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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Zum Verständnis Friedrich Chopins

zu sprechen kommt. Die Ehrentitel hageln da nur so: "Probst ist ein Lump,
Plenck ist ein Dummkopf! Schlesinger aber ist ein noch schlimmerer Hund! Leo
ist ein Jude, so ein Schuft! Ich werde dem Juden einen kurzen Dankbrief
schreiben, daß er ihm in die Fersen fahren wird, (er fahre ihm hin, wo es
Dir beliebt.)" und in dem vorhin erwähnten Briefe heißt es: "Mach mir einen
Diener ausfindig. Amaren Frau Leo (das erstere wird Dir gewiß angenehmer
sein, ich erlasse Dir daher das zweite, wenn Du das erste ausführst.)"

Einem so beschaffenen Humor wohnt nicht die befreiende Kraft inne, das
Gemüt eines Menschen über das Leid des Lebens zu erheben. Und Chopin
litt. An sich schon von so krankhafter Reizbarkeit, daß er mehr wie jeder andere
Mensch mit den Nerven lebte, dessen Seele schon als Stoß empfand, was anderen
kaum leise Berührung dünkte, litt er an dem heimlichen Weh um sein ver¬
lorenes Vaterland, an seiner Herzenseinsamkeit und dem Bewußtsein der steten
Zunahme seines physischen Leidens. So mußte namentlich Fernerstehenden sein
Wesen sprunghaft, launisch erscheinen, als eine Synthese von Gegensätzen, die
eben nur durch eine ihm selbst eigene Logik zusammengehalten werden. Wie
alle nervösen, feministisch angelegten Naturen, war er im hohen Maße seinen
Stimmungen unterworfen, die sich in Momenten besonders starker seelischer
Erregung zu visionären Zuständen verdichteten. Bis zu welchem Grade der
Selbstobjektivierung seine glühende Phantasie sich dann erhitzen konnte, davon
zeugt ein Vorfall während des Aufenthalts in Malorka. Frau Sand hatte
mit ihren Kindern einen Ausflug gemacht, während dessen ein starkes Unwetter
losging. Chopin war daheim geblieben, weil er sich nicht wohl fühlte, nun
geriet er in furchtbare Aufregung, er sah sie schon tot und konnte schließlich den
Traum von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden. Am Klavier hatte er
sich beruhigt und getröstet, überzeugt, daß er selbst tot sei. Er sah sich in
einem See ertrunken, schwere eisige Wassertropfen fielen auf seine Brust, und
als Frau Sand, die inzwischen glücklich heimgekommen war, auf die gleich¬
mäßig auf das Dach fallenden Regentropfen aufmerksam machte, leugnete er
das gehört zu haben. Es ist die gleiche Erscheinung, wie sie uns schon in den
wilden Phantasmagorien seines Stuttgarter Tagebuches entgegengetreten ist. --

Dieser so eigenartige, mit einem Nervensystem von unerhörter Reizsamkeit
und einer überreichen Phantasie begabte Mensch ist nnn ein Tondichter, der schon
als Jüngling den vielleicht allzu kühnen, aber edlen Willen hat -- so schreibt
er 1831 an seinen mit großer Dankbarkeit verehrten Warschauer Lehrer Elsner --,
sich eine neue Welt zu schaffen. Indem er für seine höchst differenzierten Seelen¬
zustände vollgültigen Ausdruck suchte, in einer Sprache, die imstande ist, ohne
jedes begriffliche Hilfsmittel die Empfindung an sich wiederzugeben, mußte er
zum Schöpfer einer ihm nur selbst eigenen Musik werden, bei der die völlige
Untrennbarst eines im höchsten Maße subjektiven Inhalts von der dafür
gefundenen, vielfach improvisatorischen Form sofort in die Augen fällt. In
der Tat stehen wir hier vor einer völlig neuen Kunst: neben Richard Wagner


Zum Verständnis Friedrich Chopins

zu sprechen kommt. Die Ehrentitel hageln da nur so: „Probst ist ein Lump,
Plenck ist ein Dummkopf! Schlesinger aber ist ein noch schlimmerer Hund! Leo
ist ein Jude, so ein Schuft! Ich werde dem Juden einen kurzen Dankbrief
schreiben, daß er ihm in die Fersen fahren wird, (er fahre ihm hin, wo es
Dir beliebt.)" und in dem vorhin erwähnten Briefe heißt es: „Mach mir einen
Diener ausfindig. Amaren Frau Leo (das erstere wird Dir gewiß angenehmer
sein, ich erlasse Dir daher das zweite, wenn Du das erste ausführst.)"

Einem so beschaffenen Humor wohnt nicht die befreiende Kraft inne, das
Gemüt eines Menschen über das Leid des Lebens zu erheben. Und Chopin
litt. An sich schon von so krankhafter Reizbarkeit, daß er mehr wie jeder andere
Mensch mit den Nerven lebte, dessen Seele schon als Stoß empfand, was anderen
kaum leise Berührung dünkte, litt er an dem heimlichen Weh um sein ver¬
lorenes Vaterland, an seiner Herzenseinsamkeit und dem Bewußtsein der steten
Zunahme seines physischen Leidens. So mußte namentlich Fernerstehenden sein
Wesen sprunghaft, launisch erscheinen, als eine Synthese von Gegensätzen, die
eben nur durch eine ihm selbst eigene Logik zusammengehalten werden. Wie
alle nervösen, feministisch angelegten Naturen, war er im hohen Maße seinen
Stimmungen unterworfen, die sich in Momenten besonders starker seelischer
Erregung zu visionären Zuständen verdichteten. Bis zu welchem Grade der
Selbstobjektivierung seine glühende Phantasie sich dann erhitzen konnte, davon
zeugt ein Vorfall während des Aufenthalts in Malorka. Frau Sand hatte
mit ihren Kindern einen Ausflug gemacht, während dessen ein starkes Unwetter
losging. Chopin war daheim geblieben, weil er sich nicht wohl fühlte, nun
geriet er in furchtbare Aufregung, er sah sie schon tot und konnte schließlich den
Traum von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden. Am Klavier hatte er
sich beruhigt und getröstet, überzeugt, daß er selbst tot sei. Er sah sich in
einem See ertrunken, schwere eisige Wassertropfen fielen auf seine Brust, und
als Frau Sand, die inzwischen glücklich heimgekommen war, auf die gleich¬
mäßig auf das Dach fallenden Regentropfen aufmerksam machte, leugnete er
das gehört zu haben. Es ist die gleiche Erscheinung, wie sie uns schon in den
wilden Phantasmagorien seines Stuttgarter Tagebuches entgegengetreten ist. —

Dieser so eigenartige, mit einem Nervensystem von unerhörter Reizsamkeit
und einer überreichen Phantasie begabte Mensch ist nnn ein Tondichter, der schon
als Jüngling den vielleicht allzu kühnen, aber edlen Willen hat — so schreibt
er 1831 an seinen mit großer Dankbarkeit verehrten Warschauer Lehrer Elsner —,
sich eine neue Welt zu schaffen. Indem er für seine höchst differenzierten Seelen¬
zustände vollgültigen Ausdruck suchte, in einer Sprache, die imstande ist, ohne
jedes begriffliche Hilfsmittel die Empfindung an sich wiederzugeben, mußte er
zum Schöpfer einer ihm nur selbst eigenen Musik werden, bei der die völlige
Untrennbarst eines im höchsten Maße subjektiven Inhalts von der dafür
gefundenen, vielfach improvisatorischen Form sofort in die Augen fällt. In
der Tat stehen wir hier vor einer völlig neuen Kunst: neben Richard Wagner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/571>, abgerufen am 15.01.2025.