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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Dann sind sie wieder ganz munter geworden und haben einander ihre
ewig alten Schnurren erzählt oder ihren Skat gedroschen, bis der helle Morgen
hineingeschaut hat in die Fenster. Die übrigen Gäste, denen sie im Kartenspiel
immer alles Geld aus der Tasche gezogen haben, sind allgemach zaghaft und
scheu aus ihrer Nähe gewichen und haben das Lokal gemieden. Der Wirt
aber hat das nicht übel vermerkt, sondern gar schlau lächelnd versichert, die
drei allein ernährten ihn gut.

Bei so unholdem Lebenswandel des Rektors haben sich schließlich die
gesetzteren und soliden Hausväter zusammengetan, sich hinter die nüchternen und
besonneneren Magistratsmitglieder geklemmt und ihm wiederholt mit Amts¬
entsetzung gedroht, aber er hat sie alle verlacht.

Zuguterletzt hat ihm aber doch das Messer an der Kehle gestanden.

An einem Abend, oder richtiger gesagt, in einer Nacht im kalten Februar
ist es gewesen, da hat der Rektor urplötzlich mit einem seiner Duzbruder, dem
Viehhändler Runge, dem einzigen, der es an Trunkfestigkeit mit den drei Brüder:
hat aufnehmen können, eine Fahrt verabredet zum Vieheinkauf in die einige
Meilen entfernte größere Nachbarstadt.

In der Frühe des Morgens gehts los.

Sie jagen in den eisigen Tag hinein. Es mögen ihnen die Glieder steif
gefroren sein, und sie fühlen das Bedürfnis, sich gründlich wieder aufzutauen
mit einem kräftigen Grog.

Sie kommen am Abend nicht heim. Auch den nächsten Tag bleiben sie
fort und auch noch einen dritten.

Allerlei verworrene Kunde durchrinnt die Stadt. Einzelne gehen ein Stück
zum Tor hinaus und schauen, ob denn die beiden noch immer nicht heimkommen.

Endlich, als der vierte Tagesschein sich hebt, rollt gemächlich der blaue
Viehwagen dem Städtchen wieder zu. Doch man sieht nur einen einzigen Mann
auf dem Kutschersitz. Der Rektor fehlt.

Aber, was ist das? -- Runge hält nicht vor seinem Hause an gleich
links beim Tor. Der Wagen rattert weiter bis vor das Hotel. Dort hält er still.

Es ist kaum acht Uhr morgens, doch sammeln sich einige Neugierige.

"Nanu, Runge," fragt einer, "wo hast denn den Rektor gelassen?"

"Dem ist sein Schwerpunkt verrutscht." Spnchts mit Gelassenheit, steigt
tapfig vom Wagen, geht hinten an den Kälberverschlag und ruft: "He, Rektor!
Du! Aufwachen! Wir sind da!" -- Er muß dieselbe Beteuerung ein paarmal
kräftig wiederholen und den Schlummerschweren derb rütteln.

Schließlich sieht man zwischen Kälberchen und Ferkelchen, die ihn unter¬
wegs geduldig als einen der ihrigen unter sich gelitten haben, langsam die
Glatze des Rektors sich emporheben.

Er sieht einen Augenblick erstaunt um sich und begreift offenbar die Situation
mit erstaunlicher Schnelle.


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Briefe aus Trebeldorf

Dann sind sie wieder ganz munter geworden und haben einander ihre
ewig alten Schnurren erzählt oder ihren Skat gedroschen, bis der helle Morgen
hineingeschaut hat in die Fenster. Die übrigen Gäste, denen sie im Kartenspiel
immer alles Geld aus der Tasche gezogen haben, sind allgemach zaghaft und
scheu aus ihrer Nähe gewichen und haben das Lokal gemieden. Der Wirt
aber hat das nicht übel vermerkt, sondern gar schlau lächelnd versichert, die
drei allein ernährten ihn gut.

Bei so unholdem Lebenswandel des Rektors haben sich schließlich die
gesetzteren und soliden Hausväter zusammengetan, sich hinter die nüchternen und
besonneneren Magistratsmitglieder geklemmt und ihm wiederholt mit Amts¬
entsetzung gedroht, aber er hat sie alle verlacht.

Zuguterletzt hat ihm aber doch das Messer an der Kehle gestanden.

An einem Abend, oder richtiger gesagt, in einer Nacht im kalten Februar
ist es gewesen, da hat der Rektor urplötzlich mit einem seiner Duzbruder, dem
Viehhändler Runge, dem einzigen, der es an Trunkfestigkeit mit den drei Brüder:
hat aufnehmen können, eine Fahrt verabredet zum Vieheinkauf in die einige
Meilen entfernte größere Nachbarstadt.

In der Frühe des Morgens gehts los.

Sie jagen in den eisigen Tag hinein. Es mögen ihnen die Glieder steif
gefroren sein, und sie fühlen das Bedürfnis, sich gründlich wieder aufzutauen
mit einem kräftigen Grog.

Sie kommen am Abend nicht heim. Auch den nächsten Tag bleiben sie
fort und auch noch einen dritten.

Allerlei verworrene Kunde durchrinnt die Stadt. Einzelne gehen ein Stück
zum Tor hinaus und schauen, ob denn die beiden noch immer nicht heimkommen.

Endlich, als der vierte Tagesschein sich hebt, rollt gemächlich der blaue
Viehwagen dem Städtchen wieder zu. Doch man sieht nur einen einzigen Mann
auf dem Kutschersitz. Der Rektor fehlt.

Aber, was ist das? — Runge hält nicht vor seinem Hause an gleich
links beim Tor. Der Wagen rattert weiter bis vor das Hotel. Dort hält er still.

Es ist kaum acht Uhr morgens, doch sammeln sich einige Neugierige.

„Nanu, Runge," fragt einer, „wo hast denn den Rektor gelassen?"

„Dem ist sein Schwerpunkt verrutscht." Spnchts mit Gelassenheit, steigt
tapfig vom Wagen, geht hinten an den Kälberverschlag und ruft: „He, Rektor!
Du! Aufwachen! Wir sind da!" — Er muß dieselbe Beteuerung ein paarmal
kräftig wiederholen und den Schlummerschweren derb rütteln.

Schließlich sieht man zwischen Kälberchen und Ferkelchen, die ihn unter¬
wegs geduldig als einen der ihrigen unter sich gelitten haben, langsam die
Glatze des Rektors sich emporheben.

Er sieht einen Augenblick erstaunt um sich und begreift offenbar die Situation
mit erstaunlicher Schnelle.


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[0247] Briefe aus Trebeldorf Dann sind sie wieder ganz munter geworden und haben einander ihre ewig alten Schnurren erzählt oder ihren Skat gedroschen, bis der helle Morgen hineingeschaut hat in die Fenster. Die übrigen Gäste, denen sie im Kartenspiel immer alles Geld aus der Tasche gezogen haben, sind allgemach zaghaft und scheu aus ihrer Nähe gewichen und haben das Lokal gemieden. Der Wirt aber hat das nicht übel vermerkt, sondern gar schlau lächelnd versichert, die drei allein ernährten ihn gut. Bei so unholdem Lebenswandel des Rektors haben sich schließlich die gesetzteren und soliden Hausväter zusammengetan, sich hinter die nüchternen und besonneneren Magistratsmitglieder geklemmt und ihm wiederholt mit Amts¬ entsetzung gedroht, aber er hat sie alle verlacht. Zuguterletzt hat ihm aber doch das Messer an der Kehle gestanden. An einem Abend, oder richtiger gesagt, in einer Nacht im kalten Februar ist es gewesen, da hat der Rektor urplötzlich mit einem seiner Duzbruder, dem Viehhändler Runge, dem einzigen, der es an Trunkfestigkeit mit den drei Brüder: hat aufnehmen können, eine Fahrt verabredet zum Vieheinkauf in die einige Meilen entfernte größere Nachbarstadt. In der Frühe des Morgens gehts los. Sie jagen in den eisigen Tag hinein. Es mögen ihnen die Glieder steif gefroren sein, und sie fühlen das Bedürfnis, sich gründlich wieder aufzutauen mit einem kräftigen Grog. Sie kommen am Abend nicht heim. Auch den nächsten Tag bleiben sie fort und auch noch einen dritten. Allerlei verworrene Kunde durchrinnt die Stadt. Einzelne gehen ein Stück zum Tor hinaus und schauen, ob denn die beiden noch immer nicht heimkommen. Endlich, als der vierte Tagesschein sich hebt, rollt gemächlich der blaue Viehwagen dem Städtchen wieder zu. Doch man sieht nur einen einzigen Mann auf dem Kutschersitz. Der Rektor fehlt. Aber, was ist das? — Runge hält nicht vor seinem Hause an gleich links beim Tor. Der Wagen rattert weiter bis vor das Hotel. Dort hält er still. Es ist kaum acht Uhr morgens, doch sammeln sich einige Neugierige. „Nanu, Runge," fragt einer, „wo hast denn den Rektor gelassen?" „Dem ist sein Schwerpunkt verrutscht." Spnchts mit Gelassenheit, steigt tapfig vom Wagen, geht hinten an den Kälberverschlag und ruft: „He, Rektor! Du! Aufwachen! Wir sind da!" — Er muß dieselbe Beteuerung ein paarmal kräftig wiederholen und den Schlummerschweren derb rütteln. Schließlich sieht man zwischen Kälberchen und Ferkelchen, die ihn unter¬ wegs geduldig als einen der ihrigen unter sich gelitten haben, langsam die Glatze des Rektors sich emporheben. Er sieht einen Augenblick erstaunt um sich und begreift offenbar die Situation mit erstaunlicher Schnelle. 16«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/247>, abgerufen am 24.08.2024.