Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Luther und Jesuit Schon Melanchthon hat ihm die Wahrheit seiner Wahrheiten nicht geglaubt und *) In der Abendmahlsschrift: "Daß diese Worte noch feststehen", usw. Für die genauere Begründung muß ich auf meine im nächsten Jahr erscheinende Darstellung Luthers verweisen. **) Karl Jentsch hat in der Neuen Rundschau über Griscirs Luther geschrieben (Juli 1912). Ihm erscheinen diese Lehren Luthers unglücklich und die katholischen milder. Aber sie sind entweder alles, oder Luther ist nichts. -- Allen seinen sonstigen Ausführungen trete ich bei. Grisars Arbeit nennt er sehr und Recht zweitausend Seiten gelehrter Dissertationen, die doch kein echtes Bild geben; er erinnert daran, daß Grisar einseitig auswählt, weil er und dem unzweifelhaft Schönen in Luthers Worten nichts anzufangen weiß; er verbittet sich im Namen Luthers mit Recht, daß man ein Jahrzehnt lang Scholastiker studieren solle, ehe man von Gott spreche; er stellt Luthers Werk weltgeschichtlich in das richtige Licht, indem er sagt, daß ein Reformversuch innerhalb der Kirche niedergeschlagen worden wäre. Er fühlt endlich auch sehr mit Recht, daß Grisars Luther sür die Konservativen unter den Protestanten annehmbar ist. Unrecht gebe ich seiner Schlußwendung, die Grisars Ruhe lobt. In dieser Ruhe liegt ebensoviel Gift, als in Denifles Zornausbrüchen. Grenzboten IV 1912 8
Luther und Jesuit Schon Melanchthon hat ihm die Wahrheit seiner Wahrheiten nicht geglaubt und *) In der Abendmahlsschrift: „Daß diese Worte noch feststehen", usw. Für die genauere Begründung muß ich auf meine im nächsten Jahr erscheinende Darstellung Luthers verweisen. **) Karl Jentsch hat in der Neuen Rundschau über Griscirs Luther geschrieben (Juli 1912). Ihm erscheinen diese Lehren Luthers unglücklich und die katholischen milder. Aber sie sind entweder alles, oder Luther ist nichts. — Allen seinen sonstigen Ausführungen trete ich bei. Grisars Arbeit nennt er sehr und Recht zweitausend Seiten gelehrter Dissertationen, die doch kein echtes Bild geben; er erinnert daran, daß Grisar einseitig auswählt, weil er und dem unzweifelhaft Schönen in Luthers Worten nichts anzufangen weiß; er verbittet sich im Namen Luthers mit Recht, daß man ein Jahrzehnt lang Scholastiker studieren solle, ehe man von Gott spreche; er stellt Luthers Werk weltgeschichtlich in das richtige Licht, indem er sagt, daß ein Reformversuch innerhalb der Kirche niedergeschlagen worden wäre. Er fühlt endlich auch sehr mit Recht, daß Grisars Luther sür die Konservativen unter den Protestanten annehmbar ist. Unrecht gebe ich seiner Schlußwendung, die Grisars Ruhe lobt. In dieser Ruhe liegt ebensoviel Gift, als in Denifles Zornausbrüchen. Grenzboten IV 1912 8
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Luther und Jesuit
Schon Melanchthon hat ihm die Wahrheit seiner Wahrheiten nicht geglaubt und
ist zu den Gegnern zurückgekehrt. Dasselbe hat auch Albrecht Ritschl getan und
weder ein Konservativer noch ein Liberaler darf predigen, was Luthers Haupt¬
lehre gewesen ist. Luther hat den freien Willen geleugnet. Alle Deutungs¬
versuche, die das bestreiten möchten, sind gescheitert. Er hat ihn geleugnet von
der Betätigung höchster Gottesliebe bis zur Vollbringung der einfachsten körper¬
lichen Handlungen. Wenigstens fand er keinen Punkt, an dem er die Freiheit
einstellen konnte, und er entzog sich denn auch nicht der letzten Folgerung, daß
es mit der Vorstellung körperloser Geistigkeit wohl überhaupt nichts sei.*) über
diese letzten Gänge seines Gedankens mag sich streiten lassen; Grisar braucht auch
nicht so weit zu gehen. Denn sicher ist, daß Luther Gott für den Täter aller
Sünden und die höllische Verdammnis für unausweichlich erklärt hat, und daß
er sagte, sündigen sei recht getan und die Bereitschaft zur Hölle sei der Haupt¬
beweis sür die Frömmigkeit.**) Es ist selbstverständlich, daß Luther bei solchen
Sätzen nicht mehr an den Gott im Jenseits denkt, sondern an die allwirkende
Weltkraft, vor der es nur Tatsachen, keine Schulden gibt. Diese Kraft war
wohl Luthers Gott und dieser Glaube das Treibende in allem Protestantismus,
aber die protestantische Kirche wurde auf dem Boden des Katholizismus
gegründet. Kein überraschenderer Beweis dafür, als die Übereinstimmung
zwischen Erasmus und dem Begründer der heutigen liberalen kirchlichen
Theologie des Protestantismus. Was in Erasmus' Schrift >,vo libero arbitno",
der Kampfschrist gegen Luther, steht, das ist der ganze Ritschl. Die protestantischen
Theologen gingen von Anfang an mit Scheu um diese Bekenntnisse Luthers
herum und es ist einigermaßen gelungen, sie als verunglückt und durch die
Fragestellung eines Augenblicks gegeben hinzustellen. Aber Grisar brauchte
nur die Tatsachen zu lassen, wie sie sind, um der protestantischen Kirche einen
Luther vorzuhalten, der in das Lager ihrer materialistischen Gegner gehört.
Pflicht und Verantwortung vor Autoritäten, die über das Natürliche hinaus¬
gehen, sind selbst gefallen. Grisar hat auch nicht gezögert, diese Lehre als
*) In der Abendmahlsschrift: „Daß diese Worte noch feststehen", usw. Für die genauere
Begründung muß ich auf meine im nächsten Jahr erscheinende Darstellung Luthers verweisen.
**) Karl Jentsch hat in der Neuen Rundschau über Griscirs Luther geschrieben (Juli
1912). Ihm erscheinen diese Lehren Luthers unglücklich und die katholischen milder. Aber
sie sind entweder alles, oder Luther ist nichts. — Allen seinen sonstigen Ausführungen trete
ich bei. Grisars Arbeit nennt er sehr und Recht zweitausend Seiten gelehrter Dissertationen,
die doch kein echtes Bild geben; er erinnert daran, daß Grisar einseitig auswählt, weil er
und dem unzweifelhaft Schönen in Luthers Worten nichts anzufangen weiß; er verbittet sich
im Namen Luthers mit Recht, daß man ein Jahrzehnt lang Scholastiker studieren solle, ehe
man von Gott spreche; er stellt Luthers Werk weltgeschichtlich in das richtige Licht, indem er
sagt, daß ein Reformversuch innerhalb der Kirche niedergeschlagen worden wäre. Er fühlt
endlich auch sehr mit Recht, daß Grisars Luther sür die Konservativen unter den Protestanten
annehmbar ist. Unrecht gebe ich seiner Schlußwendung, die Grisars Ruhe lobt. In dieser
Ruhe liegt ebensoviel Gift, als in Denifles Zornausbrüchen.
Grenzboten IV 1912 8
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