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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Träger des Volks-Schillerpreises

dunkle, bange Eingangsszene, später die mächtig packenden Situationen, wenn
Blaubart unter dem irren Drang in der Brust an der Hochzeitstafel aufschreit,
wenn er sich wie ein Tier aus der Wasserlache kühlt. Und endlich das Kern¬
stück Eulenbergs, der "Ulrich von Waldeck". "Leidenschaft" ist lieblicher, duftiger.
Der Held hier aber muß Eulenberg selbst sein: der Mensch mit der großen
heimlichen Weichheit, mit dem starken Gefühl für Recht und Natürlichkeit, der
sich wie ein Unsinniger an der unnatürlichen Menschenwelt aufreibt, wenn ihn
nicht Liebe beschirmt. Unter allen bisherigen Werken des Dichters wird dieses
von Poesie schwere, wunderliche und wunderbare den Typus Eulenberg am
sichersten festhalten. Zu solcher dauernden Wirkung wird dem Stück vor allem
auch sein großer Reichtum verhelfen; wer könnte Szenen je vergessen wie das
Ausklingen der fürstlichen Tauffeier im ersten Akt, die Todesstunde der jungen
vergifteten Fürstin im zweiten, das Zusammentreffen des zum Tier gewordenen
einstigen Fürsten von Waldeck mit dem früheren Freund ant Waldrand im
im dritten, die furchtbare rächende Rückkehr Ulrichs in sein Schloß im
vierten Akt.

Nur ein wenig, in einer Nebenfigur, zeigt sich im "Ulrich" die Neigung
zu spaßendem Zwischenspiel. Vielleicht hat der theatralische Mißerfolg der
letztgenannten zwei Dramen Eulenberg veranlaßt, von jetzt an sich ein be¬
sonderes Gebiet absichtlich zu suchen. Von jetzt ab läßt er das groteske Element
seine Stücke mehr und mehr beherrschen. Und es entstand daraus zunächst ein
gutes Werk: "Der natürliche Vater"- Mag eine Art grotesker Witzelei immer¬
hin etwas breiten Raum einnehmen, diese Komödie ist doch in der Hauptsache
voll einheitlichen Geistes, und sie hat wieder eine Reihe unvergeßlicher Situa¬
tionen: so, wenn der wildironische Vater und der idealistische junge Sohn mit
dem Homer in der Tasche am schönen Sommerabend vor dem Wirtshaus am
kleinen Tisch zusammensitzen, ohne sich zu kennen. Leider hatte auch dieses
schöne Stück auf der Bühne Mißerfolg. So kommt mir denn das nächste
Drama Eulenbergs. "Simson", wie ein krampfhafter Versuch, modern theatralisch
sein zu wollen, vor. Die Tragödie ist nicht ohne Stimmung. Aber auf einmal
haben wir nicht mehr reine Naturstimmung, sondern kunstmäßig heraus¬
gearbeitetes Milieu. Der Eulenbergische Kraftheld ist noch da, aber nirgends
steht der Dichter in der Art der Ausarbeitung dem modernen Artistentum so
nahe wie hier. Das Stück wirkt wohl noch, wie ein düsteres, schwüles Traum¬
bild, aber es huscht vorüber. Es ist nichts nachhaltig Ursprüngliches darin,
ja es kommt einem bei näherem Zusehen wie gedrechselt und zusammengewebt
vor. Daß mir die manirierte Willkür in Eulenbergs nächster Komödie "Alles
um Liebe" völlig verfehlt scheint, sagte ich schon.

"Alles um Geld" verdient dann wieder volle Anerkennung. Die eigent¬
liche Kraft Eulenbergs zeigt sich wieder, Szenen wie: das Brautpaar in der
leeren Stube vor dem leeren Tisch, gehören zu seinen besten. Diese Tragi¬
komödie ist in ihrer Art ein geschlossenes, gelungenes Werk, wenn wir uns auch


Der neue Träger des Volks-Schillerpreises

dunkle, bange Eingangsszene, später die mächtig packenden Situationen, wenn
Blaubart unter dem irren Drang in der Brust an der Hochzeitstafel aufschreit,
wenn er sich wie ein Tier aus der Wasserlache kühlt. Und endlich das Kern¬
stück Eulenbergs, der „Ulrich von Waldeck". „Leidenschaft" ist lieblicher, duftiger.
Der Held hier aber muß Eulenberg selbst sein: der Mensch mit der großen
heimlichen Weichheit, mit dem starken Gefühl für Recht und Natürlichkeit, der
sich wie ein Unsinniger an der unnatürlichen Menschenwelt aufreibt, wenn ihn
nicht Liebe beschirmt. Unter allen bisherigen Werken des Dichters wird dieses
von Poesie schwere, wunderliche und wunderbare den Typus Eulenberg am
sichersten festhalten. Zu solcher dauernden Wirkung wird dem Stück vor allem
auch sein großer Reichtum verhelfen; wer könnte Szenen je vergessen wie das
Ausklingen der fürstlichen Tauffeier im ersten Akt, die Todesstunde der jungen
vergifteten Fürstin im zweiten, das Zusammentreffen des zum Tier gewordenen
einstigen Fürsten von Waldeck mit dem früheren Freund ant Waldrand im
im dritten, die furchtbare rächende Rückkehr Ulrichs in sein Schloß im
vierten Akt.

Nur ein wenig, in einer Nebenfigur, zeigt sich im „Ulrich" die Neigung
zu spaßendem Zwischenspiel. Vielleicht hat der theatralische Mißerfolg der
letztgenannten zwei Dramen Eulenberg veranlaßt, von jetzt an sich ein be¬
sonderes Gebiet absichtlich zu suchen. Von jetzt ab läßt er das groteske Element
seine Stücke mehr und mehr beherrschen. Und es entstand daraus zunächst ein
gutes Werk: „Der natürliche Vater"- Mag eine Art grotesker Witzelei immer¬
hin etwas breiten Raum einnehmen, diese Komödie ist doch in der Hauptsache
voll einheitlichen Geistes, und sie hat wieder eine Reihe unvergeßlicher Situa¬
tionen: so, wenn der wildironische Vater und der idealistische junge Sohn mit
dem Homer in der Tasche am schönen Sommerabend vor dem Wirtshaus am
kleinen Tisch zusammensitzen, ohne sich zu kennen. Leider hatte auch dieses
schöne Stück auf der Bühne Mißerfolg. So kommt mir denn das nächste
Drama Eulenbergs. „Simson", wie ein krampfhafter Versuch, modern theatralisch
sein zu wollen, vor. Die Tragödie ist nicht ohne Stimmung. Aber auf einmal
haben wir nicht mehr reine Naturstimmung, sondern kunstmäßig heraus¬
gearbeitetes Milieu. Der Eulenbergische Kraftheld ist noch da, aber nirgends
steht der Dichter in der Art der Ausarbeitung dem modernen Artistentum so
nahe wie hier. Das Stück wirkt wohl noch, wie ein düsteres, schwüles Traum¬
bild, aber es huscht vorüber. Es ist nichts nachhaltig Ursprüngliches darin,
ja es kommt einem bei näherem Zusehen wie gedrechselt und zusammengewebt
vor. Daß mir die manirierte Willkür in Eulenbergs nächster Komödie „Alles
um Liebe" völlig verfehlt scheint, sagte ich schon.

„Alles um Geld" verdient dann wieder volle Anerkennung. Die eigent¬
liche Kraft Eulenbergs zeigt sich wieder, Szenen wie: das Brautpaar in der
leeren Stube vor dem leeren Tisch, gehören zu seinen besten. Diese Tragi¬
komödie ist in ihrer Art ein geschlossenes, gelungenes Werk, wenn wir uns auch


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[0294] Der neue Träger des Volks-Schillerpreises dunkle, bange Eingangsszene, später die mächtig packenden Situationen, wenn Blaubart unter dem irren Drang in der Brust an der Hochzeitstafel aufschreit, wenn er sich wie ein Tier aus der Wasserlache kühlt. Und endlich das Kern¬ stück Eulenbergs, der „Ulrich von Waldeck". „Leidenschaft" ist lieblicher, duftiger. Der Held hier aber muß Eulenberg selbst sein: der Mensch mit der großen heimlichen Weichheit, mit dem starken Gefühl für Recht und Natürlichkeit, der sich wie ein Unsinniger an der unnatürlichen Menschenwelt aufreibt, wenn ihn nicht Liebe beschirmt. Unter allen bisherigen Werken des Dichters wird dieses von Poesie schwere, wunderliche und wunderbare den Typus Eulenberg am sichersten festhalten. Zu solcher dauernden Wirkung wird dem Stück vor allem auch sein großer Reichtum verhelfen; wer könnte Szenen je vergessen wie das Ausklingen der fürstlichen Tauffeier im ersten Akt, die Todesstunde der jungen vergifteten Fürstin im zweiten, das Zusammentreffen des zum Tier gewordenen einstigen Fürsten von Waldeck mit dem früheren Freund ant Waldrand im im dritten, die furchtbare rächende Rückkehr Ulrichs in sein Schloß im vierten Akt. Nur ein wenig, in einer Nebenfigur, zeigt sich im „Ulrich" die Neigung zu spaßendem Zwischenspiel. Vielleicht hat der theatralische Mißerfolg der letztgenannten zwei Dramen Eulenberg veranlaßt, von jetzt an sich ein be¬ sonderes Gebiet absichtlich zu suchen. Von jetzt ab läßt er das groteske Element seine Stücke mehr und mehr beherrschen. Und es entstand daraus zunächst ein gutes Werk: „Der natürliche Vater"- Mag eine Art grotesker Witzelei immer¬ hin etwas breiten Raum einnehmen, diese Komödie ist doch in der Hauptsache voll einheitlichen Geistes, und sie hat wieder eine Reihe unvergeßlicher Situa¬ tionen: so, wenn der wildironische Vater und der idealistische junge Sohn mit dem Homer in der Tasche am schönen Sommerabend vor dem Wirtshaus am kleinen Tisch zusammensitzen, ohne sich zu kennen. Leider hatte auch dieses schöne Stück auf der Bühne Mißerfolg. So kommt mir denn das nächste Drama Eulenbergs. „Simson", wie ein krampfhafter Versuch, modern theatralisch sein zu wollen, vor. Die Tragödie ist nicht ohne Stimmung. Aber auf einmal haben wir nicht mehr reine Naturstimmung, sondern kunstmäßig heraus¬ gearbeitetes Milieu. Der Eulenbergische Kraftheld ist noch da, aber nirgends steht der Dichter in der Art der Ausarbeitung dem modernen Artistentum so nahe wie hier. Das Stück wirkt wohl noch, wie ein düsteres, schwüles Traum¬ bild, aber es huscht vorüber. Es ist nichts nachhaltig Ursprüngliches darin, ja es kommt einem bei näherem Zusehen wie gedrechselt und zusammengewebt vor. Daß mir die manirierte Willkür in Eulenbergs nächster Komödie „Alles um Liebe" völlig verfehlt scheint, sagte ich schon. „Alles um Geld" verdient dann wieder volle Anerkennung. Die eigent¬ liche Kraft Eulenbergs zeigt sich wieder, Szenen wie: das Brautpaar in der leeren Stube vor dem leeren Tisch, gehören zu seinen besten. Diese Tragi¬ komödie ist in ihrer Art ein geschlossenes, gelungenes Werk, wenn wir uns auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/294>, abgerufen am 22.12.2024.