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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Die vier Temperamente
Ludwig Rieß- von

Diesen Aufsatz entnehmen wir dem soeben erschienenen Werk von Lud¬
wig Riesz "Historik". Ein Organon geschichtlichen Denkens und Forschens.
Erster Band. G. I. Göschensche Verlagshandlung G. in. b. H. Berlin
und Leipzig 1912. Broschiert 7.S0 M.

Sacherklärung

WK
s^Aeben der Verschiedenartigkeit des Gefühls von Lust und Unlust, mit
der die Menschen die ihre Existenz berührenden Veränderungen in
ihren Vorstellungskomplexen begleiten, haben schon die Alten nach
I der Neigung des Empfindens und Handelns bei gewöhnlichen Anlässen
vier verschiedene Typen von Menschen unterschieden. Nach der
Schnelligkeit und dein Stärkegrade, womit einem äußeren Vorgang die Erregbarkeit
(Rezeptibilititt) folgt, nach der Kraft und Nachhaltigkeit der Gegenwirkung (Rea-
gibilität) lassen sich verschiedene Permutationen zusammenstellen, von denen eine
ziemlich genau auf jeden von uns als passende Regel unseres täglichen Verhaltens
angewandt werden kann. Bahnsen hat mit Beschränkung auf das wichtigste eine
Tabelle von sechzehn Variationen aufgestellt*); wir kommen aber, da nur in seltenen,
stark ausgeprägten Fällen für den Historiker ein Urias; vorliegt, diesen mehr im
Alltagsleben wichtigen Grundzug hervorzuheben, mit der populären Zahl aus. Bei
den Skizzierungen, die in der psychologischen Literatur von diesen vier Typen ge¬
macht werden, läuft oft der Fehler mit unter, daß vieles, was anderen Erscheinungen
des Seelenlebens angehört (z. B. Eukolie und Dyskolie, Affekte und Leidenschaften,
Gemütstiefe und Fühllosigkeit, Pflichteifer und Leichtsinn) hineingezogen wird, um
das Bild abzurunden. Herbart ist außerdem geneigt, die Temperamente mit Physio¬
logischen Eigenschaften in Verbindung zu bringen**). Auch körperliche Signalements
werden zuweilen an die Schilderung dieser Besonderheiten ohne Grund an¬
gehängt^*).


Choleriker

Das sich für den Historiker am leichtesten bemerkbar machende Temperament
ist das des Cholerikers, der schnell aufbraust und sich nicht beruhigt, bis er einen
seiner tiefen Erregung entsprechenden Gegenschlag ausgeführt hat, der aber auch
günstige Eindrücke und Mitgefühl gern durch praktisch wertvolle Gunstbezeigungen





*) Beiträge zur Charakterologie, Bd. I, S, 24. Auch Drobisch Z 111.
*") Lehrbuch zur Psychologie. 8. Auflage ca. Hartenstein § 132.
So in den beiden Monographien von Bernhard Hellwig, "Die vier Temperamente
bei Kindern" (4. Auflage, Paderborn 1889) und "Die vier Temperamente bei Erwachsenen"
(Paderborn 1888).
Grenzboten IV 1912 69


Die vier Temperamente
Ludwig Rieß- von

Diesen Aufsatz entnehmen wir dem soeben erschienenen Werk von Lud¬
wig Riesz „Historik". Ein Organon geschichtlichen Denkens und Forschens.
Erster Band. G. I. Göschensche Verlagshandlung G. in. b. H. Berlin
und Leipzig 1912. Broschiert 7.S0 M.

Sacherklärung

WK
s^Aeben der Verschiedenartigkeit des Gefühls von Lust und Unlust, mit
der die Menschen die ihre Existenz berührenden Veränderungen in
ihren Vorstellungskomplexen begleiten, haben schon die Alten nach
I der Neigung des Empfindens und Handelns bei gewöhnlichen Anlässen
vier verschiedene Typen von Menschen unterschieden. Nach der
Schnelligkeit und dein Stärkegrade, womit einem äußeren Vorgang die Erregbarkeit
(Rezeptibilititt) folgt, nach der Kraft und Nachhaltigkeit der Gegenwirkung (Rea-
gibilität) lassen sich verschiedene Permutationen zusammenstellen, von denen eine
ziemlich genau auf jeden von uns als passende Regel unseres täglichen Verhaltens
angewandt werden kann. Bahnsen hat mit Beschränkung auf das wichtigste eine
Tabelle von sechzehn Variationen aufgestellt*); wir kommen aber, da nur in seltenen,
stark ausgeprägten Fällen für den Historiker ein Urias; vorliegt, diesen mehr im
Alltagsleben wichtigen Grundzug hervorzuheben, mit der populären Zahl aus. Bei
den Skizzierungen, die in der psychologischen Literatur von diesen vier Typen ge¬
macht werden, läuft oft der Fehler mit unter, daß vieles, was anderen Erscheinungen
des Seelenlebens angehört (z. B. Eukolie und Dyskolie, Affekte und Leidenschaften,
Gemütstiefe und Fühllosigkeit, Pflichteifer und Leichtsinn) hineingezogen wird, um
das Bild abzurunden. Herbart ist außerdem geneigt, die Temperamente mit Physio¬
logischen Eigenschaften in Verbindung zu bringen**). Auch körperliche Signalements
werden zuweilen an die Schilderung dieser Besonderheiten ohne Grund an¬
gehängt^*).


Choleriker

Das sich für den Historiker am leichtesten bemerkbar machende Temperament
ist das des Cholerikers, der schnell aufbraust und sich nicht beruhigt, bis er einen
seiner tiefen Erregung entsprechenden Gegenschlag ausgeführt hat, der aber auch
günstige Eindrücke und Mitgefühl gern durch praktisch wertvolle Gunstbezeigungen





*) Beiträge zur Charakterologie, Bd. I, S, 24. Auch Drobisch Z 111.
*") Lehrbuch zur Psychologie. 8. Auflage ca. Hartenstein § 132.
So in den beiden Monographien von Bernhard Hellwig, „Die vier Temperamente
bei Kindern" (4. Auflage, Paderborn 1889) und „Die vier Temperamente bei Erwachsenen"
(Paderborn 1888).
Grenzboten IV 1912 69
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[0468] [Abbildung] Die vier Temperamente Ludwig Rieß- von Diesen Aufsatz entnehmen wir dem soeben erschienenen Werk von Lud¬ wig Riesz „Historik". Ein Organon geschichtlichen Denkens und Forschens. Erster Band. G. I. Göschensche Verlagshandlung G. in. b. H. Berlin und Leipzig 1912. Broschiert 7.S0 M. Sacherklärung WK s^Aeben der Verschiedenartigkeit des Gefühls von Lust und Unlust, mit der die Menschen die ihre Existenz berührenden Veränderungen in ihren Vorstellungskomplexen begleiten, haben schon die Alten nach I der Neigung des Empfindens und Handelns bei gewöhnlichen Anlässen vier verschiedene Typen von Menschen unterschieden. Nach der Schnelligkeit und dein Stärkegrade, womit einem äußeren Vorgang die Erregbarkeit (Rezeptibilititt) folgt, nach der Kraft und Nachhaltigkeit der Gegenwirkung (Rea- gibilität) lassen sich verschiedene Permutationen zusammenstellen, von denen eine ziemlich genau auf jeden von uns als passende Regel unseres täglichen Verhaltens angewandt werden kann. Bahnsen hat mit Beschränkung auf das wichtigste eine Tabelle von sechzehn Variationen aufgestellt*); wir kommen aber, da nur in seltenen, stark ausgeprägten Fällen für den Historiker ein Urias; vorliegt, diesen mehr im Alltagsleben wichtigen Grundzug hervorzuheben, mit der populären Zahl aus. Bei den Skizzierungen, die in der psychologischen Literatur von diesen vier Typen ge¬ macht werden, läuft oft der Fehler mit unter, daß vieles, was anderen Erscheinungen des Seelenlebens angehört (z. B. Eukolie und Dyskolie, Affekte und Leidenschaften, Gemütstiefe und Fühllosigkeit, Pflichteifer und Leichtsinn) hineingezogen wird, um das Bild abzurunden. Herbart ist außerdem geneigt, die Temperamente mit Physio¬ logischen Eigenschaften in Verbindung zu bringen**). Auch körperliche Signalements werden zuweilen an die Schilderung dieser Besonderheiten ohne Grund an¬ gehängt^*). Choleriker Das sich für den Historiker am leichtesten bemerkbar machende Temperament ist das des Cholerikers, der schnell aufbraust und sich nicht beruhigt, bis er einen seiner tiefen Erregung entsprechenden Gegenschlag ausgeführt hat, der aber auch günstige Eindrücke und Mitgefühl gern durch praktisch wertvolle Gunstbezeigungen *) Beiträge zur Charakterologie, Bd. I, S, 24. Auch Drobisch Z 111. *") Lehrbuch zur Psychologie. 8. Auflage ca. Hartenstein § 132. So in den beiden Monographien von Bernhard Hellwig, „Die vier Temperamente bei Kindern" (4. Auflage, Paderborn 1889) und „Die vier Temperamente bei Erwachsenen" (Paderborn 1888). Grenzboten IV 1912 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/468>, abgerufen am 15.01.2025.