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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Luther und Jesuit

sache dieser Sprache, die heute niemand über die Lippen bringt, nötigt seiner
Person gegenüber zu einer Entscheidung. Sie ist nicht ein Fleck im Bilde, sondern
des Bildes Seele. Mit Beschwichtigungen und Vorbeigehen ist es deshalb nicht
getan. Diese fessellose Sprache in ihrer Schönheit und ihren Verzerrungen ist
ein fortwährender Gesang der befreiten Natur und eine immer lebendige
Anerkennung des Gottes der Welt. Wer den nicht will, muß auch Luther
und seine Sprache ganz und gar und damit den stärksten deutschen Geist von
sich abtun.

Fehlen nur noch die Peinlichkeiten, die aus Luthers Stellung zur pro¬
testantischen Kirchengründung hervorgehen. Er hat weder Gründungsgesetz noch
Ausführungsgewalt anerkannt. Die Bibelauslegung macht er vom Gottesgeist
abhängig und diesen hält er weder an Person noch Amt gebunden. Das ist
Anarchismus. Jeden Tag soll über die Geister neu gekämpft werden und
nichts über Führer und Einrichtungen entscheiden, als die freie Übereinstimmung.
Die Macht aller Kirchenbehörden, Kirchenordnungen oder Bekenntnisse ist ihm
nur rein tatsächlich. Eine göttliche Zwangsgewalt gibt es nicht. Alle
Bemühungen, aus diesen Gedanken das göttliche Recht irgendeiner jemals zu
gewinnenden Kirchenbildung, vollends etwa der heutigen Landeskirchen, zu
gewinnen, sind vergebens. Immer können nach Luthers Wort zwei fromme
Männer kommen, die in göttlicher Kraft eine bessere Kirche darstellen. Grisar
arbeitet dieses Empörerbild als Gegensatz zu den Anschauungen evangelischer
Oberkirchenräte bewußt heraus. Er braucht kaum hinzuzufügen, daß die kirch¬
lichen Änderungen nicht Luthers Antrieb entsprangen, daß Luther überhaupt
weder Schöpferkraft noch Freude in diese Gebilde hineingelegt hat, um ihn und
die nach ihm benannte Kirche als fremde Geister sich gegenübertreten zu lassen.

Und selbst um die politische Ergebenheit stand es nicht so wohl bei Luther,
wie es die Kirche immer von ihm gerühmt hat. Er war ein Königsanbeter,
das ist wahr. Weil er Gott im Sichtbaren verehrte, so war ihm die irdische
Gewalt Gottes erste Dienerin. Er versprach ihr den Himmel und scheute sich
nicht, sie in der Revolutionszeit im Namen seines Gottes zum Hauen, Stechen,
Würgen aufzufordern. Aber wehe ihr, wenn eine Gewalt gegen das Gebot des
Weltlaufs sich stemmen wollte! Er schrie schon 1515/16, selbst wie ein Revo¬
lutionär, nach dem natürlichen Recht; er achtete Fürsten, die es weigern
wollten, wie Buben und riß eine Königskrone in den Mist. Auch hier galt
ihm als einziges Gesetz die Gotteskraft, für die er weder Herrscherhaus noch
Verfassung als Bürgschaft anerkannte. Er war Königsanbeter und zugleich
Anarchist. Auch die politische Gewalt hielt er nur für eine tatsächliche; sie
sollte sich mit aller Kraft als Zwangsgewalt menschlichen Rechts behaupten,
aber nie ließ er sich einen Zwang zum Zwange gefallen. An eine göttliche
Gewalt glaubte er in keiner menschlichen Regierungsform und machte kein
Hehl daraus, daß die Rechts- und Eigentumsbegriffe, wie sie damals
anerkannt wurden, seines Erachtens auf gottloser Grundlage ruhten. Er brachte


Luther und Jesuit

sache dieser Sprache, die heute niemand über die Lippen bringt, nötigt seiner
Person gegenüber zu einer Entscheidung. Sie ist nicht ein Fleck im Bilde, sondern
des Bildes Seele. Mit Beschwichtigungen und Vorbeigehen ist es deshalb nicht
getan. Diese fessellose Sprache in ihrer Schönheit und ihren Verzerrungen ist
ein fortwährender Gesang der befreiten Natur und eine immer lebendige
Anerkennung des Gottes der Welt. Wer den nicht will, muß auch Luther
und seine Sprache ganz und gar und damit den stärksten deutschen Geist von
sich abtun.

Fehlen nur noch die Peinlichkeiten, die aus Luthers Stellung zur pro¬
testantischen Kirchengründung hervorgehen. Er hat weder Gründungsgesetz noch
Ausführungsgewalt anerkannt. Die Bibelauslegung macht er vom Gottesgeist
abhängig und diesen hält er weder an Person noch Amt gebunden. Das ist
Anarchismus. Jeden Tag soll über die Geister neu gekämpft werden und
nichts über Führer und Einrichtungen entscheiden, als die freie Übereinstimmung.
Die Macht aller Kirchenbehörden, Kirchenordnungen oder Bekenntnisse ist ihm
nur rein tatsächlich. Eine göttliche Zwangsgewalt gibt es nicht. Alle
Bemühungen, aus diesen Gedanken das göttliche Recht irgendeiner jemals zu
gewinnenden Kirchenbildung, vollends etwa der heutigen Landeskirchen, zu
gewinnen, sind vergebens. Immer können nach Luthers Wort zwei fromme
Männer kommen, die in göttlicher Kraft eine bessere Kirche darstellen. Grisar
arbeitet dieses Empörerbild als Gegensatz zu den Anschauungen evangelischer
Oberkirchenräte bewußt heraus. Er braucht kaum hinzuzufügen, daß die kirch¬
lichen Änderungen nicht Luthers Antrieb entsprangen, daß Luther überhaupt
weder Schöpferkraft noch Freude in diese Gebilde hineingelegt hat, um ihn und
die nach ihm benannte Kirche als fremde Geister sich gegenübertreten zu lassen.

Und selbst um die politische Ergebenheit stand es nicht so wohl bei Luther,
wie es die Kirche immer von ihm gerühmt hat. Er war ein Königsanbeter,
das ist wahr. Weil er Gott im Sichtbaren verehrte, so war ihm die irdische
Gewalt Gottes erste Dienerin. Er versprach ihr den Himmel und scheute sich
nicht, sie in der Revolutionszeit im Namen seines Gottes zum Hauen, Stechen,
Würgen aufzufordern. Aber wehe ihr, wenn eine Gewalt gegen das Gebot des
Weltlaufs sich stemmen wollte! Er schrie schon 1515/16, selbst wie ein Revo¬
lutionär, nach dem natürlichen Recht; er achtete Fürsten, die es weigern
wollten, wie Buben und riß eine Königskrone in den Mist. Auch hier galt
ihm als einziges Gesetz die Gotteskraft, für die er weder Herrscherhaus noch
Verfassung als Bürgschaft anerkannte. Er war Königsanbeter und zugleich
Anarchist. Auch die politische Gewalt hielt er nur für eine tatsächliche; sie
sollte sich mit aller Kraft als Zwangsgewalt menschlichen Rechts behaupten,
aber nie ließ er sich einen Zwang zum Zwange gefallen. An eine göttliche
Gewalt glaubte er in keiner menschlichen Regierungsform und machte kein
Hehl daraus, daß die Rechts- und Eigentumsbegriffe, wie sie damals
anerkannt wurden, seines Erachtens auf gottloser Grundlage ruhten. Er brachte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/71>, abgerufen am 15.01.2025.