Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Der Brief des Dichters und das Rezept des Landammanns durch die Spalten hinunter spähte, als ihn der Dichter überraschte. Der war Er saß gerade von dem Staub der langen Wanderung gesäubert in dem Der Doktor war unterdessen ausgefahren und als er mit flinken Rossen Der Brief des Dichters und das Rezept des Landammanns durch die Spalten hinunter spähte, als ihn der Dichter überraschte. Der war Er saß gerade von dem Staub der langen Wanderung gesäubert in dem Der Doktor war unterdessen ausgefahren und als er mit flinken Rossen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0630" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323032"/> <fw type="header" place="top"> Der Brief des Dichters und das Rezept des Landammanns</fw><lb/> <p xml:id="ID_3076" prev="#ID_3075"> durch die Spalten hinunter spähte, als ihn der Dichter überraschte. Der war<lb/> von dem schlanken Körper und der schönen Stellung so entzückt, als ob ihm in<lb/> der grünen Wildnis ein Götterkind begegnet wäre; er rief den Knaben, der sich<lb/> vor seinem Schritt noch flüchten wollte, mit scherzhaften Worten an und half<lb/> ihm treulich aus mit seinem Rock, so daß er hemdärmelig mit seinem Wander¬<lb/> gefährten nach Schwyz hinunterkam, wo der Dichter in den „Drei Eidgenossen"<lb/> eine saubere Herberge fand, indessen der Knabe, mit seinem Rock über dem<lb/> nackten Körper angetan, zu seinen Eltern ging, die wohlhabende Doktorsleute<lb/> waren und gegen Rickenbach hinauf in einem Landhaus wohnten. Sie waren<lb/> einfach genug, das Abenteuer ihres Sohnes lustig zu finden, und weil sie dem<lb/> hilfreichen Wanderer seinen Rock nicht nur mit einem Dank zurückgeben<lb/> wollten, kam der Dichter aufs freundlichste eingeladen in ein Haus, wo ihn<lb/> keiner kannte und wo ihm darum ein Erlebnis menschlicher als bei den Schön¬<lb/> geistern in Zürich begegnen konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3077"> Er saß gerade von dem Staub der langen Wanderung gesäubert in dem<lb/> getäfelten Saal, die Abendmahlzeit abzuwarten, als mit dem Knaben — der<lb/> seinen Rock sorgfältig gefaltet trug — eine Frau herein trat, wie der von<lb/> schlankem Bau, nur höher und rotblond. Sie zeigte ganz die freie Art des<lb/> Knaben, gab ihm die Hand und lud ihn ein, das Nachtmahl in ihrem Garten<lb/> einzunehmen, wenn er nicht anders verpflichtet sei. Obwohl ihr Sohn, den sie<lb/> fast um Kopflänge überragte, im dreizehnten Jahr stand, war sie noch jung<lb/> und schien dem Dichter von so freier Anmut, wie er noch keine Frau gesehen<lb/> hatte. Er nahm die Einladung mit Freuden an und ging sogleich mit ihnen<lb/> durch den wohlgebauten Ort und grüne Matten zu dem Haus hinauf, das mit<lb/> zwei vorgebauten Gartenhäuschen auf der Mauer gleich einem Landschlößchen<lb/> dalag, obwohl es den breiten Giebel der Schwvzer Bürgerhäuser zeigte. Er<lb/> hatte seinen Namen dreimal sagen müssen, bevor sie ihn verstand; auch dann<lb/> schien sie nichts von ihm zu wissen, als daß der sonderbare Klang sie lächeln<lb/> machte. So sah der junge Dichter sich der Rolle entkleidet, die er in Zürich<lb/> zu spielen hatte, und obgleich es seiner Eitelkeit unlieb war, gerade hier nicht<lb/> mit der Geltung seines Namens eingeführt zu sein, gab er sich fröhlich der<lb/> Begegnung hin.</p><lb/> <p xml:id="ID_3078" next="#ID_3079"> Der Doktor war unterdessen ausgefahren und als er mit flinken Rossen<lb/> von Steinen herauf kam, war es ein kleiner schwarzer Mann, der mit seiner<lb/> klugen Geschäftigkeit kaum zu der hohen Frau und ihrem Knaben zu passen<lb/> schien; doch war er nicht weniger freundlich gegen den Gast, so gab es unter<lb/> dem breiten Ahornbaum im Garten ein fröhliches Mahl, bei dem der Dichter<lb/> sich immer mehr für die blonde Doktorsfrau entzündete. Auch sie schien Wohl¬<lb/> gefallen an den: Fremdling zu finden, der so schwärmerisch von ihrer Landschaft,<lb/> vom Menschengeist, von Freundschaft und von der Liebe zu sprechen wußte,<lb/> obwohl sie sich mit der Verschiedenheit ihrer Sprache nicht immer gleich ver¬<lb/> ständigten. Als der Dichter durch einen Abend mit fernen Blitzen in seine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0630]
Der Brief des Dichters und das Rezept des Landammanns
durch die Spalten hinunter spähte, als ihn der Dichter überraschte. Der war
von dem schlanken Körper und der schönen Stellung so entzückt, als ob ihm in
der grünen Wildnis ein Götterkind begegnet wäre; er rief den Knaben, der sich
vor seinem Schritt noch flüchten wollte, mit scherzhaften Worten an und half
ihm treulich aus mit seinem Rock, so daß er hemdärmelig mit seinem Wander¬
gefährten nach Schwyz hinunterkam, wo der Dichter in den „Drei Eidgenossen"
eine saubere Herberge fand, indessen der Knabe, mit seinem Rock über dem
nackten Körper angetan, zu seinen Eltern ging, die wohlhabende Doktorsleute
waren und gegen Rickenbach hinauf in einem Landhaus wohnten. Sie waren
einfach genug, das Abenteuer ihres Sohnes lustig zu finden, und weil sie dem
hilfreichen Wanderer seinen Rock nicht nur mit einem Dank zurückgeben
wollten, kam der Dichter aufs freundlichste eingeladen in ein Haus, wo ihn
keiner kannte und wo ihm darum ein Erlebnis menschlicher als bei den Schön¬
geistern in Zürich begegnen konnte.
Er saß gerade von dem Staub der langen Wanderung gesäubert in dem
getäfelten Saal, die Abendmahlzeit abzuwarten, als mit dem Knaben — der
seinen Rock sorgfältig gefaltet trug — eine Frau herein trat, wie der von
schlankem Bau, nur höher und rotblond. Sie zeigte ganz die freie Art des
Knaben, gab ihm die Hand und lud ihn ein, das Nachtmahl in ihrem Garten
einzunehmen, wenn er nicht anders verpflichtet sei. Obwohl ihr Sohn, den sie
fast um Kopflänge überragte, im dreizehnten Jahr stand, war sie noch jung
und schien dem Dichter von so freier Anmut, wie er noch keine Frau gesehen
hatte. Er nahm die Einladung mit Freuden an und ging sogleich mit ihnen
durch den wohlgebauten Ort und grüne Matten zu dem Haus hinauf, das mit
zwei vorgebauten Gartenhäuschen auf der Mauer gleich einem Landschlößchen
dalag, obwohl es den breiten Giebel der Schwvzer Bürgerhäuser zeigte. Er
hatte seinen Namen dreimal sagen müssen, bevor sie ihn verstand; auch dann
schien sie nichts von ihm zu wissen, als daß der sonderbare Klang sie lächeln
machte. So sah der junge Dichter sich der Rolle entkleidet, die er in Zürich
zu spielen hatte, und obgleich es seiner Eitelkeit unlieb war, gerade hier nicht
mit der Geltung seines Namens eingeführt zu sein, gab er sich fröhlich der
Begegnung hin.
Der Doktor war unterdessen ausgefahren und als er mit flinken Rossen
von Steinen herauf kam, war es ein kleiner schwarzer Mann, der mit seiner
klugen Geschäftigkeit kaum zu der hohen Frau und ihrem Knaben zu passen
schien; doch war er nicht weniger freundlich gegen den Gast, so gab es unter
dem breiten Ahornbaum im Garten ein fröhliches Mahl, bei dem der Dichter
sich immer mehr für die blonde Doktorsfrau entzündete. Auch sie schien Wohl¬
gefallen an den: Fremdling zu finden, der so schwärmerisch von ihrer Landschaft,
vom Menschengeist, von Freundschaft und von der Liebe zu sprechen wußte,
obwohl sie sich mit der Verschiedenheit ihrer Sprache nicht immer gleich ver¬
ständigten. Als der Dichter durch einen Abend mit fernen Blitzen in seine
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