Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.Bevölkerung-Politik und Linkommenstcuer anpaßt, und diese Leistungsfähigkeit richtet sich keineswegs schematisch nach der Völlig verfehlt erscheint der Hinweis auf die durch eine derartige Verschiebung Bevölkerung-Politik und Linkommenstcuer anpaßt, und diese Leistungsfähigkeit richtet sich keineswegs schematisch nach der Völlig verfehlt erscheint der Hinweis auf die durch eine derartige Verschiebung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325013"/> <fw type="header" place="top"> Bevölkerung-Politik und Linkommenstcuer</fw><lb/> <p xml:id="ID_438" prev="#ID_437"> anpaßt, und diese Leistungsfähigkeit richtet sich keineswegs schematisch nach der<lb/> Einkommensumme. Ein Junggeselle oder kinderloser Familienvater mit 2000 Mark<lb/> Einkommen ist steuerlich leistungsfähiger als ein Vater von sechs oder acht nicht<lb/> erwerbsfähigen Kindern mit einem Einkommen von 3000 Mark. Eine gro߬<lb/> zügige und weitblickende Einkommensteuerpolitik darf sich nicht auf die mechanische<lb/> Ermittlung der Einkommenzahlen beschränken, sondern muß sämtliche für die<lb/> steuerliche Leistungsfähigkeit in Betracht kommenden Momente voll berücksichtigen<lb/> und die Sätze so bemessen, nötigenfalls unter teilweiser Erhöhung, und so<lb/> abstufen, daß der Staat zu dem Seinigen kommt, ohne daß der steuerlichen<lb/> Gerechtigkeit irgendwie Eintrag geschieht. Wer mit Sorgen, Mühen und oft<lb/> eigener Entbehrung in seinen Kindern eine Schar künftiger, tüchtiger deutscher<lb/> Soldaten und Hausfrauen dem Vaterlande auferziehe, bringt damit weit höhere<lb/> Opfer als selbst der beträchtlichste Einkommensteuerbetrag ausmachen würde.<lb/> Unter den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen bei der Steuerveranlagung eine<lb/> durchgreifende Berücksichtigung dieses Umstandes zu versagen, bedeutet eine,<lb/> doppelte und darum ungerechte Heranziehung zu Opfern für den Staat.</p><lb/> <p xml:id="ID_439" next="#ID_440"> Völlig verfehlt erscheint der Hinweis auf die durch eine derartige Verschiebung<lb/> der Einkommenbesteuerung bewirkte angebliche Schwächung der „Steuerkraft"<lb/> hochbelasteter Gemeinden. Diese Steuerkraft richtet sich nach der Leistungs¬<lb/> fähigkeit bzw. dem Einkommen der Einwohner und nicht nach der staatlichen<lb/> Besteuerung dieses Einkommens. Würde der Staat seine Einkommensteuern<lb/> um die Hälfte herabsetzen, so würde dadurch die Steuerkraft der Kommunen,<lb/> obwohl sie dann für sich höhere Prozente der verringerten Staatssteuer erheben<lb/> würden, nicht sinken, sondern eher steigen, ebenso wie sie durch die Außerhebung-<lb/> setzung der früheren staatlichen Realsteuern gestiegen ist. Wäre jene Schlu߬<lb/> folgerung richtig, dann könnte ja der Steuernot so vieler Gemeinden mit einem<lb/> Federstrich abgeholfen werden. Der Staat brauchte nur seine Einkommensteuersätze<lb/> zu verdoppeln, dann würden die Gemeinden, die jetzt 300 Prozent Zuschlage<lb/> erheben, mit 150 Prozent auskommen, also scheinbar eine außerordentliche<lb/> Stärkung ihrer Steuerkraft erlangen, — wenn eben jene Beweisführung der<lb/> Finanzverwaltung zutreffend wäre! In Wirklichkeit bedeutet es eine schwere<lb/> Selbsttäuschung, wenn der Staat den durch eine große Kinderzahl in ihrer<lb/> Steuerkraft wesentlich beeinträchtigten Bürgern eine angemessene Berücksichtigung<lb/> dieser Beeinträchtigung verweigert, um so das Steuersoll sür sich und für die<lb/> Kommunen zahlenmäßig höher erscheinen zu lassen. Auf solchem Wege gelangt<lb/> man wahrlich nicht zu einer richtigen Erfassung des schwierigen und für unsere<lb/> wirtschaftliche Zukunft entscheidenden Problems einer richtigen Ausgestaltung ver<lb/> Kommunalbesteuerung. Die Mängel auf diesem Gebiete liegen nicht in einem<lb/> zu niedrigen Gesamtstaatssteuersoll, sie liegen in der außerordentlich großen und<lb/> ständig zunehmenden Ungleichheit, welche sich in den verschiedenen Gemeinden<lb/> und Landesteilen zwischen der Entwicklung der Steuerkraft einerseits und<lb/> des kommunalen Bedarfs anderseits ergibt. Zur Beseitigung dieser Schäden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0143]
Bevölkerung-Politik und Linkommenstcuer
anpaßt, und diese Leistungsfähigkeit richtet sich keineswegs schematisch nach der
Einkommensumme. Ein Junggeselle oder kinderloser Familienvater mit 2000 Mark
Einkommen ist steuerlich leistungsfähiger als ein Vater von sechs oder acht nicht
erwerbsfähigen Kindern mit einem Einkommen von 3000 Mark. Eine gro߬
zügige und weitblickende Einkommensteuerpolitik darf sich nicht auf die mechanische
Ermittlung der Einkommenzahlen beschränken, sondern muß sämtliche für die
steuerliche Leistungsfähigkeit in Betracht kommenden Momente voll berücksichtigen
und die Sätze so bemessen, nötigenfalls unter teilweiser Erhöhung, und so
abstufen, daß der Staat zu dem Seinigen kommt, ohne daß der steuerlichen
Gerechtigkeit irgendwie Eintrag geschieht. Wer mit Sorgen, Mühen und oft
eigener Entbehrung in seinen Kindern eine Schar künftiger, tüchtiger deutscher
Soldaten und Hausfrauen dem Vaterlande auferziehe, bringt damit weit höhere
Opfer als selbst der beträchtlichste Einkommensteuerbetrag ausmachen würde.
Unter den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen bei der Steuerveranlagung eine
durchgreifende Berücksichtigung dieses Umstandes zu versagen, bedeutet eine,
doppelte und darum ungerechte Heranziehung zu Opfern für den Staat.
Völlig verfehlt erscheint der Hinweis auf die durch eine derartige Verschiebung
der Einkommenbesteuerung bewirkte angebliche Schwächung der „Steuerkraft"
hochbelasteter Gemeinden. Diese Steuerkraft richtet sich nach der Leistungs¬
fähigkeit bzw. dem Einkommen der Einwohner und nicht nach der staatlichen
Besteuerung dieses Einkommens. Würde der Staat seine Einkommensteuern
um die Hälfte herabsetzen, so würde dadurch die Steuerkraft der Kommunen,
obwohl sie dann für sich höhere Prozente der verringerten Staatssteuer erheben
würden, nicht sinken, sondern eher steigen, ebenso wie sie durch die Außerhebung-
setzung der früheren staatlichen Realsteuern gestiegen ist. Wäre jene Schlu߬
folgerung richtig, dann könnte ja der Steuernot so vieler Gemeinden mit einem
Federstrich abgeholfen werden. Der Staat brauchte nur seine Einkommensteuersätze
zu verdoppeln, dann würden die Gemeinden, die jetzt 300 Prozent Zuschlage
erheben, mit 150 Prozent auskommen, also scheinbar eine außerordentliche
Stärkung ihrer Steuerkraft erlangen, — wenn eben jene Beweisführung der
Finanzverwaltung zutreffend wäre! In Wirklichkeit bedeutet es eine schwere
Selbsttäuschung, wenn der Staat den durch eine große Kinderzahl in ihrer
Steuerkraft wesentlich beeinträchtigten Bürgern eine angemessene Berücksichtigung
dieser Beeinträchtigung verweigert, um so das Steuersoll sür sich und für die
Kommunen zahlenmäßig höher erscheinen zu lassen. Auf solchem Wege gelangt
man wahrlich nicht zu einer richtigen Erfassung des schwierigen und für unsere
wirtschaftliche Zukunft entscheidenden Problems einer richtigen Ausgestaltung ver
Kommunalbesteuerung. Die Mängel auf diesem Gebiete liegen nicht in einem
zu niedrigen Gesamtstaatssteuersoll, sie liegen in der außerordentlich großen und
ständig zunehmenden Ungleichheit, welche sich in den verschiedenen Gemeinden
und Landesteilen zwischen der Entwicklung der Steuerkraft einerseits und
des kommunalen Bedarfs anderseits ergibt. Zur Beseitigung dieser Schäden
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