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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Die Erneuerung des Dreibundes

für die Dauer und damit auch für den erhöhten Wert des Vertrages. Das
scheint alles beinahe selbstverständlich, und doch wird es bei den landläufigen
Urteilen über den Dreibund und die Pflichten der Dreibundmitglteder oft genug
nicht in Betracht gezogen. Für Österreich - Ungarn wäre der Dreibund nichts
wert, wenn es dadurch in der Wahrnehmung seiner Onentinteressen beengt würde;
Deutschland würde durch die Bündnisverpflichtung schwer geschädigt, wenn es
durch sie an einer freundschaftlichen Verständigung mit Nußland gehindert
würde; Italien müßte sich für eine Bundesgenossenschaft bedanken, die ihm die
Bewegungsfreiheit als Mittelmeermacht raubte. Dagegen bedingt das genau
stipulierte Zusammengehen in bestimmten Fällen ein gegenseitiges Vertrauens¬
verhältnis zwischen den beteiligten Mächten und eine klar zu umschreibende
Interessengemeinschaft, die auch auf andere politische Fragen zurückwirkt und so
eine freiwillige Erweiterung der Dreibundverpflichtung darstellt, die für die
Stetigkeit und Friedfertigkeit der europäischen Politik nur vorteilhaft sein kann.
So wenigstens hat sich die Dreibundpolitik in der Praxis gestaltet.

Man sagt, Bismarck habe 1866 den künftigen Dreibund schon voraus¬
geahnt und deshalb dafür gesorgt, daß Österreich aus dem verlorenen Feldzug
uicht das Gefühl einer seine Kriegerehre verletzenden und seine Großmachtstellung
gefährdenden Demütigung davontrage. Nach Bismarcks eigenen Schilderungen
hat ihm aber dabei weniger der Gedanke einer besonderen Verbrüderung mit
Österreich - Ungarn als vielmehr ein künftiges Dreikaiferbündnis vorgeschwebt,
eine zeitgemäße Wiederbelebung der heiligen Allianz, -- befreit natürlich von
der Mystik und Romantik früherer Tage, von den legitimistischen Schrullen und
der übereifriger Bevormundungs- und Jnterventionssucht, aber doch wie ihre
Vorgängerin ein Hort der monarchischen Staatsidee gegen republikanische, radi¬
kale und sozialistische Tendenzen. Bismarck hat diesen Lieblingsgedanken nur
unvollkommen und vorübergehend ausführen können. Die Orientverwicklung der
siebziger Jahre trat dazwischen, nachdem Bismarck schon vorher durch die Mißgunst
Gortschakows in seinen Versuchen, mit Rußland in das gewünschte Verhältnis
zu kommen, bitter enttäuscht worden war. Diese Enttäuschungen häuften sich
nach den Erfahrungen des Berliner Kongresses, wo Bismarcks Versuche, Nu߬
land zur Erfüllung seiner Wünsche zu verhelfen, nur den Erfolg hatten, daß
er von den Russen zum Sündenbock ihrer eigenen Fehler gemacht wurde. Ihm
wurde es in die Schuhe geschoben, daß Rußland nach der Ansicht der pan-
slavistischen und nationalistischen Heißsporne schlecht abschnitt. Bismarck sah
sich also einer russischen Feindseligkeit gegenüber, von der er wohl erkannte,
daß sie nicht den Charakter einer vorübergehenden Verstimmung trug, sondern
ein Faktor war, mit dem man fortan rechnen mußte. Und da inzwischen die
Entwicklung der Orientangelegenheit auch einen Gegensatz oder mindestens eine
Rivalität zwischen den österreichischen und russischen Balkaninteressen geschaffen
hatte, so sah sich Bismarck jetzt in der Lage -- wie er sich ausdrückte --,
zwischen Rußland und Österreich-Ungarn optieren zu müssen. Ein drohendes


Die Erneuerung des Dreibundes

für die Dauer und damit auch für den erhöhten Wert des Vertrages. Das
scheint alles beinahe selbstverständlich, und doch wird es bei den landläufigen
Urteilen über den Dreibund und die Pflichten der Dreibundmitglteder oft genug
nicht in Betracht gezogen. Für Österreich - Ungarn wäre der Dreibund nichts
wert, wenn es dadurch in der Wahrnehmung seiner Onentinteressen beengt würde;
Deutschland würde durch die Bündnisverpflichtung schwer geschädigt, wenn es
durch sie an einer freundschaftlichen Verständigung mit Nußland gehindert
würde; Italien müßte sich für eine Bundesgenossenschaft bedanken, die ihm die
Bewegungsfreiheit als Mittelmeermacht raubte. Dagegen bedingt das genau
stipulierte Zusammengehen in bestimmten Fällen ein gegenseitiges Vertrauens¬
verhältnis zwischen den beteiligten Mächten und eine klar zu umschreibende
Interessengemeinschaft, die auch auf andere politische Fragen zurückwirkt und so
eine freiwillige Erweiterung der Dreibundverpflichtung darstellt, die für die
Stetigkeit und Friedfertigkeit der europäischen Politik nur vorteilhaft sein kann.
So wenigstens hat sich die Dreibundpolitik in der Praxis gestaltet.

Man sagt, Bismarck habe 1866 den künftigen Dreibund schon voraus¬
geahnt und deshalb dafür gesorgt, daß Österreich aus dem verlorenen Feldzug
uicht das Gefühl einer seine Kriegerehre verletzenden und seine Großmachtstellung
gefährdenden Demütigung davontrage. Nach Bismarcks eigenen Schilderungen
hat ihm aber dabei weniger der Gedanke einer besonderen Verbrüderung mit
Österreich - Ungarn als vielmehr ein künftiges Dreikaiferbündnis vorgeschwebt,
eine zeitgemäße Wiederbelebung der heiligen Allianz, — befreit natürlich von
der Mystik und Romantik früherer Tage, von den legitimistischen Schrullen und
der übereifriger Bevormundungs- und Jnterventionssucht, aber doch wie ihre
Vorgängerin ein Hort der monarchischen Staatsidee gegen republikanische, radi¬
kale und sozialistische Tendenzen. Bismarck hat diesen Lieblingsgedanken nur
unvollkommen und vorübergehend ausführen können. Die Orientverwicklung der
siebziger Jahre trat dazwischen, nachdem Bismarck schon vorher durch die Mißgunst
Gortschakows in seinen Versuchen, mit Rußland in das gewünschte Verhältnis
zu kommen, bitter enttäuscht worden war. Diese Enttäuschungen häuften sich
nach den Erfahrungen des Berliner Kongresses, wo Bismarcks Versuche, Nu߬
land zur Erfüllung seiner Wünsche zu verhelfen, nur den Erfolg hatten, daß
er von den Russen zum Sündenbock ihrer eigenen Fehler gemacht wurde. Ihm
wurde es in die Schuhe geschoben, daß Rußland nach der Ansicht der pan-
slavistischen und nationalistischen Heißsporne schlecht abschnitt. Bismarck sah
sich also einer russischen Feindseligkeit gegenüber, von der er wohl erkannte,
daß sie nicht den Charakter einer vorübergehenden Verstimmung trug, sondern
ein Faktor war, mit dem man fortan rechnen mußte. Und da inzwischen die
Entwicklung der Orientangelegenheit auch einen Gegensatz oder mindestens eine
Rivalität zwischen den österreichischen und russischen Balkaninteressen geschaffen
hatte, so sah sich Bismarck jetzt in der Lage — wie er sich ausdrückte —,
zwischen Rußland und Österreich-Ungarn optieren zu müssen. Ein drohendes


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[0561] Die Erneuerung des Dreibundes für die Dauer und damit auch für den erhöhten Wert des Vertrages. Das scheint alles beinahe selbstverständlich, und doch wird es bei den landläufigen Urteilen über den Dreibund und die Pflichten der Dreibundmitglteder oft genug nicht in Betracht gezogen. Für Österreich - Ungarn wäre der Dreibund nichts wert, wenn es dadurch in der Wahrnehmung seiner Onentinteressen beengt würde; Deutschland würde durch die Bündnisverpflichtung schwer geschädigt, wenn es durch sie an einer freundschaftlichen Verständigung mit Nußland gehindert würde; Italien müßte sich für eine Bundesgenossenschaft bedanken, die ihm die Bewegungsfreiheit als Mittelmeermacht raubte. Dagegen bedingt das genau stipulierte Zusammengehen in bestimmten Fällen ein gegenseitiges Vertrauens¬ verhältnis zwischen den beteiligten Mächten und eine klar zu umschreibende Interessengemeinschaft, die auch auf andere politische Fragen zurückwirkt und so eine freiwillige Erweiterung der Dreibundverpflichtung darstellt, die für die Stetigkeit und Friedfertigkeit der europäischen Politik nur vorteilhaft sein kann. So wenigstens hat sich die Dreibundpolitik in der Praxis gestaltet. Man sagt, Bismarck habe 1866 den künftigen Dreibund schon voraus¬ geahnt und deshalb dafür gesorgt, daß Österreich aus dem verlorenen Feldzug uicht das Gefühl einer seine Kriegerehre verletzenden und seine Großmachtstellung gefährdenden Demütigung davontrage. Nach Bismarcks eigenen Schilderungen hat ihm aber dabei weniger der Gedanke einer besonderen Verbrüderung mit Österreich - Ungarn als vielmehr ein künftiges Dreikaiferbündnis vorgeschwebt, eine zeitgemäße Wiederbelebung der heiligen Allianz, — befreit natürlich von der Mystik und Romantik früherer Tage, von den legitimistischen Schrullen und der übereifriger Bevormundungs- und Jnterventionssucht, aber doch wie ihre Vorgängerin ein Hort der monarchischen Staatsidee gegen republikanische, radi¬ kale und sozialistische Tendenzen. Bismarck hat diesen Lieblingsgedanken nur unvollkommen und vorübergehend ausführen können. Die Orientverwicklung der siebziger Jahre trat dazwischen, nachdem Bismarck schon vorher durch die Mißgunst Gortschakows in seinen Versuchen, mit Rußland in das gewünschte Verhältnis zu kommen, bitter enttäuscht worden war. Diese Enttäuschungen häuften sich nach den Erfahrungen des Berliner Kongresses, wo Bismarcks Versuche, Nu߬ land zur Erfüllung seiner Wünsche zu verhelfen, nur den Erfolg hatten, daß er von den Russen zum Sündenbock ihrer eigenen Fehler gemacht wurde. Ihm wurde es in die Schuhe geschoben, daß Rußland nach der Ansicht der pan- slavistischen und nationalistischen Heißsporne schlecht abschnitt. Bismarck sah sich also einer russischen Feindseligkeit gegenüber, von der er wohl erkannte, daß sie nicht den Charakter einer vorübergehenden Verstimmung trug, sondern ein Faktor war, mit dem man fortan rechnen mußte. Und da inzwischen die Entwicklung der Orientangelegenheit auch einen Gegensatz oder mindestens eine Rivalität zwischen den österreichischen und russischen Balkaninteressen geschaffen hatte, so sah sich Bismarck jetzt in der Lage — wie er sich ausdrückte —, zwischen Rußland und Österreich-Ungarn optieren zu müssen. Ein drohendes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/561>, abgerufen am 15.01.2025.