Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Karl Salzer Der alte grauköpfige Pfarrer schreibt an seinem Stehpult. Er ist ein ganz Wie da einer sagt: Gelobt sei Jesus Christus! dreht er sich herum, um "Ah, der Salzer, Salzer, hin, hat Schon ein paarmal die Christenlehr Der alte Pfarrer spricht jedes vierte oder fünfte Wort doppelt, wenn er sich "Willst dich entschuldigen, hä, entschuldigen?" Obwohl Karl Salzer eigentlich nicht gekommen ist, um Entschuldigung wegen "Herr Pfarrer, das werden Sie entschuldigen. Aber ich war immer bei "Ja ja!" sagt der Pfarrer, "in Pfeddersheim, hin, hin, in Pfeddersheim; Da ist Karl erstaunt, dasz er schon gehen soll, noch ehe er etwas geredet hat. "Herr Pfarrer, nix für ungut -- ich hätt Ihnen noch was zu sagen, noch Der Pfarrer, der sich schon wieder an seinen Papieren zu schaffen gemacht "Na, und das ist?" Jetzt arbeitet es doch mächtig in der Seele des Burschen. Er weiß, daß er "Herr Pfarrer, Sie haben vordere von meinem Vater gesprochen. Er hätte Karl Salzer Der alte grauköpfige Pfarrer schreibt an seinem Stehpult. Er ist ein ganz Wie da einer sagt: Gelobt sei Jesus Christus! dreht er sich herum, um „Ah, der Salzer, Salzer, hin, hat Schon ein paarmal die Christenlehr Der alte Pfarrer spricht jedes vierte oder fünfte Wort doppelt, wenn er sich „Willst dich entschuldigen, hä, entschuldigen?" Obwohl Karl Salzer eigentlich nicht gekommen ist, um Entschuldigung wegen „Herr Pfarrer, das werden Sie entschuldigen. Aber ich war immer bei „Ja ja!" sagt der Pfarrer, „in Pfeddersheim, hin, hin, in Pfeddersheim; Da ist Karl erstaunt, dasz er schon gehen soll, noch ehe er etwas geredet hat. „Herr Pfarrer, nix für ungut — ich hätt Ihnen noch was zu sagen, noch Der Pfarrer, der sich schon wieder an seinen Papieren zu schaffen gemacht „Na, und das ist?" Jetzt arbeitet es doch mächtig in der Seele des Burschen. Er weiß, daß er „Herr Pfarrer, Sie haben vordere von meinem Vater gesprochen. 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Karl Salzer
Der alte grauköpfige Pfarrer schreibt an seinem Stehpult. Er ist ein ganz
Alimodischer, der noch mit Gänsekielen schreibt.
Wie da einer sagt: Gelobt sei Jesus Christus! dreht er sich herum, um
nachzusehen, wer es sei.
„Ah, der Salzer, Salzer, hin, hat Schon ein paarmal die Christenlehr
geschwänzt, Christenlehr geschwänzt. Wie geht das zu, he, geht das zu?"
Der alte Pfarrer spricht jedes vierte oder fünfte Wort doppelt, wenn er sich
mit jemand unterhält. Nur auf der Kanzel ist er den Pfarrern beizuzählen, die
nichts zweimal sagen.
„Willst dich entschuldigen, hä, entschuldigen?"
Obwohl Karl Salzer eigentlich nicht gekommen ist, um Entschuldigung wegen
Versäumnis der Christenlehre zu bitten, tut er das und denkt, daß so das Gespräch
wenigstens in Fluß komme.
„Herr Pfarrer, das werden Sie entschuldigen. Aber ich war immer bei
meiner Tante Seelchen; das ist jetzert drüben in Pfeddersheim I"
„Ja ja!" sagt der Pfarrer, „in Pfeddersheim, hin, hin, in Pfeddersheim;
Hab's auch schon gehört. Nicht mehr gefallen hier in Spelzheim, hä, nicht mehr
gefallen? War auch eine böse Sache mit dem Vater, böse Sache. Darf man
nicht tun so was, darf man nicht tun, das hat Gott verboten. Na, du kannst
aber doch ein tüchtiger Kerl werden. Aber — unbedingt das Wort Gottes hören,
und in die Christenlehre kommen. An dem Christenlehrsonntag mal nicht nach
Pfeddersheim gehen. Ein über den anderen Sonntag tut's auch, tut's auch ganz
gut. So, geh jetzt schön in Gottesnamen!"
Da ist Karl erstaunt, dasz er schon gehen soll, noch ehe er etwas geredet hat.
„Herr Pfarrer, nix für ungut — ich hätt Ihnen noch was zu sagen, noch
eine Bitt vorzubringenI"
Der Pfarrer, der sich schon wieder an seinen Papieren zu schaffen gemacht
hat, wendet sich wieder um und fragt:
„Na, und das ist?"
Jetzt arbeitet es doch mächtig in der Seele des Burschen. Er weiß, daß er
nun eine Sache ausfechten soll, deren Mißlingen ihn unglücklich und klein machen
würde. Er sucht in Gedanken rasch nach einem Anfangspunkt des Gespräches,
das er an den Pfarrer richten will, und sagt dann:
„Herr Pfarrer, Sie haben vordere von meinem Vater gesprochen. Er hätte
da etwas getan, was Gott verboten hätt. Das ist wahr; das hab ich eingesehen
und hab mich auch drein geschickt, daß er net kirchlich begraben worden ist. Ich
hab mir alles arg zu Herzen genommen und bin nicht mehr unter die Leut
gangen. Aber ich hab doch meinen Trost gehabt. Meine Tante Seelchen hat so
schöne Worte an mich gerichtet, die haben mich ganz ruhig gemacht. Sie hat
mich darauf hingewiesen, daß unser Vater ja nach dem Schuß, den er auf sich
abgegeben hat, noch eine Zeitlang gelebt habe, und daß er in dere Zeit all sein
Verschulden aus tiefstem Herzen bereut haben könnt, daß er, seinem früheren
christlichen Leben nach, ganz gut eine vollkommene Reue erweckt haben könnt, und
das hätte ihn doch vor der ewigen Verdammnis bewahrt. Ist das so, Herr
Pfarrer, ist das vielleicht net möglich?"
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