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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Entstellungen seiner Reformversuche und den
gehässigen Ton Trencks würde ich doch nicht
uls "unverschämte Lügen" bezeichnen. Trennt
hatte keinen Grund, sich schonend über Joseph
auszudrücken; und es ist doch Tatsache, daß
trotz Josephs geradezu revolutionären Reform¬
versuchen fast alles beim alten blieb, und daß
er im übrigen "eine Verwirrung und Gärung
hervorrief, deren Rachwirkungen weit über
seine Regierungszeit hinausreichten" (Hausier),
Wollte Trennt nun auch gar nicht Joseph
gerecht werden, so hat er mit seiner Beurtei¬
lung im allgemeinen doch nicht allzuweit
vorbeigetroffen, wenn man die Erfolge und
nicht die Absichten des Kaisers berücksichtigt.
Über dem geifernden Ton der letzten Ab¬
schnitte der Leidensgeschichte darf man doch
nicht vergessen, dgß dieses Mannes glänzende
Laufbahn durch ein Mißverständnis in grau¬
samstes Elend verkehrt wurde.

Die Trenckschen Memoiren -- fast als
einzige aus dem galanten Jahrhundert --
sind nicht erotisch. Die wenigen flüchtig er¬
zählten Liebesabenteuer berechtigen nicht zu
der Bemerkung^ "In der Tat wußte Trennt
ans seiner Palette alle Farben zu mischen,
nicht nur die düsteren seines Kerkerlebens,
sondern auch die heiteren der galanten Aven-
türen, , , ," Und es berührt Peinlich, daß
gerade diese nur halbwahrc Stelle aus der
Einleitung für die buchhändlerische Anzeige
der Neuausgabe benutzt ist. Muß man wirk¬
lich das deutsche Lesepublikum durch die Aus¬
sicht auf "saftige" Histörchen kapern?

Fritz Tychow
"Aus meiner Stille." Gedichte von Ernst
Ludwig Schcllenbcrg. Verlag Gustav Kiepen¬
heuer, Weimar, Preis geb. M. 2,60,

Ernst Ludwig Schellenberg hat früher
bereits die Gedichtbücher "Aus Leben und
Einsamkeit" und "Erlösung" veröffentlicht, die
ihm verständnisvolles Lob eingetragen haben.
Mit Recht, denn hier sprach ein ernster künst¬
lerischer Wille, der aus der starken Quelle
heimlichen Erlebens schöpfte. Ein lauter Er¬
folg ist diesen Büchern nicht beschieden ge¬
wesen, ja, man findet den Namen unseres
Poeten wunderbarerweise nicht einmal in lite¬

[Spaltenumbruch]

rarischen Anthologien. In seiner neuen
Sammlung "Aus meiner Stille" ist seine
Art noch schlichter, tiefer und reifer geworden.
Nur zuweilen klingt es wie Rilkesche Töne
durch, aber nie so stark, daß sie die eigene
Stimme des Dichters übertönten. Er ist hier
ganz ein Eigener geworden, Lieder voll zar¬
tester Innigkeit, wie das ergreifende "Jesus
vor des Jairus Töchtorlein" oder das Prächtig¬
deutsche "Wintersonctt" mit der herrlichen
Schlußzeile wechseln mit Strophen von glas¬
heller Schönheit:

Gegrüßet seist du, Holdselige, . .
... So sang der Engel, über sie geneigt,
Ins frühe Sonnengold des Sommertages,
Und in der Ruhe seiner Augen lag es
Wie Tröstung für ein Glück, das schmerzhaft
schweigt.
Das Mägdlein unter Blumen staunt empor
-- Ein sorglos .Kind, von Traum und Spiel
umfangen --,
Erwachend streicht sie von den schmalen
Wangen
Das lichte Haar und neigt verwirrt ihr Ohr
Und lauscht dein Lied. Noch kann sie nicht
begreifen,
Was sich an ihr, der Magdlichcn, erfüllt.
Sie läßt die Blicke fremd und hilflos schweifen
Und schreitet heim durch blühendes Gefild,
In ihres Muttersegens Glanz und Reifen
Wie in ein seidenes Gewand gehüllt.

Schellenberg ist nicht der Mann der großen
Gesten, ihm ist jedes Pathos fremd. Ein
Bild, schnell aufgegriffen, weiß er mit sicheren
Linien zu umgrenzen, daß es in der Fülle
des Lebens dasteht. Im Kleinsten das Ewige
zu erkennen, die feinen Lichter irdischen Ge¬
schehens im Brennspiegel des rechten Schauens
zu sammeln und sie als Weltbild zurück¬
zustrahlen, darin liegt seine Stärke und eigenste
Art. Seine Sprache ist edel, von gründlicher
Durchbildung, ein sicheres Ausdrucksmittel für
alles, was seine Sinne bewegt.

Das von Vogeler-Worpswede geschmückte
Buch empfiehlt sich auch durch eine bemerkens¬
wert würdige Ausstattung.

Martin Boclitz i [Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Entstellungen seiner Reformversuche und den
gehässigen Ton Trencks würde ich doch nicht
uls „unverschämte Lügen" bezeichnen. Trennt
hatte keinen Grund, sich schonend über Joseph
auszudrücken; und es ist doch Tatsache, daß
trotz Josephs geradezu revolutionären Reform¬
versuchen fast alles beim alten blieb, und daß
er im übrigen „eine Verwirrung und Gärung
hervorrief, deren Rachwirkungen weit über
seine Regierungszeit hinausreichten" (Hausier),
Wollte Trennt nun auch gar nicht Joseph
gerecht werden, so hat er mit seiner Beurtei¬
lung im allgemeinen doch nicht allzuweit
vorbeigetroffen, wenn man die Erfolge und
nicht die Absichten des Kaisers berücksichtigt.
Über dem geifernden Ton der letzten Ab¬
schnitte der Leidensgeschichte darf man doch
nicht vergessen, dgß dieses Mannes glänzende
Laufbahn durch ein Mißverständnis in grau¬
samstes Elend verkehrt wurde.

Die Trenckschen Memoiren — fast als
einzige aus dem galanten Jahrhundert —
sind nicht erotisch. Die wenigen flüchtig er¬
zählten Liebesabenteuer berechtigen nicht zu
der Bemerkung^ „In der Tat wußte Trennt
ans seiner Palette alle Farben zu mischen,
nicht nur die düsteren seines Kerkerlebens,
sondern auch die heiteren der galanten Aven-
türen, , , ," Und es berührt Peinlich, daß
gerade diese nur halbwahrc Stelle aus der
Einleitung für die buchhändlerische Anzeige
der Neuausgabe benutzt ist. Muß man wirk¬
lich das deutsche Lesepublikum durch die Aus¬
sicht auf „saftige" Histörchen kapern?

Fritz Tychow
„Aus meiner Stille." Gedichte von Ernst
Ludwig Schcllenbcrg. Verlag Gustav Kiepen¬
heuer, Weimar, Preis geb. M. 2,60,

Ernst Ludwig Schellenberg hat früher
bereits die Gedichtbücher „Aus Leben und
Einsamkeit" und „Erlösung" veröffentlicht, die
ihm verständnisvolles Lob eingetragen haben.
Mit Recht, denn hier sprach ein ernster künst¬
lerischer Wille, der aus der starken Quelle
heimlichen Erlebens schöpfte. Ein lauter Er¬
folg ist diesen Büchern nicht beschieden ge¬
wesen, ja, man findet den Namen unseres
Poeten wunderbarerweise nicht einmal in lite¬

[Spaltenumbruch]

rarischen Anthologien. In seiner neuen
Sammlung „Aus meiner Stille" ist seine
Art noch schlichter, tiefer und reifer geworden.
Nur zuweilen klingt es wie Rilkesche Töne
durch, aber nie so stark, daß sie die eigene
Stimme des Dichters übertönten. Er ist hier
ganz ein Eigener geworden, Lieder voll zar¬
tester Innigkeit, wie das ergreifende „Jesus
vor des Jairus Töchtorlein" oder das Prächtig¬
deutsche „Wintersonctt" mit der herrlichen
Schlußzeile wechseln mit Strophen von glas¬
heller Schönheit:

Gegrüßet seist du, Holdselige, . .
... So sang der Engel, über sie geneigt,
Ins frühe Sonnengold des Sommertages,
Und in der Ruhe seiner Augen lag es
Wie Tröstung für ein Glück, das schmerzhaft
schweigt.
Das Mägdlein unter Blumen staunt empor
— Ein sorglos .Kind, von Traum und Spiel
umfangen —,
Erwachend streicht sie von den schmalen
Wangen
Das lichte Haar und neigt verwirrt ihr Ohr
Und lauscht dein Lied. Noch kann sie nicht
begreifen,
Was sich an ihr, der Magdlichcn, erfüllt.
Sie läßt die Blicke fremd und hilflos schweifen
Und schreitet heim durch blühendes Gefild,
In ihres Muttersegens Glanz und Reifen
Wie in ein seidenes Gewand gehüllt.

Schellenberg ist nicht der Mann der großen
Gesten, ihm ist jedes Pathos fremd. Ein
Bild, schnell aufgegriffen, weiß er mit sicheren
Linien zu umgrenzen, daß es in der Fülle
des Lebens dasteht. Im Kleinsten das Ewige
zu erkennen, die feinen Lichter irdischen Ge¬
schehens im Brennspiegel des rechten Schauens
zu sammeln und sie als Weltbild zurück¬
zustrahlen, darin liegt seine Stärke und eigenste
Art. Seine Sprache ist edel, von gründlicher
Durchbildung, ein sicheres Ausdrucksmittel für
alles, was seine Sinne bewegt.

Das von Vogeler-Worpswede geschmückte
Buch empfiehlt sich auch durch eine bemerkens¬
wert würdige Ausstattung.

Martin Boclitz i [Ende Spaltensatz]
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[0207] Maßgebliches und Unmaßgebliches Entstellungen seiner Reformversuche und den gehässigen Ton Trencks würde ich doch nicht uls „unverschämte Lügen" bezeichnen. Trennt hatte keinen Grund, sich schonend über Joseph auszudrücken; und es ist doch Tatsache, daß trotz Josephs geradezu revolutionären Reform¬ versuchen fast alles beim alten blieb, und daß er im übrigen „eine Verwirrung und Gärung hervorrief, deren Rachwirkungen weit über seine Regierungszeit hinausreichten" (Hausier), Wollte Trennt nun auch gar nicht Joseph gerecht werden, so hat er mit seiner Beurtei¬ lung im allgemeinen doch nicht allzuweit vorbeigetroffen, wenn man die Erfolge und nicht die Absichten des Kaisers berücksichtigt. Über dem geifernden Ton der letzten Ab¬ schnitte der Leidensgeschichte darf man doch nicht vergessen, dgß dieses Mannes glänzende Laufbahn durch ein Mißverständnis in grau¬ samstes Elend verkehrt wurde. Die Trenckschen Memoiren — fast als einzige aus dem galanten Jahrhundert — sind nicht erotisch. Die wenigen flüchtig er¬ zählten Liebesabenteuer berechtigen nicht zu der Bemerkung^ „In der Tat wußte Trennt ans seiner Palette alle Farben zu mischen, nicht nur die düsteren seines Kerkerlebens, sondern auch die heiteren der galanten Aven- türen, , , ," Und es berührt Peinlich, daß gerade diese nur halbwahrc Stelle aus der Einleitung für die buchhändlerische Anzeige der Neuausgabe benutzt ist. Muß man wirk¬ lich das deutsche Lesepublikum durch die Aus¬ sicht auf „saftige" Histörchen kapern? Fritz Tychow „Aus meiner Stille." Gedichte von Ernst Ludwig Schcllenbcrg. Verlag Gustav Kiepen¬ heuer, Weimar, Preis geb. M. 2,60, Ernst Ludwig Schellenberg hat früher bereits die Gedichtbücher „Aus Leben und Einsamkeit" und „Erlösung" veröffentlicht, die ihm verständnisvolles Lob eingetragen haben. Mit Recht, denn hier sprach ein ernster künst¬ lerischer Wille, der aus der starken Quelle heimlichen Erlebens schöpfte. Ein lauter Er¬ folg ist diesen Büchern nicht beschieden ge¬ wesen, ja, man findet den Namen unseres Poeten wunderbarerweise nicht einmal in lite¬ rarischen Anthologien. In seiner neuen Sammlung „Aus meiner Stille" ist seine Art noch schlichter, tiefer und reifer geworden. Nur zuweilen klingt es wie Rilkesche Töne durch, aber nie so stark, daß sie die eigene Stimme des Dichters übertönten. Er ist hier ganz ein Eigener geworden, Lieder voll zar¬ tester Innigkeit, wie das ergreifende „Jesus vor des Jairus Töchtorlein" oder das Prächtig¬ deutsche „Wintersonctt" mit der herrlichen Schlußzeile wechseln mit Strophen von glas¬ heller Schönheit: Gegrüßet seist du, Holdselige, . . ... So sang der Engel, über sie geneigt, Ins frühe Sonnengold des Sommertages, Und in der Ruhe seiner Augen lag es Wie Tröstung für ein Glück, das schmerzhaft schweigt. Das Mägdlein unter Blumen staunt empor — Ein sorglos .Kind, von Traum und Spiel umfangen —, Erwachend streicht sie von den schmalen Wangen Das lichte Haar und neigt verwirrt ihr Ohr Und lauscht dein Lied. Noch kann sie nicht begreifen, Was sich an ihr, der Magdlichcn, erfüllt. Sie läßt die Blicke fremd und hilflos schweifen Und schreitet heim durch blühendes Gefild, In ihres Muttersegens Glanz und Reifen Wie in ein seidenes Gewand gehüllt. Schellenberg ist nicht der Mann der großen Gesten, ihm ist jedes Pathos fremd. Ein Bild, schnell aufgegriffen, weiß er mit sicheren Linien zu umgrenzen, daß es in der Fülle des Lebens dasteht. Im Kleinsten das Ewige zu erkennen, die feinen Lichter irdischen Ge¬ schehens im Brennspiegel des rechten Schauens zu sammeln und sie als Weltbild zurück¬ zustrahlen, darin liegt seine Stärke und eigenste Art. Seine Sprache ist edel, von gründlicher Durchbildung, ein sicheres Ausdrucksmittel für alles, was seine Sinne bewegt. Das von Vogeler-Worpswede geschmückte Buch empfiehlt sich auch durch eine bemerkens¬ wert würdige Ausstattung. Martin Boclitz i

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/207>, abgerufen am 22.12.2024.