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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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An der Wiege des Königreichs Rumänien

Nach der Erklärung des Großvesirs wird der Firman sofort der Bestätigung
des Sultans unterbreitet werden; diese wird in wenigen Tagen erfolgen, und
der Firman mit der Bestätigungsformel den Repräsentanten mitgeteilt werden.
Ebenso wird der Firman demnächst an die Caimakame der Donaufürstentümer
abgesandt werden, um die statistischen Vorarbeiten behufs der Wahllisten in
die Wege zu leiten. Das eigentliche Wahlgeschäft soll demnächst erst beginnen,
wenn die Kommissäre daselbst eintreffen, was nicht vor Ende März dieses Jahres
stattfinden kann, nachdem in den letzten Pariser Nachkonferenzen dieser Zeitpunkt
als Termin für die Beendigung der Grenzregulierung und der österreichischen
Okkupation festgesetzt worden ist.

Die Mission der Kommissäre, soweit sie sich auf ihre Wirksamkeit in Kon¬
stantinopel bezieht, ist somit zu Ende und nach der bei dem Sultan erbetenen


Die gegenseitige Animosität der beiden englischen Staatsmänner hatte, wie hier bemerkt
werden muß, noch seinen besonderen Grund in der demnächst tatsächlich gewordenen Vor¬
ahnung Lord Stratfords, daß Sir Henry Bulwer bestimmt sei, ihn in dem Botschafterposten
bei der Pforte abzulösen. Nun gab es eine Szene ganz seltener Art zwischen den beiden Bevollmächtigten einer
und derselben Regierung. Lord Stratford sprang auf und erklärte: Was Sir Henry Bulwer hier über sein Ver¬
Verhältnis zu ihm anführe, habe keine Berechtigung und müsse als durchaus .inconvenable'
bezeichnet werden, da der Botschafter und nur dieser allein der Vertreter Ihrer Majestät
der Königin sei, so gehste er ihm Schweigen. Sir Henry erwiderte hierauf, dies sei mit
einer Ausnahme richtig, nämlich soweit es sich nicht um die Fürstentümer Moldau und
Wallachei und um das alles handle, was das englische Interesse bei der Politischen Gestaltung
derselben im Sinne des Pariser Friedens betreffe; dafür sei er ausersehen und verant¬
wortlich, und er allein, und darum handle es sich hier allein ausschließlich; dem Lord
Stratford stehe überhaupt keine Kritik über sein Verhalten zu und es sei ganz unqualifizierbar,
ihn hier untergeordnet erscheinen zu lassen; er bestehe daher auf der Vorlesung des FirmanS-
entwurses Punkt für Punkt. Diese Erklärung setzte den englischen Botschafter so in Erregung, daß er seinen Stuhl
ergriff und man kaum zweifelhaft sein konnte, welche Direktion er ihm zu geben geneigt
war. En hielt sich jedoch noch zurück; alle Mitglieder der Konferenz sprangen auf, und die
Sitzung wurde unterbrochen. Die beiden englischen Gegner eilten zu der innerhalb des
Palais des Großvesirs angebrachten Telegraphenleitung, um sofort gegenseitige Beschwerden
telegraphisch nach London gelangen zu lassen. Für IV2 Stunde schien es, daß die ganze
Konferenz vereitelt, der Firman und somit die endliche Abreise der Kommissare nach den
Donaufürstentümern aufs neue in Frage gestellt sei. Endlich war es aber insbesondere
der Intervention des französischen Botschafters und des preußischen Gesandten, sowie der
Einsprache der Kommissäre gelungen, die beiden Kombattanten zu beschwichtigen und sie zu
überzeugen, daß die Sache selbst unter ihrem häuslichen Streit nicht leiden dürfe. Die Sitzung
wurde nun wieder aufgenommen, die Vorlesung des Projektes begann und nach einigen
Stunden wurde dasselbe mit von mir proponierten Redaktionsänderungen allseitig an¬
genommen. Man wird sich leicht denken können, daß bei dem folgenden Diner eine gedrückte und
Penible Stimmung herrschte. Indessen war doch ein bedeutsamer Schritt geschehen, und
der Abreise der Kommisston nach den Fürstentümern stand von dieser Seite kein Hindernis
mehr ini Wege."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/427>, abgerufen am 24.01.2025.