Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Karl Salzer man nicht wissen könne, ob der Anblick jetzt am zweiten Tage und bei der großen "Wacker sein und denken, daß du wieder alles gutmachen tätstl" Nach einer kleinen Weile kommen die Leute wieder die Stiege herab. Die Auf diese Auskunft hin wendet die Totenfrau sich um und verläßt ohne "Schroh Tier, das du bischt I" Auf eine Frage Karls an die beiden Männer, ob auch sie bös darüber Karl und Seelchen beratschlagen, wie sie sich den Tag einteilen sollen, als der "Herr Doktor?" "Ich wollte nur mal nach der Kleinen sehen!" "Jeßgott, Herr Doktor I" sagt Tante Seelchen gerührt, "das ist aber schön "Ja, Fräulein Seelchen," entgegnet der Arzt, "es ist am besten, Sie tun Als Karl das hört, röter sich seine Wangen. Er wendet sich an den Arzt, "Ein Schein, Herr Doktor, ein Schein für den Herrn Pfarrer?" Karl Salzer man nicht wissen könne, ob der Anblick jetzt am zweiten Tage und bei der großen „Wacker sein und denken, daß du wieder alles gutmachen tätstl" Nach einer kleinen Weile kommen die Leute wieder die Stiege herab. Die Auf diese Auskunft hin wendet die Totenfrau sich um und verläßt ohne „Schroh Tier, das du bischt I" Auf eine Frage Karls an die beiden Männer, ob auch sie bös darüber Karl und Seelchen beratschlagen, wie sie sich den Tag einteilen sollen, als der „Herr Doktor?" „Ich wollte nur mal nach der Kleinen sehen!" „Jeßgott, Herr Doktor I" sagt Tante Seelchen gerührt, „das ist aber schön „Ja, Fräulein Seelchen," entgegnet der Arzt, „es ist am besten, Sie tun Als Karl das hört, röter sich seine Wangen. Er wendet sich an den Arzt, „Ein Schein, Herr Doktor, ein Schein für den Herrn Pfarrer?" <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322497"/> <fw type="header" place="top"> Karl Salzer</fw><lb/> <p xml:id="ID_381" prev="#ID_380"> man nicht wissen könne, ob der Anblick jetzt am zweiten Tage und bei der großen<lb/> Augusthitze für die Angehörigen überhaupt noch erträglich wäre. Da geht er<lb/> wieder die Stiege hinunter. Im Hausgange unten bleibt er stehen und hört, wie<lb/> der Sargdeckel polternd abgehoben wird; hört, wie die Hobelspäne im Sarge<lb/> unter der Last der Leiche wuscheln und rascheln; hört den Sargdeckel zum zweiten<lb/> Male poltern und die Verschlußschrauben quietschen. Da geht er zu seiner Tante,<lb/> setzt sich ihr gegenüber auf einen Stuhl und sieht sie mit großen, schreckhaften<lb/> Augen und schlohweißem Gesichte an. Tante Seelchen bemerkt das Grauen in dem<lb/> Jungen, straffe ihre Mienen zu energischen Zügen und ermuntert ihn:</p><lb/> <p xml:id="ID_382"> „Wacker sein und denken, daß du wieder alles gutmachen tätstl"</p><lb/> <p xml:id="ID_383"> Nach einer kleinen Weile kommen die Leute wieder die Stiege herab. Die<lb/> Totenfrau, die trotz ihres traurigen Berufes ein rohes Gemüt hat, verlangt einen<lb/> Schoppen Wein. Es will Karl wenig passend erscheinen, jetzt Wein zum Besten<lb/> zu geben, aber um das Weib los zu sein, holt er aus der Küche ein Schoppen-<lb/> glas und eine Stearinkerze, die er anzündet. Der Kellereingang liegt im Hausflur;<lb/> rotangestrichen schneidet die Falltür in den schwarz - weiß geplätteten Bodenbelag.<lb/> Karl öffnet sie mit einem Ruck und steigt die steinerne Treppe hinab. Nach<lb/> wenigen Augenblicken erscheint er wieder, aber mit leerem Glase, zur großen Ent¬<lb/> täuschung des Weibes. Er hat nichts zapfen können, denn auch die Weinfässer<lb/> sind versiegelt.</p><lb/> <p xml:id="ID_384"> Auf diese Auskunft hin wendet die Totenfrau sich um und verläßt ohne<lb/> Gruß das Haus. Der alte Schreiner blickt ihr verächtlich nach und murmelt vor<lb/> sich hin:</p><lb/> <p xml:id="ID_385"> „Schroh Tier, das du bischt I"</p><lb/> <p xml:id="ID_386"> Auf eine Frage Karls an die beiden Männer, ob auch sie bös darüber<lb/> wären, daß er ihnen keinen Wein geben könne, erklären sie, in aller Herrgotts¬<lb/> frühe tränken sie noch keinen Wein, fragen noch nach dem Geburtstagsdatum des<lb/> Schmiedes, weil das auf das für den Grabhügel bestimmte Kreuz noch nicht auf¬<lb/> geschrieben sei, und als sie es erfahren haben, gehen sie.</p><lb/> <p xml:id="ID_387"> Karl und Seelchen beratschlagen, wie sie sich den Tag einteilen sollen, als der<lb/> Arzt eintritt. 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Karl Salzer
man nicht wissen könne, ob der Anblick jetzt am zweiten Tage und bei der großen
Augusthitze für die Angehörigen überhaupt noch erträglich wäre. Da geht er
wieder die Stiege hinunter. Im Hausgange unten bleibt er stehen und hört, wie
der Sargdeckel polternd abgehoben wird; hört, wie die Hobelspäne im Sarge
unter der Last der Leiche wuscheln und rascheln; hört den Sargdeckel zum zweiten
Male poltern und die Verschlußschrauben quietschen. Da geht er zu seiner Tante,
setzt sich ihr gegenüber auf einen Stuhl und sieht sie mit großen, schreckhaften
Augen und schlohweißem Gesichte an. Tante Seelchen bemerkt das Grauen in dem
Jungen, straffe ihre Mienen zu energischen Zügen und ermuntert ihn:
„Wacker sein und denken, daß du wieder alles gutmachen tätstl"
Nach einer kleinen Weile kommen die Leute wieder die Stiege herab. Die
Totenfrau, die trotz ihres traurigen Berufes ein rohes Gemüt hat, verlangt einen
Schoppen Wein. Es will Karl wenig passend erscheinen, jetzt Wein zum Besten
zu geben, aber um das Weib los zu sein, holt er aus der Küche ein Schoppen-
glas und eine Stearinkerze, die er anzündet. Der Kellereingang liegt im Hausflur;
rotangestrichen schneidet die Falltür in den schwarz - weiß geplätteten Bodenbelag.
Karl öffnet sie mit einem Ruck und steigt die steinerne Treppe hinab. Nach
wenigen Augenblicken erscheint er wieder, aber mit leerem Glase, zur großen Ent¬
täuschung des Weibes. Er hat nichts zapfen können, denn auch die Weinfässer
sind versiegelt.
Auf diese Auskunft hin wendet die Totenfrau sich um und verläßt ohne
Gruß das Haus. Der alte Schreiner blickt ihr verächtlich nach und murmelt vor
sich hin:
„Schroh Tier, das du bischt I"
Auf eine Frage Karls an die beiden Männer, ob auch sie bös darüber
wären, daß er ihnen keinen Wein geben könne, erklären sie, in aller Herrgotts¬
frühe tränken sie noch keinen Wein, fragen noch nach dem Geburtstagsdatum des
Schmiedes, weil das auf das für den Grabhügel bestimmte Kreuz noch nicht auf¬
geschrieben sei, und als sie es erfahren haben, gehen sie.
Karl und Seelchen beratschlagen, wie sie sich den Tag einteilen sollen, als der
Arzt eintritt. Die Jungfer sagt in erstaunten Tone:
„Herr Doktor?"
„Ich wollte nur mal nach der Kleinen sehen!"
„Jeßgott, Herr Doktor I" sagt Tante Seelchen gerührt, „das ist aber schön
von Ihnen. Dank der Nachsrag. Sie hat die Nacht ja im ganzen ruhig ver¬
bracht, wenn man davon absieht, daß ihre Hände beständig auf dem Deckbett
herumgewuschelt haben. Mit ihrem grellen Lachen ist sie dann wach worden und
verhält sich seitdem bald erregt, bald teilnahmslos. Eben ist sie still, wie Sie ja
selbst sehen!"
„Ja, Fräulein Seelchen," entgegnet der Arzt, „es ist am besten, Sie tun
das Mädchen einmal eine Zeitlang nach Heppenheim in die Anstalt. Möglich,
daß sie sich dort wieder erholt. Ich habe Ihnen hier schon einen Schein geschrieben!"
Als Karl das hört, röter sich seine Wangen. Er wendet sich an den Arzt,
der in der Brusttasche seines Rockes fingert, und fragt in freudiger Erregung:
„Ein Schein, Herr Doktor, ein Schein für den Herrn Pfarrer?"
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