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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Berufsvormundschaft als Wrganifationsform des Rindcrschutzes

Wie nahe liegt da der Einwand: kann denn der eine Direktor der öffent¬
lichen Jugendfürsorge so viel Tausende von Mündeln bevormunden? Da muß
ja jede persönliche Beziehung und Beeinflussung verschwinden? Wer diese Frage
stellt, der beweist damit, daß er das Wesen der Berufsvormundschaft noch gar
nicht erkannt hat. Das ist etwa so, als wenn man gegen unsere städtischen
Schulen mit ihren vielen Hunderten von Kindern einwenden wollte: ja, wie
kann dieser eine Direktor so viel Kinder unterrichten? Wo bleibt da das per¬
sönliche Moment des Unterrichts? Niemand von uns darf einen solchen Ein¬
wand gegen unser Schulwesen erheben, weil jeder weiß, daß diese Schulen
Organisationen sind mit vielen Hilfsmitteln und Hilfskräften mit einer aus¬
gedehnten Arbeitsteilung und mit besonderen Methoden des Unterrichts, die
ihnen sehr wohl ermöglichen, heute eine Aufgabe zu leisten, die man vor hundert
Jahren überhaupt nicht zu leisten vermochte. Nicht der eine Direktor der
Jugendfürsorge bevormundet jene Kinder, sondern seine Behörde in Ver¬
bindung mit einem Dutzend von Anstalten, mit einer Fülle geschulter Beamter
und Hunderten von freiwilligen Mitarbeitern leitet die Erziehung dieser Kinder,
deren unmittelbare Erziehung dann in den Händen von Tausenden von
Pflegeeltern und Anstalten liegt. Im Grunde genommen kann nur eine der¬
artige Organisation die Erziehungsleitung übernehmen.

Denken wir zunächst nur an das Gebiet der Rechtsfragen, z. B. an die
Rechtsvertretung unehelicher Kinder. Daß sie besser von einer geschulten Ein¬
richtung geführt wird als von den vielen Einzelvormündern, denen diese Dinge
vielfach unbekannt und meist recht lästig sind, darüber brauchen wir heutzutage
kein Wort mehr zu verlieren. Ein Beispiel sei erwähnt. Früher konnte man
gegen uneheliche Väter, die nach Ungarn gingen, mochten sie Ungarn oder
anderer Nationalität sein, weder vom Deutschen Reich noch von Österreich aus
viel ausrichten. Jetzt wird jeder, der mit diesen Dingen zu tun hat, bestätigen,
daß kaum ein Ding leichter und rascher zu erledigen ist, als eine Nechtsverfolgung
eines unehelichen Vaters in Ungarn. Das liegt daran, daß in Ungarn seit
einiger Zeit Berufsvormundschaften bestehen, und daß diese wiederum in aus¬
ländischen Rechtsfragen mit einer Zentralstelle in Budapest arbeiten, wodurch
alle diese Dinge aufs beste besorgt werden. Ganz ähnlich liegt es bei der
Ausbildung und Leitung der Erziehung, der eigentlichen Aufgabe des Vormunds.
Braucht man heute noch darauf hinzuweisen, daß die Pflege und Erziehung des
Säuglings der ärztlichen und beruflichen Aufsicht bedarf, daß sie nur in den
Händen einer Organisation gut aufgehoben sein kann, die beides, Arzt und
geschulte Kräfte, besoldete und freiwillige Pflegerinnen, zur Verfügung hat?
Oder um ein anderes modernes Gebiet der Erziehungsleitung zu erwähnen: die
Berufswahl und Berufsausbildung. Eine Berufsvormundschaft mit Tausenden
von Mündeln besitzt natürlich eigene Beamte, die sich speziell der Aufgabe
widmen, für die aus der Schule kommenden Kinder rechtzeitig geeignete Berufe
zu wählen und passende Lehrstellen auszusuchen. Schaffen schon Gemeinden


Die Berufsvormundschaft als Wrganifationsform des Rindcrschutzes

Wie nahe liegt da der Einwand: kann denn der eine Direktor der öffent¬
lichen Jugendfürsorge so viel Tausende von Mündeln bevormunden? Da muß
ja jede persönliche Beziehung und Beeinflussung verschwinden? Wer diese Frage
stellt, der beweist damit, daß er das Wesen der Berufsvormundschaft noch gar
nicht erkannt hat. Das ist etwa so, als wenn man gegen unsere städtischen
Schulen mit ihren vielen Hunderten von Kindern einwenden wollte: ja, wie
kann dieser eine Direktor so viel Kinder unterrichten? Wo bleibt da das per¬
sönliche Moment des Unterrichts? Niemand von uns darf einen solchen Ein¬
wand gegen unser Schulwesen erheben, weil jeder weiß, daß diese Schulen
Organisationen sind mit vielen Hilfsmitteln und Hilfskräften mit einer aus¬
gedehnten Arbeitsteilung und mit besonderen Methoden des Unterrichts, die
ihnen sehr wohl ermöglichen, heute eine Aufgabe zu leisten, die man vor hundert
Jahren überhaupt nicht zu leisten vermochte. Nicht der eine Direktor der
Jugendfürsorge bevormundet jene Kinder, sondern seine Behörde in Ver¬
bindung mit einem Dutzend von Anstalten, mit einer Fülle geschulter Beamter
und Hunderten von freiwilligen Mitarbeitern leitet die Erziehung dieser Kinder,
deren unmittelbare Erziehung dann in den Händen von Tausenden von
Pflegeeltern und Anstalten liegt. Im Grunde genommen kann nur eine der¬
artige Organisation die Erziehungsleitung übernehmen.

Denken wir zunächst nur an das Gebiet der Rechtsfragen, z. B. an die
Rechtsvertretung unehelicher Kinder. Daß sie besser von einer geschulten Ein¬
richtung geführt wird als von den vielen Einzelvormündern, denen diese Dinge
vielfach unbekannt und meist recht lästig sind, darüber brauchen wir heutzutage
kein Wort mehr zu verlieren. Ein Beispiel sei erwähnt. Früher konnte man
gegen uneheliche Väter, die nach Ungarn gingen, mochten sie Ungarn oder
anderer Nationalität sein, weder vom Deutschen Reich noch von Österreich aus
viel ausrichten. Jetzt wird jeder, der mit diesen Dingen zu tun hat, bestätigen,
daß kaum ein Ding leichter und rascher zu erledigen ist, als eine Nechtsverfolgung
eines unehelichen Vaters in Ungarn. Das liegt daran, daß in Ungarn seit
einiger Zeit Berufsvormundschaften bestehen, und daß diese wiederum in aus¬
ländischen Rechtsfragen mit einer Zentralstelle in Budapest arbeiten, wodurch
alle diese Dinge aufs beste besorgt werden. Ganz ähnlich liegt es bei der
Ausbildung und Leitung der Erziehung, der eigentlichen Aufgabe des Vormunds.
Braucht man heute noch darauf hinzuweisen, daß die Pflege und Erziehung des
Säuglings der ärztlichen und beruflichen Aufsicht bedarf, daß sie nur in den
Händen einer Organisation gut aufgehoben sein kann, die beides, Arzt und
geschulte Kräfte, besoldete und freiwillige Pflegerinnen, zur Verfügung hat?
Oder um ein anderes modernes Gebiet der Erziehungsleitung zu erwähnen: die
Berufswahl und Berufsausbildung. Eine Berufsvormundschaft mit Tausenden
von Mündeln besitzt natürlich eigene Beamte, die sich speziell der Aufgabe
widmen, für die aus der Schule kommenden Kinder rechtzeitig geeignete Berufe
zu wählen und passende Lehrstellen auszusuchen. Schaffen schon Gemeinden


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[0276] Die Berufsvormundschaft als Wrganifationsform des Rindcrschutzes Wie nahe liegt da der Einwand: kann denn der eine Direktor der öffent¬ lichen Jugendfürsorge so viel Tausende von Mündeln bevormunden? Da muß ja jede persönliche Beziehung und Beeinflussung verschwinden? Wer diese Frage stellt, der beweist damit, daß er das Wesen der Berufsvormundschaft noch gar nicht erkannt hat. Das ist etwa so, als wenn man gegen unsere städtischen Schulen mit ihren vielen Hunderten von Kindern einwenden wollte: ja, wie kann dieser eine Direktor so viel Kinder unterrichten? Wo bleibt da das per¬ sönliche Moment des Unterrichts? Niemand von uns darf einen solchen Ein¬ wand gegen unser Schulwesen erheben, weil jeder weiß, daß diese Schulen Organisationen sind mit vielen Hilfsmitteln und Hilfskräften mit einer aus¬ gedehnten Arbeitsteilung und mit besonderen Methoden des Unterrichts, die ihnen sehr wohl ermöglichen, heute eine Aufgabe zu leisten, die man vor hundert Jahren überhaupt nicht zu leisten vermochte. Nicht der eine Direktor der Jugendfürsorge bevormundet jene Kinder, sondern seine Behörde in Ver¬ bindung mit einem Dutzend von Anstalten, mit einer Fülle geschulter Beamter und Hunderten von freiwilligen Mitarbeitern leitet die Erziehung dieser Kinder, deren unmittelbare Erziehung dann in den Händen von Tausenden von Pflegeeltern und Anstalten liegt. Im Grunde genommen kann nur eine der¬ artige Organisation die Erziehungsleitung übernehmen. Denken wir zunächst nur an das Gebiet der Rechtsfragen, z. B. an die Rechtsvertretung unehelicher Kinder. Daß sie besser von einer geschulten Ein¬ richtung geführt wird als von den vielen Einzelvormündern, denen diese Dinge vielfach unbekannt und meist recht lästig sind, darüber brauchen wir heutzutage kein Wort mehr zu verlieren. Ein Beispiel sei erwähnt. Früher konnte man gegen uneheliche Väter, die nach Ungarn gingen, mochten sie Ungarn oder anderer Nationalität sein, weder vom Deutschen Reich noch von Österreich aus viel ausrichten. Jetzt wird jeder, der mit diesen Dingen zu tun hat, bestätigen, daß kaum ein Ding leichter und rascher zu erledigen ist, als eine Nechtsverfolgung eines unehelichen Vaters in Ungarn. Das liegt daran, daß in Ungarn seit einiger Zeit Berufsvormundschaften bestehen, und daß diese wiederum in aus¬ ländischen Rechtsfragen mit einer Zentralstelle in Budapest arbeiten, wodurch alle diese Dinge aufs beste besorgt werden. Ganz ähnlich liegt es bei der Ausbildung und Leitung der Erziehung, der eigentlichen Aufgabe des Vormunds. Braucht man heute noch darauf hinzuweisen, daß die Pflege und Erziehung des Säuglings der ärztlichen und beruflichen Aufsicht bedarf, daß sie nur in den Händen einer Organisation gut aufgehoben sein kann, die beides, Arzt und geschulte Kräfte, besoldete und freiwillige Pflegerinnen, zur Verfügung hat? Oder um ein anderes modernes Gebiet der Erziehungsleitung zu erwähnen: die Berufswahl und Berufsausbildung. Eine Berufsvormundschaft mit Tausenden von Mündeln besitzt natürlich eigene Beamte, die sich speziell der Aufgabe widmen, für die aus der Schule kommenden Kinder rechtzeitig geeignete Berufe zu wählen und passende Lehrstellen auszusuchen. Schaffen schon Gemeinden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/276>, abgerufen am 22.12.2024.