Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Deutschland und die Balkankrise inneren und äußeren Schwierigkeiten mit Gleichmut zu tragen und allmählich Angesichts der Haltung Frankreichs und der Dreibundmächte erklärt es sich, Der geneigte Leser wird aus obigen Ausführungen unschwer erkennen, Um so eigenartiger muß es berühren, wenn sich immer noch Stimmen Deutschland und die Balkankrise inneren und äußeren Schwierigkeiten mit Gleichmut zu tragen und allmählich Angesichts der Haltung Frankreichs und der Dreibundmächte erklärt es sich, Der geneigte Leser wird aus obigen Ausführungen unschwer erkennen, Um so eigenartiger muß es berühren, wenn sich immer noch Stimmen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0064" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322465"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland und die Balkankrise</fw><lb/> <p xml:id="ID_252" prev="#ID_251"> inneren und äußeren Schwierigkeiten mit Gleichmut zu tragen und allmählich<lb/> zu überwinden.</p><lb/> <p xml:id="ID_253"> Angesichts der Haltung Frankreichs und der Dreibundmächte erklärt es sich,<lb/> wenn in deutschen unterrichteten Kreisen auch von Rußland behauptet wird, daß<lb/> dies einem Kriege auf dem Balkan, der nicht eine Schwächung des Dreibundes<lb/> bedeutete, kein Interesse entgegenbringt, und es soll mich gar nicht wundern,<lb/> wenn Herr Ssasonow schon in den nächsten Tagen den Ansichten zustimmt, die<lb/> Herr von Kiderlen am Mittwoch einem Politiker gegenüber geäußert hat. Somit<lb/> darf bei den zumeist interessierten Großmächten, also wohl bei Frankreich und<lb/> den Dreibundmächten, die Neigung ins politische Rechenexempel eingesetzt werden,<lb/> die Türkei gegen jeden sich aus einem Balkankriege möglicherweise ergebenden<lb/> Gebietsverlust auch fernerhin schützen zu wollen; die „neue Erwerbsgemeinschaft",<lb/> wie die Kölnische Zeitung treffend die Balkangegner der Türkei nannte, führte<lb/> umsonst Krieg, verdiente nichts aus ihrem Unternehmen. Angesichts solcher Tat¬<lb/> sachen dürfte eine gewisse Beruhigung auf dem Balkan um so eher zu erwarten<lb/> sein, je energischer die Hohe Pforte sich der Durchführung jener Reformen in<lb/> Albanien und Mazedonien zuwendet, die sie erst kürzlich von neuem ver¬<lb/> sprochen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_254"> Der geneigte Leser wird aus obigen Ausführungen unschwer erkennen,<lb/> daß ich den eigenartigen Ernst der internationalen Lage auf dem Balkan in<lb/> ihrer Bedeutung für Deutschland durchaus zu würdigen weiß; er wird mir<lb/> auch zugeben, daß es kein Würfelspiel war, dem wir in der abgelaufenen Woche<lb/> zusahen, sondern eine grimmige Schachpartie, in der zwei ebenbürtige Gegner<lb/> schon Ritter und Königinnen gegeneinander einsetzten. Zug um Zug ward<lb/> gezogen: Bagdadbahn, Persien, Marokko, Tripolis, Schiffsgeschwader von der<lb/> Nordküste ins Mittelmeer, Armeekorps an der russischen Südwestgrenze, allgemeine<lb/> Mobilmachung auf dem Balkan; dazwischen wirkten Minister- und Diplomaten¬<lb/> gespräche wie Geplänkel unter den Bauern. Presse und Börse waren die Zu¬<lb/> schauer. Wer aber hätte es erlebt, daß ein Schachspieler je versucht, die Partie<lb/> durch den Faustschlag aufs Brett zur Entscheidung zu bringen?! Und doch<lb/> wird es im politischen Schachspiel immer und immer wieder gefordertI Wem<lb/> wäre denn ein Faustschlag von unserer Seite zugute gekommen? Doch nur<lb/> jenen Gegnern, die seit zehn und mehr Jahren darauf ausgehen, uns Schwierig¬<lb/> keiten zu bereiten und den Dreibund zu zerbrechen, dessen Vorhandensein es jedem<lb/> der drei Bundesgenossen ermöglicht hat, die. durch die geographische Lage<lb/> bedingten Hindernisse in dem Maße zu überwinden, wie es geschehen I Die<lb/> Partie ist einstweilen zu unseren Gunsten entschieden, rüsten wir für die nächste I</p><lb/> <p xml:id="ID_255" next="#ID_256"> Um so eigenartiger muß es berühren, wenn sich immer noch Stimmen<lb/> finden, die aus dem Dreibund heraus gegen Dreibundmächte aufbegehren, wie<lb/> es z. B. von Zeit zu Zeit in Wien, aber auch in Norddeutschland geschieht.<lb/> Solche Stimmen finden bei uns besonders im nationalen Lager Widerhall,<lb/> weil sie berechtigter nationaler Besorgnis entspringen. In keinem Gebiet sonst</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0064]
Deutschland und die Balkankrise
inneren und äußeren Schwierigkeiten mit Gleichmut zu tragen und allmählich
zu überwinden.
Angesichts der Haltung Frankreichs und der Dreibundmächte erklärt es sich,
wenn in deutschen unterrichteten Kreisen auch von Rußland behauptet wird, daß
dies einem Kriege auf dem Balkan, der nicht eine Schwächung des Dreibundes
bedeutete, kein Interesse entgegenbringt, und es soll mich gar nicht wundern,
wenn Herr Ssasonow schon in den nächsten Tagen den Ansichten zustimmt, die
Herr von Kiderlen am Mittwoch einem Politiker gegenüber geäußert hat. Somit
darf bei den zumeist interessierten Großmächten, also wohl bei Frankreich und
den Dreibundmächten, die Neigung ins politische Rechenexempel eingesetzt werden,
die Türkei gegen jeden sich aus einem Balkankriege möglicherweise ergebenden
Gebietsverlust auch fernerhin schützen zu wollen; die „neue Erwerbsgemeinschaft",
wie die Kölnische Zeitung treffend die Balkangegner der Türkei nannte, führte
umsonst Krieg, verdiente nichts aus ihrem Unternehmen. Angesichts solcher Tat¬
sachen dürfte eine gewisse Beruhigung auf dem Balkan um so eher zu erwarten
sein, je energischer die Hohe Pforte sich der Durchführung jener Reformen in
Albanien und Mazedonien zuwendet, die sie erst kürzlich von neuem ver¬
sprochen hat.
Der geneigte Leser wird aus obigen Ausführungen unschwer erkennen,
daß ich den eigenartigen Ernst der internationalen Lage auf dem Balkan in
ihrer Bedeutung für Deutschland durchaus zu würdigen weiß; er wird mir
auch zugeben, daß es kein Würfelspiel war, dem wir in der abgelaufenen Woche
zusahen, sondern eine grimmige Schachpartie, in der zwei ebenbürtige Gegner
schon Ritter und Königinnen gegeneinander einsetzten. Zug um Zug ward
gezogen: Bagdadbahn, Persien, Marokko, Tripolis, Schiffsgeschwader von der
Nordküste ins Mittelmeer, Armeekorps an der russischen Südwestgrenze, allgemeine
Mobilmachung auf dem Balkan; dazwischen wirkten Minister- und Diplomaten¬
gespräche wie Geplänkel unter den Bauern. Presse und Börse waren die Zu¬
schauer. Wer aber hätte es erlebt, daß ein Schachspieler je versucht, die Partie
durch den Faustschlag aufs Brett zur Entscheidung zu bringen?! Und doch
wird es im politischen Schachspiel immer und immer wieder gefordertI Wem
wäre denn ein Faustschlag von unserer Seite zugute gekommen? Doch nur
jenen Gegnern, die seit zehn und mehr Jahren darauf ausgehen, uns Schwierig¬
keiten zu bereiten und den Dreibund zu zerbrechen, dessen Vorhandensein es jedem
der drei Bundesgenossen ermöglicht hat, die. durch die geographische Lage
bedingten Hindernisse in dem Maße zu überwinden, wie es geschehen I Die
Partie ist einstweilen zu unseren Gunsten entschieden, rüsten wir für die nächste I
Um so eigenartiger muß es berühren, wenn sich immer noch Stimmen
finden, die aus dem Dreibund heraus gegen Dreibundmächte aufbegehren, wie
es z. B. von Zeit zu Zeit in Wien, aber auch in Norddeutschland geschieht.
Solche Stimmen finden bei uns besonders im nationalen Lager Widerhall,
weil sie berechtigter nationaler Besorgnis entspringen. In keinem Gebiet sonst
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |