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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

in Tokyo. Das Berliner Museum für Völker¬
kunde besitzt einige Nachbildungen.

Also, bereits um Christi Geburt ist nach
dem "Nihongi" jener cmimistische grauen¬
volle Gebrauch abgeschafft worden; und wir
hätten keinen Grund, daran zu zweifeln,
wenn man 1. für jene Zeit überhaupt schon
von japanischer "Geschichte" reden könnte, und
wenn 2. nicht die chinesischen (und korea¬
nischen) Annalen wären. Die Wei-Annalen
berichten nun aus dem Jahre 247: "Zu
dieser Zeit starb die ^japanische) Königin
Himeko" (übrigens höchstwahrscheinlich das
Urbild der sagenberühmten Kaiserin Jingo
Kvgo, der angeblichen Eroberin Koreas, 200),
"ein großer Hügel wurde über ihr errichtet,
und mehr als hundert ihrer männlichen und
weiblichen Dienerschaft folgten ihr in den
Tod." Ob freiwillig oder gezwungen, durch
Selbstmord oder Getötetwerden, wird nicht
gesagt, sicher ist aber: Totenopfer im eigent¬
lichen Sinne wurden in Japan noch um die
Mitte des dritten nachchristlichen Jahrhunderts
dargebracht, und dasselbe "Nihongi", das von
ihrer angeblichen Abschaffung um Christi
Geburt spricht, bringt aus dem Jahre 646,
im hellen Lichte der Geschichte, einen Erlaß
des Kaisers Kotoku (646 bis 6S4), in dem
°s heißt: "Gelegentlich des Ablebens von
Menschen haben sich Fälle ereignet, daß ihnen
nahestehende Personen sich selbst oder andere
erdrosselten, um ihnen in den Tod zu folgen,
oder das Pferd des Verblichenen dem Tode
weihten . . . oder sich das Haar abschnitten
oder die Daumen verstümmelten und dabei
den Toten Priesen. Mit all' solchen alten
Gebräuchen soll völlig aufgehört werden/'
Aber ungefähr siebenhundert Jahre später
kam die Sitte auf, dem Lehnsherrn durch
Harakiri in den Tod zu folgen, und Siebold
behauptet, die Totenopfer in jenem ältesten
Sinne hätten sich bis zu Taikos, das ist
Hideyoshis, Zeiten, bis zum Ende des sech¬
zehnten Jahrhunderts erhalten. Jedenfalls
begingen damals noch fünf Vasallen eines
jung verstorbenen Sohnes Tokugawa Ueyasus
Harakiri, und Wohl im Zusammenhang mit
diesem Vorkommnis in seiner Familie schärfte
Ueyasu 161S den Samurai aufs neue

[Spaltenumbruch]

nachdrücklichst das Verbot ein, sich ans dem
Grabe ihres Herrn zu töten oder zu ver¬
stümmeln: "Obgleich es zweifellos eine ur¬
alte Sitte ist, daß ein Vasall seinem Herrn
in den Tod folgt, hat dieser Brauch doch keine
Berechtigung. . . . Diese Bräuche werden
strengstens untersagt. . . . Wer dies Verbot
mißachtet, ist das gerade Gegenteil eines
treuen Dieners. Seine Nachkommen werden
durch die Einziehung seiner Besitztümer zur
Armut herabsinken, als Warnung für die¬
jenigen, die den Gesetzen ungehorsam sind."
Trotz alledem und alledem verübten sieben-
und dreißig Jahre später, beim Tode Uemitsus,
des dritten Tokugawa-Shoguns, zwei ausdrück¬
lich mit Namen genannte Dciimyos "Junschi" :
Das Sterben mit dem Herrn, und erst 1664
machte Jeyasus Urenkel Jetsuna mit jenem
Verbote Ernst: Die Ländereien des Über¬
treters wurden eingezogen, zwei seiner Söhne
hingerichtet und die übrigen Fcimilienmit-
glieder verbannt. Das berühmte Harakiri
der "siebenundvierzig Ronin" von 1703
gehört nicht hierher, aber noch im japanischen
Schicksalsjahre 1868 ereignete sich ein Fall von
Selbstmord am Grabe deS Herrn, Lafcadio
Hearn spricht von einzelnen Fällen sogar noch
in der eben hinter uns liegenden Meji-Ära,
und den letzten haben wir im September 1912
"schaudernd selbst erlebt".

In diesen Zusammenhängen muß die Tat
Nogis betrachtet werden: ewiger Kriegsruhm
umstrahlt ihn anch in den Augen der Euro¬
päer, aber vielleicht noch unvergänglicher,
noch leuchtender ist für seine Landsleute die
Gloriole, die er sich durch seine Selbstopferung
ums Haupt gezogen hat: im Leben wie im
Tode "ein treuer Diener seines Herrn"!

Die moderne Negierung mißbilligt den
Selbstmord ausdrücklich in dein amtlichen
Lehrbuch des Muralunterrichts. Ein Dr. Ua-
makawa wandte sich gegen die "Ethik des
Selbstmordes", sah sich aber von der stür¬
misch erregten öffentlichen Meinung gezwun¬
gen, sein Universitätsamt niederzulegen. End¬
lich soll dem japanischen Reichstag neuerdings
ein Antrag zugegangen sein, das Harakiri
wieder offiziell zuzulassenI

Dr. Max Biifing-Friedenau [Ende Spaltensatz]


Maßgebliches und Unmaßgebliches

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in Tokyo. Das Berliner Museum für Völker¬
kunde besitzt einige Nachbildungen.

Also, bereits um Christi Geburt ist nach
dem „Nihongi" jener cmimistische grauen¬
volle Gebrauch abgeschafft worden; und wir
hätten keinen Grund, daran zu zweifeln,
wenn man 1. für jene Zeit überhaupt schon
von japanischer „Geschichte" reden könnte, und
wenn 2. nicht die chinesischen (und korea¬
nischen) Annalen wären. Die Wei-Annalen
berichten nun aus dem Jahre 247: „Zu
dieser Zeit starb die ^japanische) Königin
Himeko" (übrigens höchstwahrscheinlich das
Urbild der sagenberühmten Kaiserin Jingo
Kvgo, der angeblichen Eroberin Koreas, 200),
„ein großer Hügel wurde über ihr errichtet,
und mehr als hundert ihrer männlichen und
weiblichen Dienerschaft folgten ihr in den
Tod." Ob freiwillig oder gezwungen, durch
Selbstmord oder Getötetwerden, wird nicht
gesagt, sicher ist aber: Totenopfer im eigent¬
lichen Sinne wurden in Japan noch um die
Mitte des dritten nachchristlichen Jahrhunderts
dargebracht, und dasselbe „Nihongi", das von
ihrer angeblichen Abschaffung um Christi
Geburt spricht, bringt aus dem Jahre 646,
im hellen Lichte der Geschichte, einen Erlaß
des Kaisers Kotoku (646 bis 6S4), in dem
°s heißt: „Gelegentlich des Ablebens von
Menschen haben sich Fälle ereignet, daß ihnen
nahestehende Personen sich selbst oder andere
erdrosselten, um ihnen in den Tod zu folgen,
oder das Pferd des Verblichenen dem Tode
weihten . . . oder sich das Haar abschnitten
oder die Daumen verstümmelten und dabei
den Toten Priesen. Mit all' solchen alten
Gebräuchen soll völlig aufgehört werden/'
Aber ungefähr siebenhundert Jahre später
kam die Sitte auf, dem Lehnsherrn durch
Harakiri in den Tod zu folgen, und Siebold
behauptet, die Totenopfer in jenem ältesten
Sinne hätten sich bis zu Taikos, das ist
Hideyoshis, Zeiten, bis zum Ende des sech¬
zehnten Jahrhunderts erhalten. Jedenfalls
begingen damals noch fünf Vasallen eines
jung verstorbenen Sohnes Tokugawa Ueyasus
Harakiri, und Wohl im Zusammenhang mit
diesem Vorkommnis in seiner Familie schärfte
Ueyasu 161S den Samurai aufs neue

[Spaltenumbruch]

nachdrücklichst das Verbot ein, sich ans dem
Grabe ihres Herrn zu töten oder zu ver¬
stümmeln: „Obgleich es zweifellos eine ur¬
alte Sitte ist, daß ein Vasall seinem Herrn
in den Tod folgt, hat dieser Brauch doch keine
Berechtigung. . . . Diese Bräuche werden
strengstens untersagt. . . . Wer dies Verbot
mißachtet, ist das gerade Gegenteil eines
treuen Dieners. Seine Nachkommen werden
durch die Einziehung seiner Besitztümer zur
Armut herabsinken, als Warnung für die¬
jenigen, die den Gesetzen ungehorsam sind."
Trotz alledem und alledem verübten sieben-
und dreißig Jahre später, beim Tode Uemitsus,
des dritten Tokugawa-Shoguns, zwei ausdrück¬
lich mit Namen genannte Dciimyos „Junschi" :
Das Sterben mit dem Herrn, und erst 1664
machte Jeyasus Urenkel Jetsuna mit jenem
Verbote Ernst: Die Ländereien des Über¬
treters wurden eingezogen, zwei seiner Söhne
hingerichtet und die übrigen Fcimilienmit-
glieder verbannt. Das berühmte Harakiri
der „siebenundvierzig Ronin" von 1703
gehört nicht hierher, aber noch im japanischen
Schicksalsjahre 1868 ereignete sich ein Fall von
Selbstmord am Grabe deS Herrn, Lafcadio
Hearn spricht von einzelnen Fällen sogar noch
in der eben hinter uns liegenden Meji-Ära,
und den letzten haben wir im September 1912
„schaudernd selbst erlebt".

In diesen Zusammenhängen muß die Tat
Nogis betrachtet werden: ewiger Kriegsruhm
umstrahlt ihn anch in den Augen der Euro¬
päer, aber vielleicht noch unvergänglicher,
noch leuchtender ist für seine Landsleute die
Gloriole, die er sich durch seine Selbstopferung
ums Haupt gezogen hat: im Leben wie im
Tode „ein treuer Diener seines Herrn"!

Die moderne Negierung mißbilligt den
Selbstmord ausdrücklich in dein amtlichen
Lehrbuch des Muralunterrichts. Ein Dr. Ua-
makawa wandte sich gegen die „Ethik des
Selbstmordes", sah sich aber von der stür¬
misch erregten öffentlichen Meinung gezwun¬
gen, sein Universitätsamt niederzulegen. End¬
lich soll dem japanischen Reichstag neuerdings
ein Antrag zugegangen sein, das Harakiri
wieder offiziell zuzulassenI

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[0055] Maßgebliches und Unmaßgebliches in Tokyo. Das Berliner Museum für Völker¬ kunde besitzt einige Nachbildungen. Also, bereits um Christi Geburt ist nach dem „Nihongi" jener cmimistische grauen¬ volle Gebrauch abgeschafft worden; und wir hätten keinen Grund, daran zu zweifeln, wenn man 1. für jene Zeit überhaupt schon von japanischer „Geschichte" reden könnte, und wenn 2. nicht die chinesischen (und korea¬ nischen) Annalen wären. Die Wei-Annalen berichten nun aus dem Jahre 247: „Zu dieser Zeit starb die ^japanische) Königin Himeko" (übrigens höchstwahrscheinlich das Urbild der sagenberühmten Kaiserin Jingo Kvgo, der angeblichen Eroberin Koreas, 200), „ein großer Hügel wurde über ihr errichtet, und mehr als hundert ihrer männlichen und weiblichen Dienerschaft folgten ihr in den Tod." Ob freiwillig oder gezwungen, durch Selbstmord oder Getötetwerden, wird nicht gesagt, sicher ist aber: Totenopfer im eigent¬ lichen Sinne wurden in Japan noch um die Mitte des dritten nachchristlichen Jahrhunderts dargebracht, und dasselbe „Nihongi", das von ihrer angeblichen Abschaffung um Christi Geburt spricht, bringt aus dem Jahre 646, im hellen Lichte der Geschichte, einen Erlaß des Kaisers Kotoku (646 bis 6S4), in dem °s heißt: „Gelegentlich des Ablebens von Menschen haben sich Fälle ereignet, daß ihnen nahestehende Personen sich selbst oder andere erdrosselten, um ihnen in den Tod zu folgen, oder das Pferd des Verblichenen dem Tode weihten . . . oder sich das Haar abschnitten oder die Daumen verstümmelten und dabei den Toten Priesen. Mit all' solchen alten Gebräuchen soll völlig aufgehört werden/' Aber ungefähr siebenhundert Jahre später kam die Sitte auf, dem Lehnsherrn durch Harakiri in den Tod zu folgen, und Siebold behauptet, die Totenopfer in jenem ältesten Sinne hätten sich bis zu Taikos, das ist Hideyoshis, Zeiten, bis zum Ende des sech¬ zehnten Jahrhunderts erhalten. Jedenfalls begingen damals noch fünf Vasallen eines jung verstorbenen Sohnes Tokugawa Ueyasus Harakiri, und Wohl im Zusammenhang mit diesem Vorkommnis in seiner Familie schärfte Ueyasu 161S den Samurai aufs neue nachdrücklichst das Verbot ein, sich ans dem Grabe ihres Herrn zu töten oder zu ver¬ stümmeln: „Obgleich es zweifellos eine ur¬ alte Sitte ist, daß ein Vasall seinem Herrn in den Tod folgt, hat dieser Brauch doch keine Berechtigung. . . . Diese Bräuche werden strengstens untersagt. . . . Wer dies Verbot mißachtet, ist das gerade Gegenteil eines treuen Dieners. Seine Nachkommen werden durch die Einziehung seiner Besitztümer zur Armut herabsinken, als Warnung für die¬ jenigen, die den Gesetzen ungehorsam sind." Trotz alledem und alledem verübten sieben- und dreißig Jahre später, beim Tode Uemitsus, des dritten Tokugawa-Shoguns, zwei ausdrück¬ lich mit Namen genannte Dciimyos „Junschi" : Das Sterben mit dem Herrn, und erst 1664 machte Jeyasus Urenkel Jetsuna mit jenem Verbote Ernst: Die Ländereien des Über¬ treters wurden eingezogen, zwei seiner Söhne hingerichtet und die übrigen Fcimilienmit- glieder verbannt. Das berühmte Harakiri der „siebenundvierzig Ronin" von 1703 gehört nicht hierher, aber noch im japanischen Schicksalsjahre 1868 ereignete sich ein Fall von Selbstmord am Grabe deS Herrn, Lafcadio Hearn spricht von einzelnen Fällen sogar noch in der eben hinter uns liegenden Meji-Ära, und den letzten haben wir im September 1912 „schaudernd selbst erlebt". In diesen Zusammenhängen muß die Tat Nogis betrachtet werden: ewiger Kriegsruhm umstrahlt ihn anch in den Augen der Euro¬ päer, aber vielleicht noch unvergänglicher, noch leuchtender ist für seine Landsleute die Gloriole, die er sich durch seine Selbstopferung ums Haupt gezogen hat: im Leben wie im Tode „ein treuer Diener seines Herrn"! Die moderne Negierung mißbilligt den Selbstmord ausdrücklich in dein amtlichen Lehrbuch des Muralunterrichts. Ein Dr. Ua- makawa wandte sich gegen die „Ethik des Selbstmordes", sah sich aber von der stür¬ misch erregten öffentlichen Meinung gezwun¬ gen, sein Universitätsamt niederzulegen. End¬ lich soll dem japanischen Reichstag neuerdings ein Antrag zugegangen sein, das Harakiri wieder offiziell zuzulassenI Dr. Max Biifing-Friedenau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/55>, abgerufen am 15.01.2025.