Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegel keinerlei Einzelfragen, die eine zeitweilige Verstärkung des Personals bei der Doch wie steht es mit den anderen Kandidaten? Für den Fernstehenden einigermaßen ernsthaft sieht die Kandidatur des Dann sind eine Reihe von Außenseitern genannt worden: Generalfeldmarschall Ein deutscher Botschafter ist zwar formell der Vertreter des Deutschen Reiches, Reichsspiegel keinerlei Einzelfragen, die eine zeitweilige Verstärkung des Personals bei der Doch wie steht es mit den anderen Kandidaten? Für den Fernstehenden einigermaßen ernsthaft sieht die Kandidatur des Dann sind eine Reihe von Außenseitern genannt worden: Generalfeldmarschall Ein deutscher Botschafter ist zwar formell der Vertreter des Deutschen Reiches, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0058" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322459"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_236" prev="#ID_235"> keinerlei Einzelfragen, die eine zeitweilige Verstärkung des Personals bei der<lb/> Botschaft in London notwendig machen. Schon die Tatsache, daß Herr von<lb/> Marschall einen langen Urlaub antreten konnte, beweist, daß dem so ist. Aber<lb/> schließlich gebietet es die Höflichkeit, den Posten eines Botschafters nicht gar zu<lb/> lange unbesetzt zu halten.</p><lb/> <p xml:id="ID_237"> Doch wie steht es mit den anderen Kandidaten?</p><lb/> <p xml:id="ID_238"> Für den Fernstehenden einigermaßen ernsthaft sieht die Kandidatur des<lb/> Grafen Bernstorff, derzeitigen Botschafter in Washington aus. Es scheint fast, als<lb/> seien es die Freunde aus Handel und Industrie, die sich den Grafen wünschen,<lb/> weil er ein unseren Exporteuren sehr sympathisches Wesen zeigt und stets geneigt<lb/> ist, in Handelssachen das gerade an ihn herantretende einzelne Geschäft zu<lb/> berücksichtigen. Dazu kommt noch, daß er als ein Mann von guten Beziehungen<lb/> zur englischen Gesellschaft gilt. Gegen seine Kandidatur spricht aber der Umstand,<lb/> daß Graf Bernstorff bei der nordamerikanischen Regierung recht gut eingeführt ist<lb/> und in Washington Fragen zu bearbeiten hat, die seinen Fähigkeiten liegen.<lb/> In London müßte er sich vollständig neu einarbeiten. Seine Versetzung würde<lb/> also zur Folge haben, daß auf zwei im Augenblick gleich bedeutsamen Posten je<lb/> ein mit den Spezialfragen nicht vertrauter Botschafter stände. So erscheint denn<lb/> die Kandidatur Bernstorff nicht wahrscheinlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_239"> Dann sind eine Reihe von Außenseitern genannt worden: Generalfeldmarschall<lb/> Freiherr von der Goltz, wahrscheinlich weil man glaubt, einen Orient-Spezialisten<lb/> in London haben zu müssen; Freiherr von Rechenberg, der sich einst als Gouverneur<lb/> von Ostafrika bemerkbar machte. Zu den Außenseitern darf man wohl auch Herrn<lb/> von Kiderlen rechnen, wenn auch in einem erweiterten Sinne. Er wird nicht<lb/> von seinen Freunden, wohl aber von seinen Gegnern auf jeden Botschafterposten<lb/> gewünscht, und so soll der Glaube erweckt werden, als läge sein Ehrgeiz tatsächlich<lb/> in dieser Richtung. Sicher wird Herr von Kiderlen auf jeden Posten gehen, auf<lb/> den ihn der Monarch entsendet; aber gegen die Londoner Kandidatur in diesem<lb/> Augenblick spricht doch ein wichtiges Moment: für die auswärtige Politik ver¬<lb/> antwortlich ist zwar Herr von Bethmann, aber dessen „Techniker" ist der Berufs¬<lb/> diplomat Kiderlen. Der Name des Herrn von Kiderlen bedeutet gewissermaßen ein<lb/> System, das nur der Techniker und Künstler handhaben kann, der es sich selbst<lb/> zurechtlegte. Die Berufung .Kiderlens' auf einen Botschasterposten müßte natür¬<lb/> licherweise eine Änderung des Systems zur Folge haben, selbst wenn die beste<lb/> Absicht bestände, es weiter zu führen. Da aber die Stellung eines Botschafters<lb/> abhängig ist von den in der Wilhelmstraße gegebenen Weisungen, so wäre es<lb/> nicht undenkbar, daß Herr von Kiderlen als Botschafter womöglich gezwungen<lb/> sein würde, Dinge auszuführen, die er gegenwärtig als Leiter der Zentrale als<lb/> falsch oder unzweckmäßig oder inopportun ablehnt. Ich kann mir nicht denken,<lb/> daß ein Charakter von der starken Prägung Kiderlens solch einen Wechsel tragen<lb/> würde, ohne Konzessionen durchzusetzen, die schon deshalb kaum gefordert und<lb/> gewährt werden könnten, weil sie mit der historisch begründeten Stellung der<lb/> kaiserlichen Botschafter kaum in Einklang zu bringen wären.</p><lb/> <p xml:id="ID_240" next="#ID_241"> Ein deutscher Botschafter ist zwar formell der Vertreter des Deutschen Reiches,<lb/> und als solcher dem Reichskanzler unterstellt, tatsächlich aber lediglich der<lb/> Mann des persönlichen Vertrauens des deutschen Kaisers, in dessen Person sich</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
Reichsspiegel
keinerlei Einzelfragen, die eine zeitweilige Verstärkung des Personals bei der
Botschaft in London notwendig machen. Schon die Tatsache, daß Herr von
Marschall einen langen Urlaub antreten konnte, beweist, daß dem so ist. Aber
schließlich gebietet es die Höflichkeit, den Posten eines Botschafters nicht gar zu
lange unbesetzt zu halten.
Doch wie steht es mit den anderen Kandidaten?
Für den Fernstehenden einigermaßen ernsthaft sieht die Kandidatur des
Grafen Bernstorff, derzeitigen Botschafter in Washington aus. Es scheint fast, als
seien es die Freunde aus Handel und Industrie, die sich den Grafen wünschen,
weil er ein unseren Exporteuren sehr sympathisches Wesen zeigt und stets geneigt
ist, in Handelssachen das gerade an ihn herantretende einzelne Geschäft zu
berücksichtigen. Dazu kommt noch, daß er als ein Mann von guten Beziehungen
zur englischen Gesellschaft gilt. Gegen seine Kandidatur spricht aber der Umstand,
daß Graf Bernstorff bei der nordamerikanischen Regierung recht gut eingeführt ist
und in Washington Fragen zu bearbeiten hat, die seinen Fähigkeiten liegen.
In London müßte er sich vollständig neu einarbeiten. Seine Versetzung würde
also zur Folge haben, daß auf zwei im Augenblick gleich bedeutsamen Posten je
ein mit den Spezialfragen nicht vertrauter Botschafter stände. So erscheint denn
die Kandidatur Bernstorff nicht wahrscheinlich.
Dann sind eine Reihe von Außenseitern genannt worden: Generalfeldmarschall
Freiherr von der Goltz, wahrscheinlich weil man glaubt, einen Orient-Spezialisten
in London haben zu müssen; Freiherr von Rechenberg, der sich einst als Gouverneur
von Ostafrika bemerkbar machte. Zu den Außenseitern darf man wohl auch Herrn
von Kiderlen rechnen, wenn auch in einem erweiterten Sinne. Er wird nicht
von seinen Freunden, wohl aber von seinen Gegnern auf jeden Botschafterposten
gewünscht, und so soll der Glaube erweckt werden, als läge sein Ehrgeiz tatsächlich
in dieser Richtung. Sicher wird Herr von Kiderlen auf jeden Posten gehen, auf
den ihn der Monarch entsendet; aber gegen die Londoner Kandidatur in diesem
Augenblick spricht doch ein wichtiges Moment: für die auswärtige Politik ver¬
antwortlich ist zwar Herr von Bethmann, aber dessen „Techniker" ist der Berufs¬
diplomat Kiderlen. Der Name des Herrn von Kiderlen bedeutet gewissermaßen ein
System, das nur der Techniker und Künstler handhaben kann, der es sich selbst
zurechtlegte. Die Berufung .Kiderlens' auf einen Botschasterposten müßte natür¬
licherweise eine Änderung des Systems zur Folge haben, selbst wenn die beste
Absicht bestände, es weiter zu führen. Da aber die Stellung eines Botschafters
abhängig ist von den in der Wilhelmstraße gegebenen Weisungen, so wäre es
nicht undenkbar, daß Herr von Kiderlen als Botschafter womöglich gezwungen
sein würde, Dinge auszuführen, die er gegenwärtig als Leiter der Zentrale als
falsch oder unzweckmäßig oder inopportun ablehnt. Ich kann mir nicht denken,
daß ein Charakter von der starken Prägung Kiderlens solch einen Wechsel tragen
würde, ohne Konzessionen durchzusetzen, die schon deshalb kaum gefordert und
gewährt werden könnten, weil sie mit der historisch begründeten Stellung der
kaiserlichen Botschafter kaum in Einklang zu bringen wären.
Ein deutscher Botschafter ist zwar formell der Vertreter des Deutschen Reiches,
und als solcher dem Reichskanzler unterstellt, tatsächlich aber lediglich der
Mann des persönlichen Vertrauens des deutschen Kaisers, in dessen Person sich
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