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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl Salzer

Es ist der Schmiedegeselle. Er geht einige Schritte neben dem Sohne seines
früheren Meisters her und erkundigt sich nach diesem und jenem und auch nach
Tante Seelchen; ob sie auch auf die Kerb in Spelzheim wäre. Nein, nicht; sie
wäre eingeladen worden, aber bis jetzt sei sie noch nicht da, und sie werde wohl
auch nicht kommen. In acht Tagen ginge er, der Karl, wieder hinüber nach
Pfeddersheim. Da ist der Geselle sehr erstaunt, daß Karl auf einem so hohen
Feiertag, wie es die in acht Tagen stattfindende Nachkirchweihe ist, nicht im Dorfe
bleiben will.

Vor dem Wirtshaus "Zum Grünen Baum" macht der Zug Halt. Die
Kapelle schwenkt seitlich ab und stellt sich auf die andere Straßenseite. Eine
Leiter wird herbeigeholt. Der eine Bursche steigt hinauf, steckt den Kerwebaum
auf den aus der Mauerecke springenden eisernen Arm, an den er auch den
Kerwekranz hängt. In einer fast endlosen Reihe von launigen Versen preist er
dann die Kerb, die Kerwegäste, ermahnt die Burschen und die Mädchen, recht
brav zu sein und nicht im Dunkeln spazieren zu gehen. Der Refrain einer jeden
Strophe heißt:

So viel Verse er spricht, so viel Gläser Wein gießt er auch hinunter. Eine
erkleckliche Anzahl. Und schließlich das Ende:

Er läßt sich sein Glas abermals füllen und begießt den Kranz mit dem
perlenden Naß. Zuletzt zerschellt er das Glas auf dem Straßenpflaster, und der
ganze Zug begibt sich in den Tanzsaal.

Der Geselle nimmt Karl beim Arm und zieht ihn mit, obwohl er sich
heftig wehrt:

"Willem, ich tanz net, das mach ich dies Jahr net, wo mein Vater erst so
kurz tot ist!"

"Brauchst ja auch net zu tanze, hock dich hin und guck mi"

Karl läßt sich an einen Tisch niederdrücken und bestellt sich eine Flasche Wein.

Es kommen etliche seiner früheren Kameraden. Aber sie setzen sich an einen
anderen Tisch. Willem, der Geselle, sieht es. Als Kerwebursche hat er auch auf
Ordnung im Saale zu sehen. Er bedeutet den jungen Kerlen, daß die Tische der
Reihe nach gefüllt werden müßten. Da entgegnen sie, zu dem Karl Salzer setzten
sie sich nicht. Wenn der Wirt ein Kerl wär, schmisse er den überhaupt hinaus.
Willem antwortet, dem Wirte sei es gleichgültig, wem er seinen Wein verkaufe,
und zudem, was der Karl Salzer ihnen getan habe? Na, das wär doch eine
alte Supp; ob dem sein Vater denn nicht die Kasse bestohlen hätte? Willem
dagegen: wenn der Vater das getan hätte, dann brauchte man es doch den Sohn
nicht entgelten zu lassen, und jetzert sollten sich mal nicht so lang besinnen. Hopp,
marsch, marsch, hinüber I

Karl hat wohl bemerkt und auch aus einigen aufgefangenen Worten gehört,
daß sich die Burschen sträuben, seine Gesellschaft zu teilen. Sein Kopf wird


Karl Salzer

Es ist der Schmiedegeselle. Er geht einige Schritte neben dem Sohne seines
früheren Meisters her und erkundigt sich nach diesem und jenem und auch nach
Tante Seelchen; ob sie auch auf die Kerb in Spelzheim wäre. Nein, nicht; sie
wäre eingeladen worden, aber bis jetzt sei sie noch nicht da, und sie werde wohl
auch nicht kommen. In acht Tagen ginge er, der Karl, wieder hinüber nach
Pfeddersheim. Da ist der Geselle sehr erstaunt, daß Karl auf einem so hohen
Feiertag, wie es die in acht Tagen stattfindende Nachkirchweihe ist, nicht im Dorfe
bleiben will.

Vor dem Wirtshaus „Zum Grünen Baum" macht der Zug Halt. Die
Kapelle schwenkt seitlich ab und stellt sich auf die andere Straßenseite. Eine
Leiter wird herbeigeholt. Der eine Bursche steigt hinauf, steckt den Kerwebaum
auf den aus der Mauerecke springenden eisernen Arm, an den er auch den
Kerwekranz hängt. In einer fast endlosen Reihe von launigen Versen preist er
dann die Kerb, die Kerwegäste, ermahnt die Burschen und die Mädchen, recht
brav zu sein und nicht im Dunkeln spazieren zu gehen. Der Refrain einer jeden
Strophe heißt:

So viel Verse er spricht, so viel Gläser Wein gießt er auch hinunter. Eine
erkleckliche Anzahl. Und schließlich das Ende:

Er läßt sich sein Glas abermals füllen und begießt den Kranz mit dem
perlenden Naß. Zuletzt zerschellt er das Glas auf dem Straßenpflaster, und der
ganze Zug begibt sich in den Tanzsaal.

Der Geselle nimmt Karl beim Arm und zieht ihn mit, obwohl er sich
heftig wehrt:

„Willem, ich tanz net, das mach ich dies Jahr net, wo mein Vater erst so
kurz tot ist!"

„Brauchst ja auch net zu tanze, hock dich hin und guck mi"

Karl läßt sich an einen Tisch niederdrücken und bestellt sich eine Flasche Wein.

Es kommen etliche seiner früheren Kameraden. Aber sie setzen sich an einen
anderen Tisch. Willem, der Geselle, sieht es. Als Kerwebursche hat er auch auf
Ordnung im Saale zu sehen. Er bedeutet den jungen Kerlen, daß die Tische der
Reihe nach gefüllt werden müßten. Da entgegnen sie, zu dem Karl Salzer setzten
sie sich nicht. Wenn der Wirt ein Kerl wär, schmisse er den überhaupt hinaus.
Willem antwortet, dem Wirte sei es gleichgültig, wem er seinen Wein verkaufe,
und zudem, was der Karl Salzer ihnen getan habe? Na, das wär doch eine
alte Supp; ob dem sein Vater denn nicht die Kasse bestohlen hätte? Willem
dagegen: wenn der Vater das getan hätte, dann brauchte man es doch den Sohn
nicht entgelten zu lassen, und jetzert sollten sich mal nicht so lang besinnen. Hopp,
marsch, marsch, hinüber I

Karl hat wohl bemerkt und auch aus einigen aufgefangenen Worten gehört,
daß sich die Burschen sträuben, seine Gesellschaft zu teilen. Sein Kopf wird


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[0473] Karl Salzer Es ist der Schmiedegeselle. Er geht einige Schritte neben dem Sohne seines früheren Meisters her und erkundigt sich nach diesem und jenem und auch nach Tante Seelchen; ob sie auch auf die Kerb in Spelzheim wäre. Nein, nicht; sie wäre eingeladen worden, aber bis jetzt sei sie noch nicht da, und sie werde wohl auch nicht kommen. In acht Tagen ginge er, der Karl, wieder hinüber nach Pfeddersheim. Da ist der Geselle sehr erstaunt, daß Karl auf einem so hohen Feiertag, wie es die in acht Tagen stattfindende Nachkirchweihe ist, nicht im Dorfe bleiben will. Vor dem Wirtshaus „Zum Grünen Baum" macht der Zug Halt. Die Kapelle schwenkt seitlich ab und stellt sich auf die andere Straßenseite. Eine Leiter wird herbeigeholt. Der eine Bursche steigt hinauf, steckt den Kerwebaum auf den aus der Mauerecke springenden eisernen Arm, an den er auch den Kerwekranz hängt. In einer fast endlosen Reihe von launigen Versen preist er dann die Kerb, die Kerwegäste, ermahnt die Burschen und die Mädchen, recht brav zu sein und nicht im Dunkeln spazieren zu gehen. Der Refrain einer jeden Strophe heißt: So viel Verse er spricht, so viel Gläser Wein gießt er auch hinunter. Eine erkleckliche Anzahl. Und schließlich das Ende: Er läßt sich sein Glas abermals füllen und begießt den Kranz mit dem perlenden Naß. Zuletzt zerschellt er das Glas auf dem Straßenpflaster, und der ganze Zug begibt sich in den Tanzsaal. Der Geselle nimmt Karl beim Arm und zieht ihn mit, obwohl er sich heftig wehrt: „Willem, ich tanz net, das mach ich dies Jahr net, wo mein Vater erst so kurz tot ist!" „Brauchst ja auch net zu tanze, hock dich hin und guck mi" Karl läßt sich an einen Tisch niederdrücken und bestellt sich eine Flasche Wein. Es kommen etliche seiner früheren Kameraden. Aber sie setzen sich an einen anderen Tisch. Willem, der Geselle, sieht es. Als Kerwebursche hat er auch auf Ordnung im Saale zu sehen. Er bedeutet den jungen Kerlen, daß die Tische der Reihe nach gefüllt werden müßten. Da entgegnen sie, zu dem Karl Salzer setzten sie sich nicht. Wenn der Wirt ein Kerl wär, schmisse er den überhaupt hinaus. Willem antwortet, dem Wirte sei es gleichgültig, wem er seinen Wein verkaufe, und zudem, was der Karl Salzer ihnen getan habe? Na, das wär doch eine alte Supp; ob dem sein Vater denn nicht die Kasse bestohlen hätte? Willem dagegen: wenn der Vater das getan hätte, dann brauchte man es doch den Sohn nicht entgelten zu lassen, und jetzert sollten sich mal nicht so lang besinnen. Hopp, marsch, marsch, hinüber I Karl hat wohl bemerkt und auch aus einigen aufgefangenen Worten gehört, daß sich die Burschen sträuben, seine Gesellschaft zu teilen. Sein Kopf wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/473>, abgerufen am 15.01.2025.