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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl Salzer

"Was tun sie?"

"An jedem Kreuz auf dem Kirchhof drauß steht: Hier ruht in Gott; auch
auf meinem Vater seinem. Aber die Bauern denn das net sehen können und
denn die zwei Wörter .in Gott' ausgeschabt. Was sagen Sie dazu, Herr Pfarrer?"

Der Pfarrer wiegt bedenklich das Haupt und läßt es schließlich so weit nach
vorn hängen, daß man die Tonsur betrachten kann, die sehr stoppelig ist und das
Rasieren verdiente. Nach einem Weilchen erklärt er:

"Ich sehe darin nur eine Bestätigung dessen, was ich vorhin sagte: die Bauern
erblicken in dem Selbstmord ein furchtbares Verbrechen und glauben, daß Gott
diese Sünde unerbittlich strafe."

"Herr Pfarrer," entgegnet der Bursche, "aber Sie denn uns in der Schul
gelehrt: Und wären euere Sünden so zahlreich wie der Sand am Meere und rot
wie der Scharlach . . ."

Karl schluchzt tief erschüttert auf, beißt die Zähne aufeinander und fährt
dann fort:

"Meinem Vater seine Sünd war so rot wie Blut. Aber wie er früher
gelebt hat, und wie er war an dem Morgen, wo er's getan hat--ich glaub
sest dran, er hat's bereut!"

Darauf sagt der Pfarrer:

"Ihr habt's für selbstverständlich gehalten, daß ich eueren Vater nicht kirchlich
beerdigen könne. Warum habt ihr da auch das .Hier ruht in Gott' nicht weg¬
gelassen und nur euerem Vater seinen Namen auf das Kreuz schreiben lassen?"

"Herr Pfarrer, so weit denn wir überhaupt net gedenkt; der Schreiner
Kling hat das halt so gemacht, wie er's auf alle Kreuze macht. Und wenn wir's
uns überlegt hätten, dann hätten wir aus unserm Glauben raus, daß unser Vater
net der ewigen Verdammnis anheimgefallen ist, doch das .Hier ruht in Gott'
drausschreiben lassen!"

"Dja. . .!" seufzt der Pfarrer, und dann ist es einige Augenblicke ganz still,
bis der Priester weiterfährt:

"Ermesse an dem. was du alles schon erfahren hast, wie streng das Volk
über den Selbstmord denkt. Und es gibt ein altes Wort, das heißt: Vox populi
vox äei, die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes!"

Karl ist müde; das lange Stehen auf einem Platze verursacht ihm Schmerzen
im Kreuz. Auf des Pfarrers letzte Worte erwidert er:

"Herr Pfarrer, ich hab immer gemeint, bei einem Pfarrer, bei einem Priester
wär aller Trost zu holen, den's nur gibt auf der Welt. Das hab ich immer so
gemeint, weil ich gedenkt hab, ein Pfarrer müßt fast grad so sein wie unser
Heiland. Der wüßt was für mich, wenn ich so vor ihm stehen tat wie aweil vor
Ihnen. Und Sie sagen mir jetzert garnix auf das, was ich Ihnen geklagt hab.
Wenn Sie nur wenigstens sagen wollten, daß Sie den Bauern von der Kanzel
runter verbieten täten, meinem Vater sein Kreuz zu entstellen!"

Der Pfarrer sieht da eines seiner Schäflein im Leid und denkt, daß die
heutige Erfahrung es ihm und auch dem Glauben entfremden könne, und noch
einmal fragt er sein tiefstes Herz, ob er es den Bauern von der heiligen Stätte
der Kanzel aus sagen solle: Wer ohne Sünde ist, der werfe einen Stein auf jenes
Grab . . .!


Karl Salzer

„Was tun sie?"

„An jedem Kreuz auf dem Kirchhof drauß steht: Hier ruht in Gott; auch
auf meinem Vater seinem. Aber die Bauern denn das net sehen können und
denn die zwei Wörter .in Gott' ausgeschabt. Was sagen Sie dazu, Herr Pfarrer?"

Der Pfarrer wiegt bedenklich das Haupt und läßt es schließlich so weit nach
vorn hängen, daß man die Tonsur betrachten kann, die sehr stoppelig ist und das
Rasieren verdiente. Nach einem Weilchen erklärt er:

„Ich sehe darin nur eine Bestätigung dessen, was ich vorhin sagte: die Bauern
erblicken in dem Selbstmord ein furchtbares Verbrechen und glauben, daß Gott
diese Sünde unerbittlich strafe."

„Herr Pfarrer," entgegnet der Bursche, „aber Sie denn uns in der Schul
gelehrt: Und wären euere Sünden so zahlreich wie der Sand am Meere und rot
wie der Scharlach . . ."

Karl schluchzt tief erschüttert auf, beißt die Zähne aufeinander und fährt
dann fort:

„Meinem Vater seine Sünd war so rot wie Blut. Aber wie er früher
gelebt hat, und wie er war an dem Morgen, wo er's getan hat--ich glaub
sest dran, er hat's bereut!"

Darauf sagt der Pfarrer:

„Ihr habt's für selbstverständlich gehalten, daß ich eueren Vater nicht kirchlich
beerdigen könne. Warum habt ihr da auch das .Hier ruht in Gott' nicht weg¬
gelassen und nur euerem Vater seinen Namen auf das Kreuz schreiben lassen?"

„Herr Pfarrer, so weit denn wir überhaupt net gedenkt; der Schreiner
Kling hat das halt so gemacht, wie er's auf alle Kreuze macht. Und wenn wir's
uns überlegt hätten, dann hätten wir aus unserm Glauben raus, daß unser Vater
net der ewigen Verdammnis anheimgefallen ist, doch das .Hier ruht in Gott'
drausschreiben lassen!"

„Dja. . .!" seufzt der Pfarrer, und dann ist es einige Augenblicke ganz still,
bis der Priester weiterfährt:

„Ermesse an dem. was du alles schon erfahren hast, wie streng das Volk
über den Selbstmord denkt. Und es gibt ein altes Wort, das heißt: Vox populi
vox äei, die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes!"

Karl ist müde; das lange Stehen auf einem Platze verursacht ihm Schmerzen
im Kreuz. Auf des Pfarrers letzte Worte erwidert er:

„Herr Pfarrer, ich hab immer gemeint, bei einem Pfarrer, bei einem Priester
wär aller Trost zu holen, den's nur gibt auf der Welt. Das hab ich immer so
gemeint, weil ich gedenkt hab, ein Pfarrer müßt fast grad so sein wie unser
Heiland. Der wüßt was für mich, wenn ich so vor ihm stehen tat wie aweil vor
Ihnen. Und Sie sagen mir jetzert garnix auf das, was ich Ihnen geklagt hab.
Wenn Sie nur wenigstens sagen wollten, daß Sie den Bauern von der Kanzel
runter verbieten täten, meinem Vater sein Kreuz zu entstellen!"

Der Pfarrer sieht da eines seiner Schäflein im Leid und denkt, daß die
heutige Erfahrung es ihm und auch dem Glauben entfremden könne, und noch
einmal fragt er sein tiefstes Herz, ob er es den Bauern von der heiligen Stätte
der Kanzel aus sagen solle: Wer ohne Sünde ist, der werfe einen Stein auf jenes
Grab . . .!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/337>, abgerufen am 15.01.2025.