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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Airche

nie ganz aufgegeben worden ist. Haben wir ja doch erst im Jahre 1911
den seltsamen Versuch des sächsischen Prinzen und Kirchenmannes erlebt, die
Union zu verwirklichen.




Bis zum vatikanischen Konzil (8. Dezember 1369 bis 20. Oktober 1870)
waren die dogmatischen Differenzen zwischen der östlichen und der westlichen
Kirche in der Tat gering. Im dreizehnten und fünfzehnten Jahrhundert war
die Polemik freilich heftig; es gibt Streitschriften, in denen den Lateinern
seitens der Griechen nicht weniger als sechzig, ja neunzig Verfehlungen vor¬
geworfen werden; aber auf beiden Seiten beging man unzählige Male den
Fehler, das was irgendwo von einzelnen Angehörigen gefehlt wurde, ohne
weiteres der gesamten Kirche der Gegner zur Last zu legen.

Die tatsächlichen Differenzen lassen sich auf wenige abweichende Grund-
anschauungen zurückführen. Hinsichtlich des Glaubens erkennen die Griechen
die römische Lehre vom Fegfeuer nicht an; sie geben zu, daß im Hades nicht
nur die ewig Verdammten weilen, sondern auch die Seelen derer, die noch zur
Erlösung gelangen können, auch glauben sie an eine Wirkung der Gebete für
die nur mit läßlichen Sünden behafteten Verstorbenen; allein sie leugnen das
purZutonum als besonderen expiatorischen Zustand und als besonderen Ort
und erklären mit Recht, daß sie in dieser Beziehung auf den Anschauungen der
alten Kirche beharren; denn die Lehre vom Fegfeuer ist in der Tat erst eine
Entwicklung des späteren Mittelalters; erst die Dominikaner brachten in Konstanti¬
nopel 1252 diese Frage zur Erörterung zwischen den Kirchen und erst seit dem drei¬
zehnten Jahrhundert ist sie zur vollen Ausbildung gekommen. Nun ist nicht
zu leugnen, daß die römische Lehre einerseits nur die vollkommen logische
Ausbildung aller älteren Anschauungen darstellt, während anderseits das Papst¬
tum und die römische Kirche auf dem Florentiner Konzil von 1439 die griechische
Auffassung für zulässig erklärt und als kirchliche Lehre nur die Empfehlung des
Gebetes für die Verstorbenen behauptet haben. Aber das alles geschah vor
dem Tridentinum (Konzil zu TrLent 1545 bis 1563).

Eine viel schwierigere Streitfrage bildete stets der Ausgang des heiligen
Geistes. Die Frage führt mitten hinein in die trinitarischen und pneumato-
logischen Lehren. Sie ist stets Mittelpunkt und Kern aller Differenzen zwischen
den beiden Kirchen gewesen und stellte in der Tat das stärkste dogmatische
Hindernis ihrer Union dar. Es handelt sich hier um eine theologische Grundfrage.

Die Lehre vom Ausgang des Geistes war der hauptsächlichste Inhalt
der weltberühmten Enzyklika des Patriarchen Photios vom Jahre 867, die die
bestehende Entfremdung zum ersten Male grell beleuchtete.

Alle die Hunderte und Tausende von Flugschriften und Büchern, die
seitdem von Angehörigen der orthodoxen Kirche gegen Rom und für das
Dogma vom Ausgang des Geistes aus dem Vater allein geschrieben sind,


Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Airche

nie ganz aufgegeben worden ist. Haben wir ja doch erst im Jahre 1911
den seltsamen Versuch des sächsischen Prinzen und Kirchenmannes erlebt, die
Union zu verwirklichen.




Bis zum vatikanischen Konzil (8. Dezember 1369 bis 20. Oktober 1870)
waren die dogmatischen Differenzen zwischen der östlichen und der westlichen
Kirche in der Tat gering. Im dreizehnten und fünfzehnten Jahrhundert war
die Polemik freilich heftig; es gibt Streitschriften, in denen den Lateinern
seitens der Griechen nicht weniger als sechzig, ja neunzig Verfehlungen vor¬
geworfen werden; aber auf beiden Seiten beging man unzählige Male den
Fehler, das was irgendwo von einzelnen Angehörigen gefehlt wurde, ohne
weiteres der gesamten Kirche der Gegner zur Last zu legen.

Die tatsächlichen Differenzen lassen sich auf wenige abweichende Grund-
anschauungen zurückführen. Hinsichtlich des Glaubens erkennen die Griechen
die römische Lehre vom Fegfeuer nicht an; sie geben zu, daß im Hades nicht
nur die ewig Verdammten weilen, sondern auch die Seelen derer, die noch zur
Erlösung gelangen können, auch glauben sie an eine Wirkung der Gebete für
die nur mit läßlichen Sünden behafteten Verstorbenen; allein sie leugnen das
purZutonum als besonderen expiatorischen Zustand und als besonderen Ort
und erklären mit Recht, daß sie in dieser Beziehung auf den Anschauungen der
alten Kirche beharren; denn die Lehre vom Fegfeuer ist in der Tat erst eine
Entwicklung des späteren Mittelalters; erst die Dominikaner brachten in Konstanti¬
nopel 1252 diese Frage zur Erörterung zwischen den Kirchen und erst seit dem drei¬
zehnten Jahrhundert ist sie zur vollen Ausbildung gekommen. Nun ist nicht
zu leugnen, daß die römische Lehre einerseits nur die vollkommen logische
Ausbildung aller älteren Anschauungen darstellt, während anderseits das Papst¬
tum und die römische Kirche auf dem Florentiner Konzil von 1439 die griechische
Auffassung für zulässig erklärt und als kirchliche Lehre nur die Empfehlung des
Gebetes für die Verstorbenen behauptet haben. Aber das alles geschah vor
dem Tridentinum (Konzil zu TrLent 1545 bis 1563).

Eine viel schwierigere Streitfrage bildete stets der Ausgang des heiligen
Geistes. Die Frage führt mitten hinein in die trinitarischen und pneumato-
logischen Lehren. Sie ist stets Mittelpunkt und Kern aller Differenzen zwischen
den beiden Kirchen gewesen und stellte in der Tat das stärkste dogmatische
Hindernis ihrer Union dar. Es handelt sich hier um eine theologische Grundfrage.

Die Lehre vom Ausgang des Geistes war der hauptsächlichste Inhalt
der weltberühmten Enzyklika des Patriarchen Photios vom Jahre 867, die die
bestehende Entfremdung zum ersten Male grell beleuchtete.

Alle die Hunderte und Tausende von Flugschriften und Büchern, die
seitdem von Angehörigen der orthodoxen Kirche gegen Rom und für das
Dogma vom Ausgang des Geistes aus dem Vater allein geschrieben sind,


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[0354] Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Airche nie ganz aufgegeben worden ist. Haben wir ja doch erst im Jahre 1911 den seltsamen Versuch des sächsischen Prinzen und Kirchenmannes erlebt, die Union zu verwirklichen. Bis zum vatikanischen Konzil (8. Dezember 1369 bis 20. Oktober 1870) waren die dogmatischen Differenzen zwischen der östlichen und der westlichen Kirche in der Tat gering. Im dreizehnten und fünfzehnten Jahrhundert war die Polemik freilich heftig; es gibt Streitschriften, in denen den Lateinern seitens der Griechen nicht weniger als sechzig, ja neunzig Verfehlungen vor¬ geworfen werden; aber auf beiden Seiten beging man unzählige Male den Fehler, das was irgendwo von einzelnen Angehörigen gefehlt wurde, ohne weiteres der gesamten Kirche der Gegner zur Last zu legen. Die tatsächlichen Differenzen lassen sich auf wenige abweichende Grund- anschauungen zurückführen. Hinsichtlich des Glaubens erkennen die Griechen die römische Lehre vom Fegfeuer nicht an; sie geben zu, daß im Hades nicht nur die ewig Verdammten weilen, sondern auch die Seelen derer, die noch zur Erlösung gelangen können, auch glauben sie an eine Wirkung der Gebete für die nur mit läßlichen Sünden behafteten Verstorbenen; allein sie leugnen das purZutonum als besonderen expiatorischen Zustand und als besonderen Ort und erklären mit Recht, daß sie in dieser Beziehung auf den Anschauungen der alten Kirche beharren; denn die Lehre vom Fegfeuer ist in der Tat erst eine Entwicklung des späteren Mittelalters; erst die Dominikaner brachten in Konstanti¬ nopel 1252 diese Frage zur Erörterung zwischen den Kirchen und erst seit dem drei¬ zehnten Jahrhundert ist sie zur vollen Ausbildung gekommen. Nun ist nicht zu leugnen, daß die römische Lehre einerseits nur die vollkommen logische Ausbildung aller älteren Anschauungen darstellt, während anderseits das Papst¬ tum und die römische Kirche auf dem Florentiner Konzil von 1439 die griechische Auffassung für zulässig erklärt und als kirchliche Lehre nur die Empfehlung des Gebetes für die Verstorbenen behauptet haben. Aber das alles geschah vor dem Tridentinum (Konzil zu TrLent 1545 bis 1563). Eine viel schwierigere Streitfrage bildete stets der Ausgang des heiligen Geistes. Die Frage führt mitten hinein in die trinitarischen und pneumato- logischen Lehren. Sie ist stets Mittelpunkt und Kern aller Differenzen zwischen den beiden Kirchen gewesen und stellte in der Tat das stärkste dogmatische Hindernis ihrer Union dar. Es handelt sich hier um eine theologische Grundfrage. Die Lehre vom Ausgang des Geistes war der hauptsächlichste Inhalt der weltberühmten Enzyklika des Patriarchen Photios vom Jahre 867, die die bestehende Entfremdung zum ersten Male grell beleuchtete. Alle die Hunderte und Tausende von Flugschriften und Büchern, die seitdem von Angehörigen der orthodoxen Kirche gegen Rom und für das Dogma vom Ausgang des Geistes aus dem Vater allein geschrieben sind,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/354>, abgerufen am 15.01.2025.