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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Politik und Wirtschaft

der Volksversicherung ist aber teuer und schwierig. Ein Heer von Agenten
und Kassenbeamten ist erforderlich; eine ungeheure Bureau- und Schreib¬
arbeit muß bewältigt werden. Das macht den Erfolg sehr fraglich. Es
wird sich daher der Kampf hauptsächlich wohl zwischen den drei übrigen
Gruppen abspielen. Man darf dabei nicht vergessen, daß die ganze Volks¬
versicherung ihrem wirtschaftlichen Wert nach recht problematisch ist. Sie ist für
den Unternehmer, wie die Erfolge namentlich der "Victoria" und der "Friedrich
Wilhelm" zeigen, sehr lukrativ, trotz der hohen Kosten. Aber diese Einträglichkeit
beruht zum erheblichsten Teil auf der großen Anzahl verfallender Policen. Für
die Versicherten ist daher der Wert dieser teuren in vielen Fällen nicht durch¬
führbaren Versicherung ein fraglicher.




Die Regierung kündigt eine Novelle zum Kaligesetz an, durch welche die
vielfachen schmerzlich empfundenen Mißstünde beseitigt werden sollen -- soweit
dies überhaupt möglich ist. Das Kaligesetz hat bekanntlich durch seine Vor¬
schriften über die Quotenübertragung die spekulativen Tendenzen ungemein ge¬
fördert. In der prinzipiellen Zubilligung einer Quote an jedes neu entstehende
Werk lag ein starker Anreiz zur Schichtvermehrung. Es sind daher, weil auch
die vorgesehene Karenzzeit ganz ungenügend war, eine Anzahl neuer Werke
entstanden. Es wurden, ohne wirtschaftlichen Grund, bestehende Felder geteilt,
neue Schächte angelegt, nur um eine vermehrte Quote zu erhalten, oft auch
unrentable Werke gebaut, nur um die Quote vorteilhaft veräußern zu können.
So sind zu den fertiggestellten hundertunddreißig Schächten noch weitere etwa
hundertundfunfzig im Bau begriffene getreten. Enorme Kapitalien sind zu
diesem Zwecke investiert worden, in den letzten Jahren über hundert Millionen
Werte jährlich. Diese Ansprüche haben den Kapitalmarkt ungebührlich belastet,
und zwar für ganz unproduktive Zwecke. Denn die bestehenden Werke hätten
vollkommen ausgereicht, auch die gesteigerte Nachfrage zu decken. Trotz der in
den letzten Jahren eingetretenen Steigerung des Absatzes liegt daher in der
starken Zunahme der produzierenden Werke eine schwere Gefahr für die gesamte
Industrie. Dieser hofft man jetzt durch eine rigorose rückwirkende Erlösung der
Karenzzeit und eine Verdoppelung der Kaliabgabe zu begegnen. Es läßt sich
jetzt noch nicht übersehen, ob der erhöhte Erfolg damit erzielt wird. Jedenfalls
aber werden große Kapitalsverluste unvermeidlich sein, auch wenn man sich
bemühen will, erworbene Rechte tunlichst zu schonen. Es rächt sich jetzt, daß
Sxectator man beim Kaligesetz nur halbe Arbeit getan hat.




Politik und Wirtschaft

der Volksversicherung ist aber teuer und schwierig. Ein Heer von Agenten
und Kassenbeamten ist erforderlich; eine ungeheure Bureau- und Schreib¬
arbeit muß bewältigt werden. Das macht den Erfolg sehr fraglich. Es
wird sich daher der Kampf hauptsächlich wohl zwischen den drei übrigen
Gruppen abspielen. Man darf dabei nicht vergessen, daß die ganze Volks¬
versicherung ihrem wirtschaftlichen Wert nach recht problematisch ist. Sie ist für
den Unternehmer, wie die Erfolge namentlich der „Victoria" und der „Friedrich
Wilhelm" zeigen, sehr lukrativ, trotz der hohen Kosten. Aber diese Einträglichkeit
beruht zum erheblichsten Teil auf der großen Anzahl verfallender Policen. Für
die Versicherten ist daher der Wert dieser teuren in vielen Fällen nicht durch¬
führbaren Versicherung ein fraglicher.




Die Regierung kündigt eine Novelle zum Kaligesetz an, durch welche die
vielfachen schmerzlich empfundenen Mißstünde beseitigt werden sollen — soweit
dies überhaupt möglich ist. Das Kaligesetz hat bekanntlich durch seine Vor¬
schriften über die Quotenübertragung die spekulativen Tendenzen ungemein ge¬
fördert. In der prinzipiellen Zubilligung einer Quote an jedes neu entstehende
Werk lag ein starker Anreiz zur Schichtvermehrung. Es sind daher, weil auch
die vorgesehene Karenzzeit ganz ungenügend war, eine Anzahl neuer Werke
entstanden. Es wurden, ohne wirtschaftlichen Grund, bestehende Felder geteilt,
neue Schächte angelegt, nur um eine vermehrte Quote zu erhalten, oft auch
unrentable Werke gebaut, nur um die Quote vorteilhaft veräußern zu können.
So sind zu den fertiggestellten hundertunddreißig Schächten noch weitere etwa
hundertundfunfzig im Bau begriffene getreten. Enorme Kapitalien sind zu
diesem Zwecke investiert worden, in den letzten Jahren über hundert Millionen
Werte jährlich. Diese Ansprüche haben den Kapitalmarkt ungebührlich belastet,
und zwar für ganz unproduktive Zwecke. Denn die bestehenden Werke hätten
vollkommen ausgereicht, auch die gesteigerte Nachfrage zu decken. Trotz der in
den letzten Jahren eingetretenen Steigerung des Absatzes liegt daher in der
starken Zunahme der produzierenden Werke eine schwere Gefahr für die gesamte
Industrie. Dieser hofft man jetzt durch eine rigorose rückwirkende Erlösung der
Karenzzeit und eine Verdoppelung der Kaliabgabe zu begegnen. Es läßt sich
jetzt noch nicht übersehen, ob der erhöhte Erfolg damit erzielt wird. Jedenfalls
aber werden große Kapitalsverluste unvermeidlich sein, auch wenn man sich
bemühen will, erworbene Rechte tunlichst zu schonen. Es rächt sich jetzt, daß
Sxectator man beim Kaligesetz nur halbe Arbeit getan hat.




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[0201] Politik und Wirtschaft der Volksversicherung ist aber teuer und schwierig. Ein Heer von Agenten und Kassenbeamten ist erforderlich; eine ungeheure Bureau- und Schreib¬ arbeit muß bewältigt werden. Das macht den Erfolg sehr fraglich. Es wird sich daher der Kampf hauptsächlich wohl zwischen den drei übrigen Gruppen abspielen. Man darf dabei nicht vergessen, daß die ganze Volks¬ versicherung ihrem wirtschaftlichen Wert nach recht problematisch ist. Sie ist für den Unternehmer, wie die Erfolge namentlich der „Victoria" und der „Friedrich Wilhelm" zeigen, sehr lukrativ, trotz der hohen Kosten. Aber diese Einträglichkeit beruht zum erheblichsten Teil auf der großen Anzahl verfallender Policen. Für die Versicherten ist daher der Wert dieser teuren in vielen Fällen nicht durch¬ führbaren Versicherung ein fraglicher. Die Regierung kündigt eine Novelle zum Kaligesetz an, durch welche die vielfachen schmerzlich empfundenen Mißstünde beseitigt werden sollen — soweit dies überhaupt möglich ist. Das Kaligesetz hat bekanntlich durch seine Vor¬ schriften über die Quotenübertragung die spekulativen Tendenzen ungemein ge¬ fördert. In der prinzipiellen Zubilligung einer Quote an jedes neu entstehende Werk lag ein starker Anreiz zur Schichtvermehrung. Es sind daher, weil auch die vorgesehene Karenzzeit ganz ungenügend war, eine Anzahl neuer Werke entstanden. Es wurden, ohne wirtschaftlichen Grund, bestehende Felder geteilt, neue Schächte angelegt, nur um eine vermehrte Quote zu erhalten, oft auch unrentable Werke gebaut, nur um die Quote vorteilhaft veräußern zu können. So sind zu den fertiggestellten hundertunddreißig Schächten noch weitere etwa hundertundfunfzig im Bau begriffene getreten. Enorme Kapitalien sind zu diesem Zwecke investiert worden, in den letzten Jahren über hundert Millionen Werte jährlich. Diese Ansprüche haben den Kapitalmarkt ungebührlich belastet, und zwar für ganz unproduktive Zwecke. Denn die bestehenden Werke hätten vollkommen ausgereicht, auch die gesteigerte Nachfrage zu decken. Trotz der in den letzten Jahren eingetretenen Steigerung des Absatzes liegt daher in der starken Zunahme der produzierenden Werke eine schwere Gefahr für die gesamte Industrie. Dieser hofft man jetzt durch eine rigorose rückwirkende Erlösung der Karenzzeit und eine Verdoppelung der Kaliabgabe zu begegnen. Es läßt sich jetzt noch nicht übersehen, ob der erhöhte Erfolg damit erzielt wird. Jedenfalls aber werden große Kapitalsverluste unvermeidlich sein, auch wenn man sich bemühen will, erworbene Rechte tunlichst zu schonen. Es rächt sich jetzt, daß Sxectator man beim Kaligesetz nur halbe Arbeit getan hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/201>, abgerufen am 29.06.2024.