum<lb/> möglich war." Ebenso nennt er einmal (S. 4)<lb/> Schopenhauer „zunächst und vor allem Philo¬<lb/> soph", während es bereits S. 11 heißt: „Mehr<lb/> aber war er Dichter als Philosoph." Diese<lb/> Behauptung ist nun, wenn sie auch auf ein<lb/> (einziges) Selbstzeugnis Schopenhauers zurück¬<lb/> geht, entschieden falsch. Daher, seinem Schwer¬<lb/> punkt nach, noch ganz im Philosophischen Ge¬<lb/> biet wurzelt, wäre sofort klar geworden, wenn<lb/> Hochfeld an seinem Gegensatz zu Nietzsche<lb/> (wenn bei diesem historisch auch noch so sehr<lb/> eine Abhängigkeit vorliegt) die Grenzlinie<lb/> entwickelt hätte, auf der Philosophie zur<lb/> Dichtung wird. Begründet erscheint mir ihre<lb/> Verwischung in der Zweideutigkeit von „Ob¬<lb/> jektivität", die Hochfeld, nach dem Vorgang<lb/> Schopenhauers, als ersten Vorzug seines<lb/> Stiles erkennt. Wissenschaftliche Objektivität<lb/> ist nicht Gegenständlichkeit des Gedachten,<lb/> sondern Gegenständlichkeit des Denkens. Sie<lb/> enthält keine Bestimmung vom Stoff (wie in<lb/> der Kunst), sondern von der Form her. Sehr<lb/> richtig sagt daher Schopenhauer: „Alle großen<lb/> Köpfe haben stets in Gegenwart der An¬<lb/> schauung gedacht," nicht in und mit der An¬<lb/> schauung selbst. Es ist nur eine Folge da¬<lb/> von, wenn Hochfeld in das „Künstlerische"<lb/> der Sprache Elemente aufnimmt, die, rein<lb/> inhaltlich qualifiziert, darin nichts zu suchen<lb/> haben. „Gedankenreichtum" ist ebensowenig<lb/> eine künstlerische Tat, wie die Beziehung<lb/> philosophischer Gedankengänge auf fachwissen-<lb/> schnftliche Analogien (Anhang XI, besonders<lb/> 12, Is, 23) als Vergleich im künstlerischen,<lb/> anschaulichen Sinne gelten kann.</p> <p xml:id="ID_1777" next="#ID_1778"> Daß die Vernachlässigung, einer so theo¬<lb/> retischen, weit ausholenden Grundlegung das</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0400]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
der Philosophie ein. Seine Erneuerung des
philosophischen Stils erscheint hier als die
Reaktion gegen das mystische Halbdunkel, in
demi sich der romantische Geist gefiel. Der
Hauptteil selbst zerfällt in zwei Abschnitte.
Einmal wird Schopenhauer vor die eigenen
Stilforderungen gestellt, die er zu wiederholten
Malen und mit der ihm eigentümlichen Wen¬
dung gegen zeitgenössische Unarten der „Lohn¬
schreiber" eingehend behandelt hat. Sodann
unterzieht Hochfeld die Schopenhauersche
Sprache einer „ergänzenden Betrachtung", die
ihre künstlerische Qualität nach Gesichtspunkten
erweist, von denen sich Schopenhauer noch
keine Rechenschaft gegeben hat. An dieser
Stelle leistet Hochfeld das Wertvollste seiner
Arbeit. Von besonderem Interesse ist der
Nachweis der rhythmischen Bewegung in
Schopenhauers Prosa, die Untersuchung seiner
Periode und die Ausdehnung des „Künst¬
lerischen" auf die gesamte Komposition seines
Hauptwerkes. Hochfelds Darlegungen sind
überall von einer schönen Wärme für seinen
Gegenstand getragen, was sich nicht zuletzt
darin ausspricht, daß er selbst seinen Stil an
Schopenhauer zu bilden mit Erfolg bemüht
ist. Zwei Beispiele für viele. Nachdem er
Schopenhauers tiefsinnige Antwort auf die
Frage nach seinem Grabe: „Es ist einerlei.
Sie werden mich finden" angeführt hat, sagt
er (S. 61): „Ich glaube, jedes Lesers Blick
ruht eine Weile auf dieser Zeile, bevor er
sich entschließt, weiter zu eilen." Oder er be¬
zeichnet eine der typischen, alliterierenden Ge¬
hässigkeiten Schopenhauers gegen seine Wider¬
sacher mit dem treffenden Wort (S. 87): „Er
nimmt sie zwischen die Zähne."
Diese tüchtige Arbeit hätte aber verdient,
dadurch über das Niveau einer relativ be¬
grenzten Fachstudie erhoben zu werden, daß
Hochfeld seinen konkreten Ausführungen eine
grundsätzliche Erörterung vorangestellt hätte,
ob, beziehungsweise wieweit das Künstlerische
in der wissenschaftlichen Sprache berechtigt ist.
Daß Hochfeld von dieser Berechtigung über¬
zeugt ist, genügt nicht, auch wenn wir von
seiner Darstellung den Eindruck davontragen,
als sei er wohl befähigt, uns einen Beweis
dafür zu erbringen. Die Frage wird Wohl
als solche erkannt, aber nicht klar entschieden,
vielleicht in allzu gewissenhafter Anlehnung
an Schopenhauer, der selbst nicht eindeutig
dazu Stellung genommen hat, wofür Hoch¬
feld zehn verschiedene Belege bringt. Aus
dieser fundamentalen Unklarheit geht der
Widerspruch hervor, daß Hochfeld nach der
ganzen Tendenz seines Buches in der liebe¬
vollen künstlerischen Durchbildung der Sprache
einen Vorzug der Schopenhauerschen Philo¬
sophie sieht und doch in der Einleitung (S. VI)
die teilweise, inhaltliche Überholung Schopen¬
hauers und verwandter Dichterphilosophen
damit erklärt, „daß hier um der Liebe willen
zur Sprache allein an einem Irrtum fest¬
gehalten wurde, ja: vielleicht erst der Irrtum
möglich war." Ebenso nennt er einmal (S. 4)
Schopenhauer „zunächst und vor allem Philo¬
soph", während es bereits S. 11 heißt: „Mehr
aber war er Dichter als Philosoph." Diese
Behauptung ist nun, wenn sie auch auf ein
(einziges) Selbstzeugnis Schopenhauers zurück¬
geht, entschieden falsch. Daher, seinem Schwer¬
punkt nach, noch ganz im Philosophischen Ge¬
biet wurzelt, wäre sofort klar geworden, wenn
Hochfeld an seinem Gegensatz zu Nietzsche
(wenn bei diesem historisch auch noch so sehr
eine Abhängigkeit vorliegt) die Grenzlinie
entwickelt hätte, auf der Philosophie zur
Dichtung wird. Begründet erscheint mir ihre
Verwischung in der Zweideutigkeit von „Ob¬
jektivität", die Hochfeld, nach dem Vorgang
Schopenhauers, als ersten Vorzug seines
Stiles erkennt. Wissenschaftliche Objektivität
ist nicht Gegenständlichkeit des Gedachten,
sondern Gegenständlichkeit des Denkens. Sie
enthält keine Bestimmung vom Stoff (wie in
der Kunst), sondern von der Form her. Sehr
richtig sagt daher Schopenhauer: „Alle großen
Köpfe haben stets in Gegenwart der An¬
schauung gedacht," nicht in und mit der An¬
schauung selbst. Es ist nur eine Folge da¬
von, wenn Hochfeld in das „Künstlerische"
der Sprache Elemente aufnimmt, die, rein
inhaltlich qualifiziert, darin nichts zu suchen
haben. „Gedankenreichtum" ist ebensowenig
eine künstlerische Tat, wie die Beziehung
philosophischer Gedankengänge auf fachwissen-
schnftliche Analogien (Anhang XI, besonders
12, Is, 23) als Vergleich im künstlerischen,
anschaulichen Sinne gelten kann.
Daß die Vernachlässigung, einer so theo¬
retischen, weit ausholenden Grundlegung das
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