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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Verstaatlichung des Grund und Bodens

12. Dezember 1912 wegen Einführung eines Vorkaufsrechts bei Zwangsvoll¬
streckungen.

Meinen Vorschlag möchte ich näher dahin bestimmen: Reich, Staaten und
Gemeinden erhalten ein Vorkaufsrecht für alle Grundstücke, die die Erben eines
Verstorbenen an eine dritte Person verkaufen. Innerhalb dieser Grenzen handelt
es sich mithin um alle Erbfälle ohne Ausnahme, auch um Anfälle an Kinder.
Damit tritt man den Erben nicht zu nahe. Ob sie zum Verkauf schreiten, steht
in ihrem Belieben. Haben sie es getan, ist also ein Kaufvertrag rechtsgültig
geschlossen, so gibt der Richter oder Notar, der den Vertrag aufgenommen hat.
der Gemeinde sofort eine Abschrift. Die Gemeinde benachrichtigt sofort die
zuständige Staats- und Reichsbehörde. Innerhalb eines Monats kann dann
das Vorkaufsrecht dahin ausgeübt werden, daß der Berechtigte dem Gericht oder
Notar erklärt, er trete in den Vertrag ein. Geschieht dies, so gehen damit die
Rechte und Pflichten des ursprünglichen Erwerbers auf ihn über. Das gereicht
den Erben nicht zum Nachteil. Denn der neue Käufer kann als sicher gelten, --
wenn er auch so tief verschuldet ist, wie das Reich. Der frühere Käufer
scheidet aus; in solche Lage kommt er auch nach geltendem Recht, wenn etwa
ein Minderjähriger bei dem Abschluß beteiligt ist und das Gericht die erforder¬
liche Genehmigung versagt. Bei den hier in Rede stehenden Veräußerungen
tritt somit für einige Wochen ein Schwebezustand ein; erst nach Ablauf der
Frist steht es fest, ob der Vertrag unbedingte Geltung erlangt hat. Das
schadet aber nichts. Denn es entspricht weder der Natur der Sache, noch den
Bedürfnissen der Volkswirtschaft, daß unbewegliches Vermögen einen Gegenstand
des Handels bildet, und wie ein Wertpapier, eine Aktie, von einer Hand
in die andere geht. Jeder dabei erzielte Gewinn muß schließlich von anderen
bezahlt werden; er erhöht die Preise der Wohnungen und Geschäftsräume und
damit auch die Preise für andere Lebensbedürfnisse. -- Sollten mehrere der
drei Verbände das Vorkaufsrecht geltend machen, so wird man dem Reiche vor
dem Bundesstaat, diesem wiederum vor der Gemeinde den Vorrang einräumen
müssen. -- Eine Übertragung von Grundeigentum ohne Vertrag müßte aus¬
geschlossen werden, wie sie ohnehin nach verschiedenen Richtungen bedenklich
erscheint.

So kann die Gesamtheit auf ordnungsmäßigen Wege nach Recht und
Billigkeit den Grund und Boden allmählich wieder gewinnen, den sie im Laufe
geschichtlicher Entwicklung verloren hat. Sie entrichtet dafür den Preis, der
ihr zusagt; denn sie ist so wenig gezwungen, zu kaufen, wie der Erbe gezwungen
ist, zu verkaufen. Da aber alles unbewegliche Gut der Vererbung unterliegt,
soweit es sich nicht um gebundenen Besitz handelt, so ist es möglich, daß in
absehbarer Zeit auf dem angegebenen Wege ein großer Teil des gesamten
Grundbesitzes dem Handel entzogen und den dauernden Interessen des Volkes
dienstbar gemacht wird. Inwieweit sich die Möglichkeit verwirklicht, hängt in
erster Linie von den dazu verfügbaren Mitteln ab, die man indessen angesichts


Verstaatlichung des Grund und Bodens

12. Dezember 1912 wegen Einführung eines Vorkaufsrechts bei Zwangsvoll¬
streckungen.

Meinen Vorschlag möchte ich näher dahin bestimmen: Reich, Staaten und
Gemeinden erhalten ein Vorkaufsrecht für alle Grundstücke, die die Erben eines
Verstorbenen an eine dritte Person verkaufen. Innerhalb dieser Grenzen handelt
es sich mithin um alle Erbfälle ohne Ausnahme, auch um Anfälle an Kinder.
Damit tritt man den Erben nicht zu nahe. Ob sie zum Verkauf schreiten, steht
in ihrem Belieben. Haben sie es getan, ist also ein Kaufvertrag rechtsgültig
geschlossen, so gibt der Richter oder Notar, der den Vertrag aufgenommen hat.
der Gemeinde sofort eine Abschrift. Die Gemeinde benachrichtigt sofort die
zuständige Staats- und Reichsbehörde. Innerhalb eines Monats kann dann
das Vorkaufsrecht dahin ausgeübt werden, daß der Berechtigte dem Gericht oder
Notar erklärt, er trete in den Vertrag ein. Geschieht dies, so gehen damit die
Rechte und Pflichten des ursprünglichen Erwerbers auf ihn über. Das gereicht
den Erben nicht zum Nachteil. Denn der neue Käufer kann als sicher gelten, —
wenn er auch so tief verschuldet ist, wie das Reich. Der frühere Käufer
scheidet aus; in solche Lage kommt er auch nach geltendem Recht, wenn etwa
ein Minderjähriger bei dem Abschluß beteiligt ist und das Gericht die erforder¬
liche Genehmigung versagt. Bei den hier in Rede stehenden Veräußerungen
tritt somit für einige Wochen ein Schwebezustand ein; erst nach Ablauf der
Frist steht es fest, ob der Vertrag unbedingte Geltung erlangt hat. Das
schadet aber nichts. Denn es entspricht weder der Natur der Sache, noch den
Bedürfnissen der Volkswirtschaft, daß unbewegliches Vermögen einen Gegenstand
des Handels bildet, und wie ein Wertpapier, eine Aktie, von einer Hand
in die andere geht. Jeder dabei erzielte Gewinn muß schließlich von anderen
bezahlt werden; er erhöht die Preise der Wohnungen und Geschäftsräume und
damit auch die Preise für andere Lebensbedürfnisse. — Sollten mehrere der
drei Verbände das Vorkaufsrecht geltend machen, so wird man dem Reiche vor
dem Bundesstaat, diesem wiederum vor der Gemeinde den Vorrang einräumen
müssen. — Eine Übertragung von Grundeigentum ohne Vertrag müßte aus¬
geschlossen werden, wie sie ohnehin nach verschiedenen Richtungen bedenklich
erscheint.

So kann die Gesamtheit auf ordnungsmäßigen Wege nach Recht und
Billigkeit den Grund und Boden allmählich wieder gewinnen, den sie im Laufe
geschichtlicher Entwicklung verloren hat. Sie entrichtet dafür den Preis, der
ihr zusagt; denn sie ist so wenig gezwungen, zu kaufen, wie der Erbe gezwungen
ist, zu verkaufen. Da aber alles unbewegliche Gut der Vererbung unterliegt,
soweit es sich nicht um gebundenen Besitz handelt, so ist es möglich, daß in
absehbarer Zeit auf dem angegebenen Wege ein großer Teil des gesamten
Grundbesitzes dem Handel entzogen und den dauernden Interessen des Volkes
dienstbar gemacht wird. Inwieweit sich die Möglichkeit verwirklicht, hängt in
erster Linie von den dazu verfügbaren Mitteln ab, die man indessen angesichts


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[0262] Verstaatlichung des Grund und Bodens 12. Dezember 1912 wegen Einführung eines Vorkaufsrechts bei Zwangsvoll¬ streckungen. Meinen Vorschlag möchte ich näher dahin bestimmen: Reich, Staaten und Gemeinden erhalten ein Vorkaufsrecht für alle Grundstücke, die die Erben eines Verstorbenen an eine dritte Person verkaufen. Innerhalb dieser Grenzen handelt es sich mithin um alle Erbfälle ohne Ausnahme, auch um Anfälle an Kinder. Damit tritt man den Erben nicht zu nahe. Ob sie zum Verkauf schreiten, steht in ihrem Belieben. Haben sie es getan, ist also ein Kaufvertrag rechtsgültig geschlossen, so gibt der Richter oder Notar, der den Vertrag aufgenommen hat. der Gemeinde sofort eine Abschrift. Die Gemeinde benachrichtigt sofort die zuständige Staats- und Reichsbehörde. Innerhalb eines Monats kann dann das Vorkaufsrecht dahin ausgeübt werden, daß der Berechtigte dem Gericht oder Notar erklärt, er trete in den Vertrag ein. Geschieht dies, so gehen damit die Rechte und Pflichten des ursprünglichen Erwerbers auf ihn über. Das gereicht den Erben nicht zum Nachteil. Denn der neue Käufer kann als sicher gelten, — wenn er auch so tief verschuldet ist, wie das Reich. Der frühere Käufer scheidet aus; in solche Lage kommt er auch nach geltendem Recht, wenn etwa ein Minderjähriger bei dem Abschluß beteiligt ist und das Gericht die erforder¬ liche Genehmigung versagt. Bei den hier in Rede stehenden Veräußerungen tritt somit für einige Wochen ein Schwebezustand ein; erst nach Ablauf der Frist steht es fest, ob der Vertrag unbedingte Geltung erlangt hat. Das schadet aber nichts. Denn es entspricht weder der Natur der Sache, noch den Bedürfnissen der Volkswirtschaft, daß unbewegliches Vermögen einen Gegenstand des Handels bildet, und wie ein Wertpapier, eine Aktie, von einer Hand in die andere geht. Jeder dabei erzielte Gewinn muß schließlich von anderen bezahlt werden; er erhöht die Preise der Wohnungen und Geschäftsräume und damit auch die Preise für andere Lebensbedürfnisse. — Sollten mehrere der drei Verbände das Vorkaufsrecht geltend machen, so wird man dem Reiche vor dem Bundesstaat, diesem wiederum vor der Gemeinde den Vorrang einräumen müssen. — Eine Übertragung von Grundeigentum ohne Vertrag müßte aus¬ geschlossen werden, wie sie ohnehin nach verschiedenen Richtungen bedenklich erscheint. So kann die Gesamtheit auf ordnungsmäßigen Wege nach Recht und Billigkeit den Grund und Boden allmählich wieder gewinnen, den sie im Laufe geschichtlicher Entwicklung verloren hat. Sie entrichtet dafür den Preis, der ihr zusagt; denn sie ist so wenig gezwungen, zu kaufen, wie der Erbe gezwungen ist, zu verkaufen. Da aber alles unbewegliche Gut der Vererbung unterliegt, soweit es sich nicht um gebundenen Besitz handelt, so ist es möglich, daß in absehbarer Zeit auf dem angegebenen Wege ein großer Teil des gesamten Grundbesitzes dem Handel entzogen und den dauernden Interessen des Volkes dienstbar gemacht wird. Inwieweit sich die Möglichkeit verwirklicht, hängt in erster Linie von den dazu verfügbaren Mitteln ab, die man indessen angesichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/262>, abgerufen am 04.07.2024.