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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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von einer neuen und anderen Sozialpolitik

die eigene Kraft, die Eigenständigkeit, den Mut zur Unternehmung. Wie kann
das geschehen?

Am 25. November war in Berlin eine Anzahl bedeutender Politiker und
Arbeiterführer versammelt, um zu beraten, wie man dem Ansturm der sozial¬
demokratischen Volksfürsorge zu begegnen habe. Die sozialdemokratische Partei
plant im Anschluß an ihre Gewerkschaften, das Volk mit einem System von
Spar- und Darlehnskassen zu beschenken, eine Volksversicherung zu schaffen, die
das Volk wirtschaftlich gut versorgt und doch zugleich von der Sozialdemokratie
abhängiger macht. Sie wird damit weite Kreise kleiner Kaufleute und Gewerbe¬
treibender als Prämienzahler und Kreditnehmer an sich fesseln, sie wird damit
ungefähr fünfundvierzigtausend Versicherungsbeamte, die zugleich Parteiagitatoren
sind, unterhalten, sie wird einen Staat im Staate errichten, der um des Geistes
willen, der darin herrscht, für die Zukunft des deutschen Volkes höchst unerfreulich
und gefährlich sein wird. Will man das verhüten, so muß man von bürger¬
licher Seite dem Volke das Gleiche, nein, nicht das Gleiche, sondern mehr und
Besseres bieten, als jene bieten können.

Der Mann, der jene Versammlung angeregt hat, ist der bekannte General¬
landschaftsdirektor Kapp. Er benutzte diesen politischen Moment, um der weiten
Öffentlichkeit seine Ideen vorzutragen. Denn es ist wahr, was er in seinem
Referat nur andeutete, daß das Werkzeug und Rüstzeug seiner Pläne schon seit
vielen Jahren bereit liegt, "lange bevor die Sozialdemokratie mit ihrer Volks-
sürsorge auf den Plan trat".

Es handelt sich um eine längst erwogene, genau vorbereitete Sozial¬
versicherung im deutschen Geiste, die öffentlich-rechtliche Lebensversicherung.

Also doch wiederum eine Versicherung? Ja, aber im folgenden werden
wir ihre Vorzüge den Fehlern jener anderen Sozialversicherung gegenüberstellen.

Erstens, es handelt sich um Lebensversicherung. Diese ist immer ein klares
und reelles, bis auf den Pfennig ausgerechnetes Geschäft, bei welchem dem
Versicherten sein Recht werden muß, während in den Geschäften jener anderen
Versicherungen die Austeilung des Rechtes immer ein Werk bureaukratischer
Willkür ist.

Zweitens, es ist keine Zwangsversicherung, sondern jeder bleibt der wirt¬
schaftliche Herr seiner Existenz.

Drittens, es sind keine Wohltaten, kein Arbeitgeberbeitrag, kein Almosen
und Geschenk dabei, sondern was einer davon hat, verdankt er der eigenen Kraft.

Auf jener Tagung ging der Streit hauptsächlich um den Träger der Ver¬
sicherung, nämlich ob es öffentlich-rechtliche Einrichtungen sein sollen oder ob
das privatwirtschaftliche Kapital mit solcher Volksversicherung betraut werden
könne. Bei aller Achtung vor den Leistungen des privaten Kapitals in der
Lebensversicherung überhaupt, wurde doch mit Recht betont, daß die Volks¬
versicherung, die Versicherung des kleinen Mannes, nicht eine Aufgabe des
privatwirtschaftlichen Erwerbsgeistes sein kann. Denn die privaten Gesell-


von einer neuen und anderen Sozialpolitik

die eigene Kraft, die Eigenständigkeit, den Mut zur Unternehmung. Wie kann
das geschehen?

Am 25. November war in Berlin eine Anzahl bedeutender Politiker und
Arbeiterführer versammelt, um zu beraten, wie man dem Ansturm der sozial¬
demokratischen Volksfürsorge zu begegnen habe. Die sozialdemokratische Partei
plant im Anschluß an ihre Gewerkschaften, das Volk mit einem System von
Spar- und Darlehnskassen zu beschenken, eine Volksversicherung zu schaffen, die
das Volk wirtschaftlich gut versorgt und doch zugleich von der Sozialdemokratie
abhängiger macht. Sie wird damit weite Kreise kleiner Kaufleute und Gewerbe¬
treibender als Prämienzahler und Kreditnehmer an sich fesseln, sie wird damit
ungefähr fünfundvierzigtausend Versicherungsbeamte, die zugleich Parteiagitatoren
sind, unterhalten, sie wird einen Staat im Staate errichten, der um des Geistes
willen, der darin herrscht, für die Zukunft des deutschen Volkes höchst unerfreulich
und gefährlich sein wird. Will man das verhüten, so muß man von bürger¬
licher Seite dem Volke das Gleiche, nein, nicht das Gleiche, sondern mehr und
Besseres bieten, als jene bieten können.

Der Mann, der jene Versammlung angeregt hat, ist der bekannte General¬
landschaftsdirektor Kapp. Er benutzte diesen politischen Moment, um der weiten
Öffentlichkeit seine Ideen vorzutragen. Denn es ist wahr, was er in seinem
Referat nur andeutete, daß das Werkzeug und Rüstzeug seiner Pläne schon seit
vielen Jahren bereit liegt, „lange bevor die Sozialdemokratie mit ihrer Volks-
sürsorge auf den Plan trat".

Es handelt sich um eine längst erwogene, genau vorbereitete Sozial¬
versicherung im deutschen Geiste, die öffentlich-rechtliche Lebensversicherung.

Also doch wiederum eine Versicherung? Ja, aber im folgenden werden
wir ihre Vorzüge den Fehlern jener anderen Sozialversicherung gegenüberstellen.

Erstens, es handelt sich um Lebensversicherung. Diese ist immer ein klares
und reelles, bis auf den Pfennig ausgerechnetes Geschäft, bei welchem dem
Versicherten sein Recht werden muß, während in den Geschäften jener anderen
Versicherungen die Austeilung des Rechtes immer ein Werk bureaukratischer
Willkür ist.

Zweitens, es ist keine Zwangsversicherung, sondern jeder bleibt der wirt¬
schaftliche Herr seiner Existenz.

Drittens, es sind keine Wohltaten, kein Arbeitgeberbeitrag, kein Almosen
und Geschenk dabei, sondern was einer davon hat, verdankt er der eigenen Kraft.

Auf jener Tagung ging der Streit hauptsächlich um den Träger der Ver¬
sicherung, nämlich ob es öffentlich-rechtliche Einrichtungen sein sollen oder ob
das privatwirtschaftliche Kapital mit solcher Volksversicherung betraut werden
könne. Bei aller Achtung vor den Leistungen des privaten Kapitals in der
Lebensversicherung überhaupt, wurde doch mit Recht betont, daß die Volks¬
versicherung, die Versicherung des kleinen Mannes, nicht eine Aufgabe des
privatwirtschaftlichen Erwerbsgeistes sein kann. Denn die privaten Gesell-


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[0321] von einer neuen und anderen Sozialpolitik die eigene Kraft, die Eigenständigkeit, den Mut zur Unternehmung. Wie kann das geschehen? Am 25. November war in Berlin eine Anzahl bedeutender Politiker und Arbeiterführer versammelt, um zu beraten, wie man dem Ansturm der sozial¬ demokratischen Volksfürsorge zu begegnen habe. Die sozialdemokratische Partei plant im Anschluß an ihre Gewerkschaften, das Volk mit einem System von Spar- und Darlehnskassen zu beschenken, eine Volksversicherung zu schaffen, die das Volk wirtschaftlich gut versorgt und doch zugleich von der Sozialdemokratie abhängiger macht. Sie wird damit weite Kreise kleiner Kaufleute und Gewerbe¬ treibender als Prämienzahler und Kreditnehmer an sich fesseln, sie wird damit ungefähr fünfundvierzigtausend Versicherungsbeamte, die zugleich Parteiagitatoren sind, unterhalten, sie wird einen Staat im Staate errichten, der um des Geistes willen, der darin herrscht, für die Zukunft des deutschen Volkes höchst unerfreulich und gefährlich sein wird. Will man das verhüten, so muß man von bürger¬ licher Seite dem Volke das Gleiche, nein, nicht das Gleiche, sondern mehr und Besseres bieten, als jene bieten können. Der Mann, der jene Versammlung angeregt hat, ist der bekannte General¬ landschaftsdirektor Kapp. Er benutzte diesen politischen Moment, um der weiten Öffentlichkeit seine Ideen vorzutragen. Denn es ist wahr, was er in seinem Referat nur andeutete, daß das Werkzeug und Rüstzeug seiner Pläne schon seit vielen Jahren bereit liegt, „lange bevor die Sozialdemokratie mit ihrer Volks- sürsorge auf den Plan trat". Es handelt sich um eine längst erwogene, genau vorbereitete Sozial¬ versicherung im deutschen Geiste, die öffentlich-rechtliche Lebensversicherung. Also doch wiederum eine Versicherung? Ja, aber im folgenden werden wir ihre Vorzüge den Fehlern jener anderen Sozialversicherung gegenüberstellen. Erstens, es handelt sich um Lebensversicherung. Diese ist immer ein klares und reelles, bis auf den Pfennig ausgerechnetes Geschäft, bei welchem dem Versicherten sein Recht werden muß, während in den Geschäften jener anderen Versicherungen die Austeilung des Rechtes immer ein Werk bureaukratischer Willkür ist. Zweitens, es ist keine Zwangsversicherung, sondern jeder bleibt der wirt¬ schaftliche Herr seiner Existenz. Drittens, es sind keine Wohltaten, kein Arbeitgeberbeitrag, kein Almosen und Geschenk dabei, sondern was einer davon hat, verdankt er der eigenen Kraft. Auf jener Tagung ging der Streit hauptsächlich um den Träger der Ver¬ sicherung, nämlich ob es öffentlich-rechtliche Einrichtungen sein sollen oder ob das privatwirtschaftliche Kapital mit solcher Volksversicherung betraut werden könne. Bei aller Achtung vor den Leistungen des privaten Kapitals in der Lebensversicherung überhaupt, wurde doch mit Recht betont, daß die Volks¬ versicherung, die Versicherung des kleinen Mannes, nicht eine Aufgabe des privatwirtschaftlichen Erwerbsgeistes sein kann. Denn die privaten Gesell-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/321>, abgerufen am 22.07.2024.